Der Gesang des Sturms. Liane Mars

Der Gesang des Sturms - Liane Mars


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wieder öffnete und ihre schöne Gestalt erblickte. Sie wirkte so verletzlich und zart. Er würde nicht zulassen, dass ihr etwas geschah.

      Entschlossen stand er auf und zog in der gleichen Sekunde das Schwert aus der Scheide. Man mochte seine Schwester getötet haben, aber Sirany würden sie nicht bekommen.

      »Was tust du?«, fragte sie mit zitternder Stimme.

      In der gleichen Sekunde hallten die ersten Angstschreie durch die Häuserzeilen. Die Reiter hatten das Dorf erreicht.

      »Hol den Bogen, den ich dir angefertigt habe, und bring die Leute in Sicherheit. Ich kümmere mich um die Reiter.«

      »Du kannst keine zwanzig Mann allein erledigen«, protestierte sie.

      »Geh.«

      Sirany sah ihn an, zögerte einen Moment. Letztlich trat sie entschlossen vor ihn und gab ihm einen sanften Kuss. Es war nur ein flüchtiger Kuss. Dafür war er umso süßer. Sanft, zärtlich, ein Versprechen. Elendars Lippen schmeckten nach Salz und Wind, sie sprachen von Wärme und Zärtlichkeit. Sie waren wie ein Zuhause.

      Sirany riss sich jedoch rasch wieder los. Es war jetzt keine Zeit für Gefühle. Sie huschte ins Haus, holte ihren Bogen und ließ den völlig verwirrten Elendar allein zurück.

      Dabei blickte sie nicht einmal zu ihm. Sie wäre sonst womöglich wieder umgekehrt.

      Elendar hingegen brauchte einen Moment, fünf Atemzüge, um genau zu sein, um sich von seiner Überraschung zu erholen. Dann wirbelte er herum und sprang die Veranda hinunter.

      Sein Schwert glitzerte unheilvoll im Mondlicht.

      Die Reiterei fühlte sich überrumpelt. Eigentlich hätten die Menschen schlafen sollen. Stattdessen liefen sie geradewegs Richtung Wald. Was war hier los? Ihr Anführer knurrte ärgerlich und zügelte sein schweißüberströmtes Pferd. Er musste kurz darüber nachdenken, wie es weitergehen sollte.

      Er kam nicht weit mit seinen Gedanken, denn just in dieser Sekunde erblickte er eine schwarz gekleidete Gestalt. Es war ein Mann in voller Kriegsmontur. Sein grimmiges Gesicht sah wie eine Maske aus purem Hass aus, und das wilde Haar wehte gespenstig im Wind.

      Zehn Schritte von der erstaunten Reiterei entfernt blieb er stehen, rammte mit unbeweglicher Miene sein Schwert in den Boden und zog sich langsam das Hemd aus. Darunter schimmerte bronzene Haut im Lichtglanz des Mondes.

      Lediglich mit einer schwarze Hose bekleidet, zog er das Schwert wieder aus der Erde und wog es gelassen in der Hand, während ihn die Shari ungläubig anstarrten.

      »Elendar«, flüsterte jemand hinter dem Anführer.

      Augenblicklich ging ein Raunen durch die Menge. Doch noch ehe irgendjemand sonst etwas sagen oder tun konnte, ging der Assar vor ihnen in den Angriff über.

      Sein wilder Kampfschrei ging in dem Geräusch der gezogenen Stahlklingen unter, wurde sogleich von entsetzten Schmerzenslauten der ersten Sterbenden abgelöst. Pferde wieherten panisch auf, Hufe peitschten die Erde.

      Der sonst so still daliegende Rand des Dorfes verwandelte sich in ein Schlachtfeld.

      Sirany rannte hinter ihrer Mutter her in Richtung Wald. Aileen hatte ein kleines Kind auf dem Arm, das der Nachbarin. Die hatte mit ihren anderen beiden bereits genug zu schleppen.

      Hinter der kleinen Frauenschar erscholl Hufgetrappel. Ein Pferd näherte sich in gestrecktem Galopp, es schnaubte, schnaufte. Sattelzeug knarrte, Eisen klirrte und all diese Geräusche kamen näher und näher. Sie würden die Flüchtenden bald eingeholt haben.

      Siranys Gedanken drehten sich im Kreis. Mit einem Mal blieb sie abrupt stehen – und stellte sich der Gefahr, der sie ohnehin nicht entkommen konnte. Da half kein noch so schneller Lauf, und wenn sie nicht etwas unternahm, würden auch die anderen sterben.

      Es war ein Shari, genau wie sie vermutet hatte. Er musste Elendars Schwert ausgewichen sein und stattdessen den Fliehenden nachgesetzt haben.

      Grimmig zog Sirany einen Pfeil aus ihrem Köcher und legte ihn mit fliegenden Fingern auf dem Bogen an. Nicht zittern, dachte sie. Sei stark. Sei mutig. Sei der Pfeil.

      Das war ausgesprochen schwierig. Erst recht, wenn ein Tausend-Pfund-Koloss auf sie zupreschte. Fast war das Pferd heran.

      Hinter ihr schrie ihre Mutter, schrien Frauen und Kinder in rasender Panik. »Sirany. Sirany, lauf«, meinte sie zu hören. Sirany verschloss ihre Ohren. Zum Laufen war es nun zu spät. Gerade als sie meinte, die ersten Schweißperlen von Pferd und Reiter abbekommen zu haben, lag der Pfeil richtig auf dem Bogen. Sirany hob ihn, zielte … und ließ das tödliche Geschoss fliegen.

      Das Pferd war schon zu nahe, als dass sie den Reiter hätte treffen können. Der Pfeil verfehlte dennoch nicht das Ziel.

      Mit einem dumpfen Laut schlug er in der Kehle des Pferdes ein. Fast in der gleichen Sekunde brach das riesige Tier in den Vorderläufen ein und begrub seinen Reiter mit seinem schweren Leib unter sich.

      Sirany verlor keine Zeit. Keine Zeit zum Jubel, keine Zeit zum Durchatmen. Sie wirbelte herum und rannte um ihr Leben. Schon hörte sie weiteren Hufschlag hinter sich. Zeit für den nächsten Pfeil. Im Lauf legte sie ihn auf, spannte die Sehne des Bogens, blieb stehen, atmete kurz durch, einmal, zweimal, zielen, zielen, jetzt! Der Pfeil flog – und traf den Reiter. Er stürzte schwer und blieb reglos liegen.

      Rückwärtsgehend lud Sirany ihre Waffe und arbeitete sich dabei Stück für Stück Richtung Wald voran. Sie wusste, dass sie verloren war, sollte sie jemals ihr Ziel nicht treffen.

      Jetzt war nur noch ein einziger Reiter übrig. Er war schnell und duckte sich tief über den Hals seines Tieres. Sie konnte das Weiß in den Augen des Pferdes sehen, den Schweiß auf seiner Haut riechen.

      Als der Pfeil sich von der Sehne löste, spürte Sirany bereits, dass sie zu tief gezielt hatte. Er traf den braunen Hengst und verwundete ihn leicht.

      Sirany blieb stehen und legte wie in Trance ihren Bogen zu Boden, wartete auf das Herannahen des Pferdes. Sie sah das Schwert seines Reiters aufblitzen, als dieser es hoch über seinen Kopf hob. Er holte Schwung für den tödlichen Schlag, ließ die Klinge herabsausen.

      In dem Moment tauchte Sirany unter dem Schlag hinweg. Elendar hatte ihr vor langer Zeit diesen Trick gezeigt und ihr dabei anvertraut, dass für den Erfolg eine große Portion Glück vonnöten war. Sirany konnte nur beten, dass sie dieses Glück hatte.

      Fast geschmeidig zog sie ihr Messer, drehte sich um die eigene Achse und rammte die Klinge mit all ihrer Kraft in den Bauch des Pferdes. Das Tier wieherte schrill und bäumte sich auf. Dann brach es mit einem dumpfen Schlag in sich zusammen.

      Die Erde bebte, als es aufschlug. Ärgerlicherweise hatte sich der Reiter rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Er rollte sich geschickt ab und sprang auf die Füße. Langsam hob er sein Schwert, schwer atmend, mit wutverzerrter Miene. Sekunden später lächelte er plötzlich, als hätte er sich selbst einen Witz erzählt. Ihm stand eine junge Frau mit einem Messer gegenüber. Einem Messer. Das konnte doch nicht ihr Ernst sein.

      Sirany war klar: Einen Zweikampf konnte sie nicht gewinnen. Das wusste sie und das wusste ihr Gegner. Das Messer in ihrer Hand wurde feucht von ihrem Angstschweiß. Sie wich vor dem Shari zurück, ihr Herzschlag hämmerte gemeinsam mit dem bösen Lachen des Kriegers in ihren Ohren.

      Sirany hatte keineswegs vor, sich in diesen Nahkampf verwickeln zu lassen. Sie brauchte lediglich etwas Abstand, um besser zielen zu können. Dann wechselte sie blitzschnell den Griff um ihr Messer und schleuderte es mit aller Kraft auf ihren Gegner.

      Es traf ihn mit der Klinge voran direkt in der Brust. Ein ungläubiges Keuchen entrang sich seiner Kehle, als der Getroffene begriff, was geschehen war. Augenblicklich verdrehte er die Augen, brach in die Knie und blieb reglos in dem sich rot färbenden Gras liegen.

      Sirany blieb wie betäubt im kalten Wind der Nacht


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