Mehrsprachigkeit im Unterricht der romanischen Sprachen. Группа авторов
Wolfgang Steinig / Karl Heinz Ramers
Orthographie
Narr Francke Attempto Verlag Tübingen
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© 2020 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG
Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen
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ISBN 978-3-8233-8176-1 (Print)
ISBN 978-3-8233-0060-1 (ePub)
Vorwort
Die Orthografie bzw. die Rechtschreibung ist die staatlich vorgegebene Norm der Richtigschreibung. In Wörterverzeichnissen und im Regelteil von Wörterbüchern sind die korrekten Schreibungen verzeichnet und als Schreibnormen vorgegeben. Wer sich informieren möchte, wie etwas geschrieben wird, schlägt im Duden oder einem anderen Wörterbuch nach. Diese Vorgaben muss jeder Schreiber akzeptieren, der einen fehlerfreien Text schreiben möchte.
Doch einfach nur ungefragt alle Grafien und Regelungen hinnehmen? Auch dann, wenn sie einem merkwürdig oder unlogisch erscheinen? Warum, so kann man sich fragen, haben sich bestimmte Grafien und Regelungen in einer Sprache durchgesetzt und sind in Rechtschreibkonferenzen zum orthografischen Standard erklärt worden? Die Wissenschaft, die sich um Erklärungen bemüht, welcher Logik und welchen Prinzipien ein Schriftsystem folgt, ist die Graphematik. Sie liefert die Theorien, Modelle und Gründe, wie und warum das System unserer Rechtschreibung so entstehen konnte, wie wir es heute vorfinden: aus synchroner und aus historischer Perspektive wie aus der Interessenlage von Schreibern und von Lesern. Mit der Graphematik schaut man hinter die Kulissen von Schreibungen, die uns manchmal eigenartig und willkürlich erscheinen. Sie erlaubt gewissermaßen mit einem Röntgenblick, hinter der Oberfläche der Schreibungen die Prinzipien und die Logik des Systems zu verstehen.
Zur Entwicklung einer erfolgversprechenden Rechtschreibdidaktik ist die Graphematik nützlicher als die Orthografie. Denn auch Schülerinnen und Schüler haben ein Recht darauf zu verstehen, warum man in einer bestimmten vorgegebenen Weise schreiben soll. Sicherlich muss auch im Unterricht vermittelt werden, wie man Wörterbücher benutzt, um darin die korrekte Schreibung eines Wortes nachschlagen zu können. Und auch, wenn man wissen möchte, welche Regeln es zu einem Teilbereich gibt, beispielsweise zur Großschreibung, sollte man diese Information in einem Wörterbuch oder einer Grammatik finden können. Aber darum wird es in unserem kleinen Buch nicht gehen. Wir möchten mit einer graphematischen Perspektive zentrale Bereiche der deutschen Orthografie erklären, und zwar so, dass sie als Grundlage für Erklärungen und Übungen im Unterricht dienen können. Eine linguistisch überzeugende Analyse eines orthografischen Sachverhalts garantiert aber noch nicht, dass sie als Grundlage für eine angemessene Didaktisierung dienen kann. Wie sich Regularitäten und Grafien bei Schreibern zu einem intuitiven Wissen und Können entwickeln, muss keineswegs unmittelbar mit der weitgehend objektiv erkennbaren Sachstruktur der Orthografie in Einklang zu bringen sein. Die didaktische Devise muss sein, nach Modellen und Erklärungen zu suchen, die mit einem möglichst geringen kognitiven Aufwand einem Schreibnovizen plausibel erscheinen und nachvollziehbare Vorstellungen entstehen lassen, so dass er sie zunächst bewusst und nach und nach automatisiert anwenden kann.
Um die Rechtschreibung von Schülern nachhaltig zu verbessern, reicht es nicht, einzelne Übungen ab und zu in den Unterricht einzustreuen. Mit dieser weithin üblichen Patchworkarbeit lässt sich kein grundlegendes Verständnis und keine Systematik entwickeln. Zwar wird es mit der herkömmlichen Methodik immer auch Schüler geben, die zu einer guten Rechtschreibung kommen, vor allem wenn sie häusliche Unterstützung haben, aber schwachen Rechtschreibern aus bildungsfernen Familien kann nur durch eine konsequente, systematische Arbeit geholfen werden. Das Verstehen der graphematischen Gesetzmäßigkeiten ist für alle Schüler das beste Mittel, zu einer sicheren Rechtschreibung zu kommen.
Die Interpunktion wird in diesem Band komplett ausgespart, obwohl sie eine zentrale Komponente der Orthografie des Deutschen bildet. Zum einen hätte eine auch nur halbwegs vollständige Darstellung den Rahmen dieses Lehrbuchs gesprengt, zum anderen bildet die Interpunktion einen relativ eigenständigen Bereich der Rechtschreibung, der nur wenige Berührungspunkte zu den anderen Teilgebieten hat.
Wir möchten uns bei Clemens Knobloch und Viola Oehme, aber ganz besonders bei Reinhard Rascher für ihre Unterstützung bedanken.
Bonn/Rostock im Frühjahr 2020
Wolfgang Steinig und Karl Heinz Ramers
1 Grundlagen
Gemeinhin herrscht die Auffassung, Orthografie sei ein schwer zu durchschauendes Konglomerat aus Regeln und Ausnahmen, mit dem man in der eigenen Schulzeit oft ungute Erfahrungen machen musste. Merkwürdig ist aber, dass zwar viele mit der Rechtschreibung hadern, weil sie ihnen zu kompliziert erscheint, aber wann immer Vorschläge gemacht werden, sie zu vereinfachen, wird vehement dagegen protestiert. Ein Vorschlag von 1954, die satzinterne Großschreibung als eine der größten Fehlerquellen abzuschaffen und im Satzinneren, wie in allen anderen Alphabetschriften, kleinzuschreiben, konnte nicht realisiert werden; der Widerstand in der Bevölkerung war zu stark. Selbst relativ geringe Änderungen zur Vereinfachung von Schreibungen, wie sie in der Rechtschreibreform von 1996 beschlossen wurden, lösten heftige Reaktionen aus und mussten teilweise wieder zurückgenommen werden. Eher konservativ geprägte Menschen scheinen sich mit den Schreibkonventionen ihrer Muttersprache zu identifizieren und kämpfen um ihren Erhalt, selbst dann, wenn sie nur schwer zu erlernen sind. Aber auch diejenigen, die der Überzeugung sind, Rechtschreibung werde in der (bürgerlichen) Öffentlichkeit viel zu ernst genommen, können sich ihrer Wertschätzung nicht entziehen.
Vor Rechtschreibfehlern ist niemand gänzlich gefeit, selbst die besten Schreiber nicht. Aber viele, nicht nur Legastheniker, sind so verunsichert, dass sie möglichst wenig schreiben, um nicht mit ihrer schlechten Rechtschreibung aufzufallen. Selbst dann, wenn man schriftlich noch so kluge Gedanken formuliert: Rechtschreibfehler entwerten einen Text. Besonders in Internetforen werden Diskutanten mit fehlerhaften Texten oft nicht ernst genommen, manchmal auch süffisant verunglimpft. Menschen mit schlechter Rechtschreibung, die ihr privates Glück auf Partnerbörsen suchen, haben geringere Erfolgschancen.
Es besteht Konsens in unserer Gesellschaft, dass man nur dann ein voll akzeptiertes Mitglied unserer Schreibkultur sein kann, wenn man korrekt schreibt. Für eine aktive Teilnahme am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben ist eine korrekte Orthografie unabdingbar (Pabst/Zeuner 2011). Mangelhafte Rechtschreibung beeinträchtigt schulisches und berufliches Fortkommen und beschädigt das Selbstwertgefühl.
Bei der Übergangsentscheidung von der Grundschule auf weiterführende Schulen spielt die Rechtschreibung eine herausragende Rolle (Steinig et al. 2009). Mit Fehlerzahlen in Schülertexten meint man ein objektives Kriterium zu haben, um zuverlässig (zukünftige) schulische Leistungen einschätzen zu können. Das Rechtschreibniveau, das man am Ende der Grundschulzeit erreicht hat, bleibt zwar auch in der Sekundarschule weitgehend stabil (Schneider 2008), aber das bedeutet nicht, dass die Rechtschreibleistung ein guter Prädiktor für die Leistungen in anderen Fächern ist. Dennoch wird die orthografische Kompetenz zur generellen Einschätzung schulischer Fähigkeiten genutzt.
Eine mangelhafte Rechtschreibung beeinträchtigt nicht nur den Schreiber, sondern auch den Leser, denn die Einhaltung orthografischer Regeln dient der Lesbarkeit von Texten. Lesern das Erfassen von Texten zu erleichtern sollte die stärkste Motivation sein, sich die Regelungen der Rechtschreibung anzueignen und zu verstehen.
1.1 Wie bekannt sind die Regeln?
Nahezu