Ich bin kein Ausländer, ich heiße nur so. Amir Shaheen

Ich bin kein Ausländer, ich heiße nur so - Amir Shaheen


Скачать книгу
Sie, in meiner Muttersprache ist es für mich immer noch am einfachsten.“

      Hat sie nicht bemerkt, dass ich in akzentfreiem Deutsch mit ihr rede? Und wenn sie meine Daten im PC aufruft, sieht sie dann nicht, dass ich hier geboren bin?

      Immerhin hatte ihr Blick in meine Daten zum Ergebnis, dass ich das Verzehrprotokoll nicht ausfüllen musste. Na also, dachte ich. Und entschied mich dennoch, den ganzen Käse mal besser nicht wegzuwerfen, sondern aufzuheben und auch mitzunehmen in die Klinik. Wer weiß, wofür’s gut ist, sicher ist sicher.

      Wenige Tage später bekam ich die Hausordnung zugeschickt, zweisprachig, und weitere Informationen, auch die in deutscher und türkischer Sprache, etwa über den im Haus befindlichen sogenannten Sozialdienst. Dessen Aufgabe ist die Betreuung von Patienten hinsichtlich ihrer Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag, was sich im Falle eines Freiberuflers weitestgehend erübrigt. Gleichwie, auch dies eine sehr umsichtige, fürsorgliche Maßnahme, fand ich. Stutzig machte mich lediglich der Name des für mich zuständigen Mitarbeiters beim Sozialdienst: Herr Tütüncü.

      In der Klinik, so erfuhr ich auf deren Website, arbeite ein türkischstämmiges zweisprachiges Behandlungsteam, das auch mit den kulturellen und sozialen Besonderheiten vertraut sei. Denn durch Sprachprobleme und kulturelle Unterschiede ergäben sich oft Missverständnisse zwischen türkischstämmigen Migranten und deutschen Therapeuten. Da es aber für jeden Menschen ein elementares Bedürfnis sei, verstanden zu werden, speziell in einem Arzt-Patienten-Verhältnis, habe die Klinik eigens einen Schwerpunkt für türkische Mitbürger eingerichtet.

      Das ist lobenswert.

      Aber wie ist das, wenn man gar kein Türke ist?

      Ob ich mich vorbereiten sollte, um problemlos mit dem Klinikpersonal kommunizieren zu können? Denn durch Sprachprobleme und kulturelle Unterschiede können sich vermutlich auch sehr leicht Missverständnisse zwischen deutschen Patienten und türkischstämmigen Therapeuten ergeben.

      Die Volkshochschule in meiner Stadt bietet selbstverständlich Türkischkurse an. Außerdem könnte ich die Sprache auch jederzeit bei einer guten Freundin lernen, die als versierte Lehrerin und Dozentin Unterricht in ihrer Muttersprache erteilt. Vor meiner Abreise war die Zeit dazu natürlich zu knapp. Aber ich frage mich, ernsthaft und grundsätzlich:

      Sollte ich Türkisch lernen?

      Dabei spreche ich nicht mal Arabisch…

      Kölschsalam – Warme Worte zur Begrüßung

      „‘S ahl warm!“

      Sagt die Frau auf dem Stuhl rechts neben mir, neigt sich dabei leicht mir zu und strahlt mich an. Kölscher Zungenschlag. Ich nicke.

      „‘S ahl warm!“

      Wiederholt sie und wartet offensichtlich auf eine Bestätigung meinerseits.

      Die Fenster sind weit geöffnet, angenehm warme Luft flutet den Raum, in dem der Stuhlkreis sich langsam füllt. Der Frühling ist endlich gekommen, und wir erleben Ende März bereits einen richtigen Sommertag. Ohne jeden Zweifel wunderbares Wetter, der erste heiß zu nennende Tag des Jahres, da blüht man einfach auf.

      „Ja“, sage ich, „ich find‘s auch toll, dass es endlich warm ist.“

      „‘S ahl warm!!!“

      Insistiert sie. Jetzt, wie mir scheint, geradezu fordernd. Denn sie blickt mich freudestrahlend und voller Erwartung an.

      Ich stutze. Lasse mir das eben Vernommene noch einmal durch den Kopf gehen.

      Mir dämmert, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit gar keinen Kommentar zur aktuellen Wetterlage abgegeben hat. Es ist überdies nicht zu überhören und auch nicht mehr zu übersehen, dass dies keine allgemeine unverbindliche Konversationsaufforderung an die versammelte Runde war, um etwa das als unangenehm empfundene Schweigen bis zum Beginn unserer Veranstaltung zu überbrücken, sondern dass einzig und allein ich höchstpersönlich der Adressat ihrer Äußerung bin. Und nicht etwa auch einer der übrigen Anwesenden in dem Seminarraum, in dem wir nun zum zweiten Mal zusammenkommen.

      Wenn ich es recht bedenke, klang ihre Äußerung zuletzt auch gar nicht mehr so kölsch. Vermutlich hat sie das auch zuvor schon nicht, ich habe sie bloß automatisch so verstanden. Wobei die voreilig von mir für Kölsch gehaltenen Laute, hätten sie denn die von mir angenommene Aussage transportieren sollen, korrekterweise anders hätten ausgesprochen werden müssen, beispielsweise „wärm“ statt „warm“. Da bin ich sicher. Das weiß ich:

      Wer lang schläf, dä schläf sich wärm, wer fröh opsteit, dä friss sich ärm.

      Hm: Et es ahl wärm?

      Nee, das war’s nicht.

      Ihr erwartungsvoll auf mich gerichteter Blick bewirkt nun, dass mein Sprachanalysezentrum vom Hochdeutsch-Kölsch-Verständigungsmodus in den Migrationshintergrund-Obacht-Modus wechselt.

      Und so transponiere ich jetzt die von mir fälschlicherweise als verkürzte kölsche Lautfolge „es ahl warm“ interpretierte Aussage ins Arabische und entschlüssele sie als:

      „Salam!“

      „Alarm!“, meldet daraufhin augenblicklich mein Hirn.

      Fremdsprachliche Kontaktaufnahme durch freundschaftlich gesinnten Mitmenschen erkannt! Fehlidentifikation aufklären! Kosmopolitisch motivierte Verbrüderungsbestrebungen umgehend abwehren! Möglichst ohne Verletzungen. Das bedeutet, jetzt ist mal wieder eine Charmeoffensive vonnöten.

      Die Frau kennt meinen Namen. Sie kann ihn offensichtlich geografisch-kulturell verorten und hat daraus meine vermeintliche Herkunft abgeleitet. Jetzt will sie mir, bildlich gesprochen, die Hand reichen. Das ist gut gemeint, wirklich. Und überaus einladend. So wie sie ihre Geste und auch sich selbst versteht, sollte und will ich sie natürlich auf keinen Fall vor den Kopf stoßen. Etwa, indem ich sage: „Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht. Bitte sprechen Sie Deutsch!“

      Als eloquenter Sprachhandwerker bin ich zwar nicht gerade auf den Mund gefallen, ich sehe mich aber außerstande, mit polyglotten Menschen wie meinem Gegenüber in eine Konversation einzutreten in der Sprache, die sie für meine Muttersprache halten.

      Und das ist auch der Grund, warum ich meist etwas länger brauche, bis ich endlich schalte. Ich fühle mich von arabischen oder pseudoarabischen Grußformeln aus deutschem Munde gar nicht angesprochen. Von Persisch oder Türkisch, auch das kommt vor, ganz zu schweigen. Ich beziehe dergleichen überhaupt nicht auf mich. Wieso sollte ich? Ich bin hier nicht im Urlaub. Ich lebe hier!

      Wieso mich also deutsche Menschen, die mich zuvor bereits in akzentfreiem Deutsch haben reden hören, in einer anderen als eben dieser Sprache ansprechen oder gar eine Unterhaltung in einer fremden Sprache mit mir beginnen wollen, ist für mich immer noch ungewohnt. Und immer wieder mal auch etwas befremdlich.

      Meinen Namen sieht man mir nicht an.

      Schon lange nicht mehr. Früher war das anders. Da hatte ich volles dunkles Haar. Damals wäre es zumindest noch nachvollziehbar gewesen, mich in einer orientalischen Sprache anzusprechen. Aber damals hat das kein Mensch auch nur probiert. Und so blieb es rund vier Jahrzehnte lang. Aber neuerdings…

      Zweifellos war auch die Kenntnis orientalischer Sprachen in meiner Heimatstadt einfach nicht verbreitet. Andererseits bestand dort, jedenfalls früher, auch nicht der geringste Zweifel an meiner Identität.

      Und einzig basierend auf der Annahme, dass ich für jeden sofort ersichtlich nun wirklich nicht typisch arabisch oder sonstwie fremdländisch aussehe und, sobald ich auch nur „Guten Tag“ sage, als Muttersprachler erkannt werden müsste, bildete ich mir lange Zeit ein, ich ginge überall automatisch als Deutscher durch.

      Und aus diesem Grund blende ich meine Abstammung komplett aus.

      Wobei dieses Ausblenden keinesfalls ein bewusster, aktiver Vorgang ist: Ich tue das nicht mit Vorsatz und Absicht – ich denke einfach überhaupt nicht drüber nach.


Скачать книгу