Augen, die im Dunkeln leuchten. Ingo Rose

Augen, die im Dunkeln leuchten - Ingo Rose


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      Ingo Rose / Barbara Sichtermann

      AUGEN, DIE IM DUNKELN LEUCHTEN

      Helena Rubinstein: Eine Biografie

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       www.kremayr-scheriau.at

      ISBN 978-3-218-01225-6

      eISBN 978-3-218-01243-0

      Copyright © 2020 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien

      Alle Rechte vorbehalten

      Covergestaltung (unter Verwendung eines Fotos von akg-images/Mandadori Portfolio), typografische Gestaltung und Satz: Sophie Gudenus, Wien

      Lektorat: Paul Maercker

       Inhalt

       1.Von Kazimierz zum Fünften Kontinent

       2.Ein Verehrer mit ernsten Absichten

       3.Die Eroberung der Alten Welt

       4.Schönheitsbeauftragte für die Neue Welt

       5.Weltmarke Rubinstein

       6.Princess Gourielli

       7.Der dritte Mann

       8.Arbeit bis zum Schluss

       Literatur

       1.

      Von Kazimierz zum Fünften Kontinent

      In Melbourne gab es eigentlich alles: jede Menge Geschäfte, Clubs, Restaurants, Sporthallen, Postämter, Theater, das Rathaus und die Börse. Und wer modebewusst auftreten wollte, fand Frisiersalons, Maßschneidereien und Boutiquen für jeden Geschmack. Und dennoch geschah es im Jahre 1902, dass in der Collins Street ein Etablissement eröffnete, das sofort zum talk of the town wurde. Denn so etwas hatte es bislang in dieser aufregenden Stadt nicht gegeben. Es handelte sich um die Valaze Maison de Beauté, geführt von einer geheimnisvollen jungen Frau, von der man nicht so genau wusste, woher sie kam. Aber das wusste man in Melbourne von den wenigsten. Immerhin kannte man ihren Namen, denn der stand in handgemalten Lettern groß über der Tür: Helena Rubinstein.

      Melbourne war eine Metropole mit kurzer Geschichte, erst in den 1830er Jahren war diese Hauptstadt der australischen Provinz Victoria gegründet worden. Der Name stammte vom seinerzeit als Premierminister im englischen Mutterland amtierenden Lord Melbourne. Anders als die meisten urbanen Brennpunkte Australiens war Melbourne nie eine Strafkolonie gewesen; die Stadt besaß breite Boulevards und große Parks und rühmte sich reizvoller moderner Quartiere sowie einer aufstiegswilligen, innovationsfreudigen Bevölkerung. Nördlich der Kapitale hatte man Gold gefunden – das zog Glücksritter an, die das soziale Klima spannungsvoll aufluden. In Melbourne konnten Abenteurer und Parvenüs neu beginnen – das galt auch für Frauen. Vieles war möglich in dieser Stadt. 1902 war auch das Jahr, in dem Frauen das Wahlrecht errangen. Und sie machten sich in weit größerer Zahl als im traditionsbewussten Europa auf, ihre eigenen Wege zu gehen. Hier gab es außergewöhnlich viele arbeitende Frauen, und die Bürger der Stadt hegten keine Vorurteile gegen sie. Man war gewöhnt an Fräuleins, die morgens in Büros verschwanden und abends in Bars verkehrten. Sie hatten Jobs als Sekretärinnen, Telefonistinnen, Kontoristinnen, Verkaufsleiterinnen. Und das Geld, das sie verdienten, gaben sie gern für persönliche Belange aus. Warum nicht mal die Maison Valaze besuchen? Eine Behandlung dort war nicht billig, aber womöglich ihr Geld wert. Die Inhaberin dieses neuartigen Salons konnte jedenfalls über einen Mangel an Kundschaft nicht klagen. Sie hatte aber auch etwas Außerordentliches zu bieten. Hautpflege war damals eine Angelegenheit, die mit Wasser und Seife erledigt wurde. Und das konnte man sehen. Die australische Sonne und die stete Brise gerbten regelrecht die Haut der Ladies in Stadt und Land. Und jetzt kam da eine junge Frau aus Europa, deren Teint von purem, seidigem Weiß war und die behauptete, dank ihrer Produkte könne jede Frau mit einer vergleichbar schönen Haut durchs Leben gehen. Das musste ausprobiert werden.

      Neben den Ladenmädchen und Kellnerinnen fanden auch die müßigen Ladies der britisch geprägten Oberschicht ihren Weg in den Schönheitssalon. Selbst Prominente schauten vorbei – manchmal ein wenig verschämt, denn welche Frau wollte schon zugeben, dass sie in Fragen der Körperpflege Nachhilfe brauchte?

      Als die in Australien sehr prominente Schauspielerin Nellie Stewart in der Collins Street auftauchte, war das eine Notiz in der Lokalzeitung wert. Die Inhaberin kam persönlich auf die Berühmtheit zu, ergriff deren Hand und erläuterte ihr die Valaze-Produktpalette. Nellie staunte. Sie erfuhr, dass jede Frau einen anderen Hauttyp habe, dass jede ihre individuelle Pflege brauche und dass Reinigung, Erfrischung und Nahrung der Haut mit ganz verschiedenen Essenzen, Lotionen und Cremes zu bewerkstelligen seien. Helena selbst war der beste Beweis dafür, dass Valaze-Creme etwas taugte. Wer konnte eine schönere Haut haben? Auch sonst war die klein gewachsene Person ziemlich reizvoll. Dunkle, weit auseinanderstehende Augen leuchteten in einem ebenmäßigen Antlitz; dichtes, pechschwarzes Haar war im Nacken zu einem Knoten geschlungen.

      „Ich habe mir die nötigen Kenntnisse während meines Medizinstudiums angeeignet“, sagte Helena Rubinstein, „die Zusammensetzung meiner Cremes und Lotionen wird von mir selbst ständig verbessert.“

      „Werden Sie mir mitteilen, was alles in so einer Creme drin ist?“, fragte Nellie neugierig.

      „O nein, das kann ich nicht tun“, lächelte Helena. „Die Formel ist geheim.“

      „Ich verstehe.“ Nellie klappte ihren Fächer zu. „Bitte packen Sie mir drei Tiegel dieser vielversprechenden Creme ein. – Aber über Ihren Werdegang erzählen Sie mir doch noch ein wenig …?“

      Während Helena die Creme in drei Näpfchen füllte, gab sie der berühmten Kundin einen kurzen Einblick in ihr Leben. Sie sei sechsundzwanzig Jahre alt, aus Krakau in Polen gebürtig, wo ihr Vater Horaz Rubinstein ein weitläufiges Landgut besitze. Während ihres Medizinstudiums habe sie sich in ihren Kommilitonen Stanislaw verliebt und ihn heiraten wollen, aber der Papa habe Nein gesagt und sie zu Verwandten nach Wien geschickt, damit sie dort auf andere Gedanken komme und womöglich einen passenderen Mann finde.

      „Ich stellte dann fest: Ich wollte überhaupt nicht heiraten, stattdessen mein eigenes Geschäft eröffnen. Kosmetik hat mich immer schon fasziniert. Hier in Australien leben zwei meiner Onkel. Hierher wollte ich auswandern und ein Unternehmen gründen. Wie Sie sehen, habe ich es geschafft.“

      Nellie schaute sich um und nickte begeistert. Der Salon war mit weißen Vorhängen, leichten Korbmöbeln und viel Blumenschmuck wirklich hübsch eingerichtet, kein Wunder, dass die Damen sich gerne hier aufhielten und die wohlriechenden Salben erwarben. „Ich werde meine Kolleginnen zu Ihnen schicken“, sagte Miss Stewart zum Abschied. „Machen Sie sich auf eine kleine Invasion gefasst. Allein unser Ballett besteht aus zwanzig Mädchen, die alle schön sein wollen.“ Bevor sie ging, schrieb sich Nellie die Adresse der Maison de Beauté auf einen Zettel und dachte bei sich: Unglaublich, was diese kleine Frau auf die Beine gestellt hat.

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