Dr. Norden Bestseller Box 13 – Arztroman. Patricia Vandenberg
er war stolz, daß er seinem Jungen die Möglichkeit geben konnte und Rainer sie genutzt hatte. Er konnte mit Stolz und Genugtuung auf die vergangenen Jahre zurückblicken und darauf, was ihm geschenkt worden war.
Nun würde junges Glück in dem Haus wohnen, das er erbaut hatte. Eine schöne Wohnung wartete auf Tini, und Schwiegereltern, die sie von Herzen willkommen hießen.
Und Achim konnte an der Hochzeit teilnehmen, wenn er auch im Rollstuhl in die Kirche gefahren werden mußte. Inzwischen hatte er begriffen, daß nur er schuld hatte an dem Unglück. Er konnte niemanden dafür verantwortlich machen, auch Sepp nicht. Er hätte nein sagen können. Dr. Reichert und auch sein Vater hatten es ihm endlich beibringen können. Sein trotziges Aufbegehren war verstummt. Er begann seine Fehler einzusehen, als sie nicht mehr verschwiegen wurden. Auch Erwin Rogner hatte den Mut gefunden, das auszusprechen, was er dachte.
Eine Woche vor der Hochzeit war er länger als sonst bei Achim geblieben, da Lucy noch manches vorbereiten wollte.
»Jetzt habt ihr Tini viel lieber als mich«, hatte Achim gesagt. »Euch macht es gar nichts aus, daß ich im Krankenhaus liegen muß, wenn ihr Hochzeit feiert.«
»Es macht uns sehr viel aus, Achim«, hatte Erwin Rogner erwidert. »Aber jetzt denk mal nach, mein Junge. Du bist immer vorgezogen worden. Du hast sehr viel bekommen, was Tini und Ulla versagt worden ist. Wenn du etwas angestellt hast, habe ich meine schlechte Laune an ihnen ausgelassen. Wenn sie mal einen Dreier schrieben, wurde ich schon wütend. Für dich habe ich immer eine Entschuldigung gehabt, wenn du sogar einen Fünfer geschrieben hast. Stimmt es, oder stimmt es nicht?«
»Ja, das stimmt schon«, gab Achim zu. »Sie sind ja auch von der vierten Klasse aus ins Gymnasium gekommen. Ich bin eben nicht so gescheit wie sie. Und jetzt werde ich es überhaupt nicht mehr schaffen.«
»Das wollen wir erst einmal sehen. Du mußt den guten Willen haben, Junge.«
»Ich möchte wieder zu Hause sein«, sagte Achim. »Und ich möchte dabeisein, wenn Tini heiratet.«
Dr. Reichert hatte es erlaubt, denn Achims Genesung hatte während der letzten Tage große Fortschritte gemacht. Bis er wieder laufen konnte, würden noch Wochen vergehen, aber sitzen konnte er, und er hatte sich auch schon mit seinen Schulbüchern beschäftigt. Ulla lernte jeden Tag mit ihm eine Stunde. Sie wurde nicht ungeduldig. Sie hatte ihm auch das weiße Hemd angezogen und die Samtschleife gebunden. Und sie war es, die seinen Rollstuhl schob, als das Brautpaar zum Altar schritt. Erst nach ihnen folgten die Eltern, Erwin und Lucy Rogner, Martin und Käthe Bichler.
Ihnen folgten Helmut und Andrea Sommer. Helmut Sommer und Erwin Rogner waren die Trauzeugen. Für Andrea war es der erste Auftritt als junge Mutter in der Öffentlichkeit. Der kleine Andy wurde indessen von Sonja und Bernd betreut. Für sie war dieser Tag mindestens so schön wie eine Hochzeitsfeier, vielleicht sogar eine Art Generalprobe. Sonja, das Baby im Arm wiegend, erklärte nämlich ihrem Mann, daß sie sich für Dienstag der kommenden Woche bei Dr. Leitner angemeldet hätte.
Er schwieg dazu lieber noch, aber er freute sich an dem hübschen Anblick, den seine Frau mit dem Kind im Arm bot, und er hegte die Hoffnung, daß auch das Kinderzimmer in ihrem Haus nicht immer leerstehen würde.
Auch Rainer hatte solch eines bereits eingeplant in der Wohnung, die das schönste Hochzeitsgeschenk für seine Tini werden sollte. Erst nach dem Festmahl im Elternhaus sollte sie diese zum ersten Mal sehen.
Ganz froh war sie aber schon, als Achim seine Arme um ihren Hals schlang und sagte: »Ich wünsche euch ganz viel Glück, Tini. Es war schön in der Kirche. Bitte, seid nicht mehr böse mit mir. Ich möchte euch keinen Kummer mehr machen.«
Es tat schon weh, in sein vernarbtes Gesicht zu blicken, aber er lebte. Er konnte daheim sein. In seinem schönen hellen Zimmer stand ein Vogelbauer mit einem blauen Wellensittich, der ihm Gesellschaft leisten sollte, denn immer konnte Lucy nicht bei ihm sitzen.
*
Weihnachten stand vor der Tür. Endlich konnten sie sich wieder freuen, tiefer und inniger als je zuvor. Daß des Lebens ungemischte Freude keinem Irdischen zuteil wurde, hatten sie erfahren.
»Weißt du, Lucy«, sagte Erwin Rogner, »wir haben zu wenig an uns gedacht, genau gesagt, ich zu wenig an dich. Für die Kinder wollten wir ein eigenes Haus haben. So lange hat es gedauert, bis unsere Älteste nun schon ihr eigenes Heim hat, und es wird wohl auch der Tag kommen, an dem wir allein hier sitzen in dem großen Haus. Wird es uns dann noch gefallen?«
Lucy ließ ihren Blick in die Ferne schweifen. »Dann werden vielleicht die Enkel kommen, Erwin. Vielleicht, sage ich. Zu weit will ich die Gedanken nicht mehr in die Zukunft schweifen lassen. Die Tür wird offenstehen, wenn sie kommen wollen. Was können wir denn mehr hoffen? Umsonst ist es nicht gebaut worden. Wir haben uns einen Wunsch erfüllt. Es gibt keine Hindernisse, über die nicht auch ein Rollstuhl fahren kann. Die Bäume, die wir pflanzen, gehören uns.«
»Und unsere Tini hat auch ein Heim, aus dem sie nicht vertrieben werden kann.«
»Sie wird niemals ein Kündigungsschreiben bekommen«, sagte Lucy.
»Sie wird mit ihren Schwiegereltern unter einem Dach leben«, seufzte er.
»Es sind liebe, gute Menschen. Sie mögen Tini, und unsere Tini ist nicht streitsüchtig.«
»So habe ich das auch nicht gemeint, Lucy. Rainer hat das große Los gezogen.«
»Tini aber auch«, meinte Lucy lächelnd. »Nun war es doch eine schöne Hochzeit, und es war gut, daß Achim dabeisein konnte, sonst hätte er sich ausgeschlossen und bestraft gefühlt. Daraus können Aggressionen entstehen, hat Dr. Norden gesagt.«
»Du hast mit ihm darüber gesprochen?«
»Das mußte ich. Ich will nichts mehr falsch machen.«
»Ich auch nicht, meine Liebe«, sagte er leise, »aber wird es am Ende Achim helfen können?«
»Dr. Norden wird uns mit Rat und Tat zur Seite stehen.«
Erwin Rogner hegte Bedenken, daß Achim Dr. Norden akzeptieren würde. Unwillkürlich wanderten seine Gedanken zu jenem Tag zurück, als Helmut Sommer durch Achims Leichtsinn verletzt wurde. Damit hatte alles angefangen und weite Kreise gezogen. Ein Ereignis zog das andere nach sich, seltsam sich aneinanderfügend, Böses und Gutes.
Er ging zu Achim ins Zimmer. Lucy hatte ihn schon zu Bett gebracht. Er unterhielt sich mit dem Wellensittich.
»Er kann ganz deutlich reden«, sagte er. »Man kann ihm sicher noch viele Worte beibringen.« Nachdenklich sah er seinen Vater an. »Ich habe auch schon viel gelernt, Vati. Es ist so gut, daß ich wieder zu Hause sein darf, und es ist ein so wunderschönes Zimmer. Das habe ich gar nicht verdient.«
»Tini und Rainer haben sich damit besondere Mühe gegeben, Achim.«
»Und ich habe ihnen gar nichts geschenkt. Aber
ich könnte ja etwas basteln, etwas ganz Schönes,
worüber sie sich auch freuen. Hilfst du mir ein bißchen dabei, wenn ich nicht zurechtkomme?«
»Zunächst wollen wir mal sehen, was Dr. Norden erlaubt.«
Achim errötete. »Er wird wohl öfter kommen«, sagte er. »Ist er nicht mehr böse auf mich?«
»Er hat dir geholfen und wird dir weiter helfen, und es ist nicht böse gemeint, wenn man vorgehalten bekommt, was man falsch gemacht hat. Nur aus Fehlern kann man lernen.«
»Nur, wenn man die Fehler einsieht«, sagte Achim ganz ernsthaft. »Ich weiß das jetzt, Vati. Ich weiß, daß ich euch großen Kummer bereitet habe.«
»Nun wird alles gut werden, mein Junge«, sagte Erwin Rogner weich.
»Nur mit der Oberschule wird es wohl nichts werden, aber ich könnte dann vielleicht bei Rainer arbeiten. Das würde mich schon interessieren.«
»Bis dahin wird noch viel Wasser die Würm hinunterfließen, Achim. Aber wenn man guten Willens ist, kann man viel erreichen,