Der kleine Fürst Staffel 12 – Adelsroman. Viola Maybach
… Ich will hören, dass du sagst, du hast nichts an«, klärte er sie auf.
»Ohhh.« Verena zögerte. »Nun gut: nichts. Ich habe nichts an. « Obwohl sie ganz allein in ihrem Bett lag in ihrem einsamen Mansardenzimmer, spürte sie, wie in ihre Wangen Farbe stieg.
»Ehrlich?«, fragte Markus.
»Nein. Ich trage eine alte verbeulte Jogginghose und ein übergroßes T-Shirt.« Verena lachte vergnügt.
»Dann lassen wir das. Ich stell mir lieber die andere Version vor, die nicht ehrliche. – Soll ich dir was sagen?«, meinten er übergangslos.
»Ja, Markus?«
»Ich vermisse dich.«
Verena klappte ihr Handy zu und lauschte dem eigenen Herzschlag. Nichts anderes war zu hören, die Nacht hatte sich nun wirklich wie eine sanfte Decke über die Stadt gelegt.
Müde und erschöpft, ja das war sie immer noch, dennoch wusste sie, dass sie so bald nicht würde einschlafen können. Eine seltsame Unruhe hatte sie ergriffen.
Fast wie in Trance stand Verena auf und stellte sich zu ihrer Staffelei. Nur zarte Aquarelle hatte sie seit ihrer Trennung von Bernd malen können. Wie Nachtfalter hingen ihre Bilder an den Wänden ihres Zimmers und gaben im Mondlicht nur schemenhaft ihre Farben preis. Genau wie sie selbst, die ihre Gefühle immer hinter der Maske der Vernunft verborgen hatte.
Das war gestern, wusste Verena in diesem Moment. Heute will ich etwas Anderes!
Sie griff nach den Tuben mit der Ölfarbe und spannte eine Leinwand auf die größte Holzplatte, die sie finden konnte. Und dann begann sie zu malen.
*
Über die Wiener und ihren Kaffeehauskult hatte sich Verena immer lustig gemacht, als sie noch in Hamburg gewohnt hatte. Inzwischen hatte sie die Bedeutungen dieser Institution für die Wiener verstehen gelernt. Kaffeehaus, das hieß Atmosphäre, Lebensstil und Wesensart. Das Kaffeehaus der Wiener war alt und verraucht, ein bisschen muffig und verschnörkelt. Der Kellner war arrogant, aber gleichzeitig bediente er beflissen seine Gäste. Das Ganze war ein einziger Widerspruch, und man musste wohl erst in das Leben dieser Stadt eintauchen, um sie zu verstehen.
Das Café Hawelka in der Dorotheergasse hatte eine lange Tradition vorzuweisen, bekannt war es vor allem als früherer Aufenthaltsort vieler bedeutender Schriftsteller.
Markus wartete an einem kleinen Fenstertisch auf Verena.
Gerade eben noch war sie nervös gewesen, doch jetzt, da sie ihn sah, schlug ihr Herz wieder ruhig. Konnte das denn möglich sein? Einen Fremden zu treffen, und zu wissen: Das ist er? Hier gehöre ich hin? Mit Bernd hatte sie das nie so erlebt, aber gut, mit dem hatte sie schließlich schon als kleines Kind im Sandkasten gespielt …
Markus erhob sich und lächelte ihr zu. »Servus Verena«, sagte er.
Er küsste sie auf die Wange, und sie atmete den Duft seines Rasierwassers, fühlte das zarte Kratzen der Bartstoppeln auf ihrer Haut. Am liebsten wäre sie in dieser Position erstarrt.
Sie bestellten Melange und Apfelstrudel obwohl es hier eine Spezialität gab, die man unbedingt probiert haben musste, wie Markus erklärte: Buchteln mit Vanillesauce. Aber die Beschreibung dieser Mehlspeise überzeugte Verena, dieses Abenteuer auf ein andermal zu verschieben, denn heute Mittag war sie von Anna mit Kaiserschmarren abgefüllt worden.
»Es klingt toll, wirklich, aber ich koste das beim nächsten Mal. Ich fürchte, ich werde in dieser Stadt noch zur Kugel gemästet!«
Markus ignorierte ihren letzten Einwand. »Das nächste Mal? Abgemacht, so kann ich wenigstens sicher sein, dass wir einander wiedersehen!« Der junge Mann strahlte mit der Nachmittagssonne um die Wette.
»Und? Hast du letztens noch gut geschlafen?«, fragte Markus nach einer Weile und legte seine Hand neben die von Verena.
»Na ja, nicht gleich.« Verena spürte eine drängende Wärme von seinen Fingerspitzen ausstrahlen. Noch berührten sie einander nicht. Und dennoch fühlte es sich an, als würden die Enden ihrer Finger versengt.
»Ich habe noch ein Bild gemalt«, gestand sie nun, »und etwas völlig Neues gemacht. Einen großen Schinken in Öl.«
»Gleich nach unserem Gespräch?«, fragte er interessiert, und dann fragte er das Naheliegende: »Kann das vielleicht etwas mit uns beiden zu tun haben?«
Verena hob den Kopf und sah ihm offen in die Augen. »Ja, ich glaube schon, dass das mit uns zu tun hat, Markus.«
Die goldenen Sprenkel in seinen braunen Augen glänzten wie Sterne. Seine Hand bewegte sich leicht, und mit der Kuppe seines Daumens streifte er nun Verenas Hand. Sie fühlte ein Prickeln bis in die Schulter hinaufsteigen. Nun umschloss er mit festem Griff ihre Finger. Langsam näherte sich sein Gesicht dem ihren. Der Bogen seiner vollen Lippen öffnete sich leicht. Auch Verena neigte ihren Kopf …
»Wen haben wir denn da?« Diese schrille Stimme hatte Verena nicht vergessen, und so wusste sie sofort, wer an ihren Tisch getreten war. Es war die schöne Reiterin von neulich. Ihre schwarzen Haare trug sie nun offen, und die schweren Locken fielen weich über den Kragen ihres grauen Chanel-Jäckchens.
»Gabriela«, sagte Markus mühsam beherrscht. »Was machst du denn hier?«
»Ach, Darling, ich wollte dich nur an den Geburtstag von Sonjas Mutter erinnern. Dass du hier bist, war nicht schwer zu erraten«, lachte die Angesprochene. »Du bringst deine Eroberungen doch immer ins ›Hawaleka‹. Dran wird sich auch nie etwas ändern! Das weiß übrigens auch die Sonja, weshalb du dir vielleicht ein neues Stammlokal für deine Techtelmechtel suchen solltest!« Sie zwinkerte anzüglich.
Verena spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit glühten. Dabei hatte sie doch nichts Unrechtes getan! Sie zog ihre Hand von der Tischplatte und lehnte sich so weit wie möglich zurück.
»Ähem, darf ich vorstellen?«, sagte Markus nun. »Verena, das ist meine Schwester Gabriela.«
Die dunkle Schönheit verzichtete auf ein Händeschütteln und warf Verena stattdessen ein lässiges Winken zu. »Keine Angst, ich will euch nicht weiter stören. Bin schon weg!« Laut schlug die Kaffeehaustür hinter ihr zu.
»Darf’s noch was sein, die Herrschaften?«, wandte sich nun der Ober an die beiden jungen Leute, die auf einmal sehr schweigsam beisammen saßen.
»Nein danke. Ich möchte gern zahlen«, murmelte Markus.
Ohne Verena noch einmal in die Augen zu schauen, holte er eine schicke Ledergeldbörse heraus und legte einen zehn Euro-Schein auf den Tisch. »Stimmt schon, danke.«
Die besondere Stimmung zwischen ihnen war dahin. Verlegen standen sie einander gegenüber und wussten nicht, wie sie wieder an den Anfang kommen sollten. Dabei war das alles, was sie wollten.
»Darf ich dich nach Hause begleiten?«, fragte Markus schließlich.
Verena zuckte hilflos mit den Schultern.
»Ich würde mir gern dein neues Bild ansehen. Und natürlich auch die alten …«, stammelte er.
»Wenn du magst«, sagte sie nach einigem Zögern.
Beide trotteten nebeneinander her durch die abendlichen Straßen, bogen in den Kohlmarkt ein und schauten in die Auslagen der exklusiven Designergeschäfte: Louis Vuitton, Gucci, Cartier, Tiffany. Viele Touristen waren unterwegs und genossen diesen Höhepunkt ihrer Reise.
In der Auslage der Hofkonditorei Demel war eine Torte in Form eines Märchenpalastes ausgestellt. Bis zum kleinsten Türmchen waren alle Verzierungen aus Zuckerguss. Von einer Balustrade winkte eine kleine Zuckerprinzessin, und unten im Palastgarten saß ein Zuckerpfau und schlug ein Zuckerrad.
»Ist das nicht entzückend?«, rief Verena, und mit einem Mal waren Verlegenheit und Enttäuschung wieder fort.
Zart legte Markus seinen Arm um ihre Schulter. »Ja, der Demel ist für seine Kunstwerke berühmt!«, sagte er. »Außerdem gibt es hier eine