Der kleine Fürst Staffel 12 – Adelsroman. Viola Maybach
in Ordnung mit dir?«, fragte Theo scheinheilig.
»Aber ja, Onkel Theo. Ich finde es toll, dass du wieder eine junge Künstlerin entdeckt hast.« Markus’ Stirn glänzte vor Schweiß.
Die Eltern hatten inzwischen ein anderes Thema aufgegriffen. Gräfin Gerlinde erzählte von einer Ausstellung, die sie kürzlich besucht hatte. Da sie so abgelenkt waren, konnte Theo seinem Neffen zuraunen: »Sag mir, was dich bedrückt, Junge. Was hältst du davon, deinem alten Onkel später ein Glas Whisky anzubieten, oben, in deiner Wohnung?«
Vom ›Graben‹ her wehte leises Stimmengewirr herüber. Noch immer schlenderten vereinzelte Nachtschwärmer durch die warme Abendluft. Von jenseits des Donaukanals blinkten die Leuchtreklamen der Hochhäuser. Markus reichte seinem Patenonkel ein Glas, lehnte sich an die Brüstung seiner Terrasse und schaute ins Leere. Ins Leere richtete er dann auch seine Beichte. Währender sprach, wurde ihm klar, wie sehr er Sonja mochte. Sie war seine beste Freundin. Es wurde ihm aber auch deutlich bewusst, dass er sie nicht liebte. Wenn er an Liebe dachte, kam ihm ein anderer Name in den Sinn …
»Warum hast du dich von Verena getrennt, Markus?«, fragte der alte Herr sanft.
»Sie hat sich von mir getrennt, Onkel Theo. Sie hat mich verlassen. Sie wollte nichts mit einer reichen Familie zu tun haben. Und schon gar nicht mit einem Grafen. Sie hat in Hamburg mit dem Sohn einer Fernsehfirma schlechte Erfahrungen gemacht. Dieser Kerl hat sie ausgenutzt. Und sie glaubt wohl, ich bin genauso, nur weil ich kein armer Schlucker bin. Verena hielt mich für einen einfachen Tischler. Das habe ich leider nicht richtig gestellt.«
»Und deine Verlobung mit Sonja? Hast du Verena davon erzählt? Könnte ja auch ein Grund für ihre Zurückhaltung sein, oder?« Die Eiswürfel im Whiskyglas klirrten leise.
»Ich habe mich doch erst nachher verlobt. Erst als Verena für mich für immer verloren war.«
»Was genau hat Verena zu dir gesagt, Markus?«, wollte Theo Swoboda wissen.
»Gar nichts. Das ist ja das Schlimmste. Sie hat es nicht einmal mir selbst gesagt. Ich habe alles von Gabriela erfahren«, antwortete Markus bitter.
»So, so«, murmelte Theo, für den sich allmählich alles zusammen reimte. »Und wenn das alles nur ein Missverständnis war?«, fuhr er fort.
»Das ändert dann auch nichts mehr. Ich habe Sonja mein Wort gegeben. Ich werde sie nicht im Stich lassen. Und mach dir keine Illusionen – es war sicher kein Missverständnis. Ich war später ja dort und habe versucht, mit Verena zu reden. Sie hat laut und deutlich gesagt: ›Es macht mir etwas aus. Lass mich in Ruhe‹. Die alte Schachtel, bei der sie wohnt, kann das bestätigen.«
»So, so«, sagte Theo wieder und musste schmunzeln. Insgeheim aber dachte er: In genau diese alte Schachtel habe ich mich verliebt. – Doch was Verena betrifft: Was, wenn sie mit ihren Worten die Verlobung gemeint hat? – Ich werde Lilo danach fragen müssen!
*
Aufgeregt stand Theo Swoboda vor dem Spiegel in seiner kleinen Jugendstilwohnung und warf sich schon das dritte Mal den weißen Seidenschal über die Schulter. Wieder verhedderte sich das Ende des Schals. Erst beim fünften Anlauf klappte es.
»Wie ein Teenager«, sagte Theo kopfschüttelnd zu seinem Spiegelbild.
Auf der anderen Seite von Wien ließ sich Lilo von ihrer jungen Freundin die Locken stylen. Sanft knetete Verena einen Klacks Gel in die weißen Haare.
»Mhm, das Zeug riecht gut«, stellte Lilo fest.
»Ja, angeblich nach Honigmelone. Aber das weiß man erst, wenn man es auf der Packung gelesen hat«, antwortete Verena.
Es hatte den Anschein, als wäre die junge Frau aus dem Gröbsten heraus. Sonst hätte Lilo sie nie einen Abend lang allein gelassen. Verenas herzzerreißende Verzweiflung war einem stillen Kummer gewichen, der sie aber nicht mehr loszulassen schien. Ein Kummer, der es ihr erlaubte zu lächeln, wenn etwas lustig war, und zu nicken, wenn sie vor Begeisterung hätte tanzen sollen.
Es war nur noch eine Woche bis zu ihrem großen Tag. Aber anstatt nervös herumzurennen, wie sie Lilo, es an ihrer Stelle getan hätte, wurde Verena mit jedem Tag ruhiger. Es war fast so, als könnte gar nichts schiefgehen, weil ohnehin schon alles schiefgegangen war.
»Aber was soll denn schiefgehen, Gnädigste?«, fragte Theo verwundert und schob Lilo den Stuhl zurecht. Für ihr erstes Rendezvous hatte er sie in die ›Meierei‹ vom Volksgarten geführt, zum Fünf-Uhr-Tee, wie in der guten alten Zeit.
»Ach ich weiß nicht. Theo, ich war vor jeder Premiere immer so furchtbar aufgeregt. Ich konnte nichts mehr essen, nicht mehr schlafen, und ich fürchte, ich war keine nette Zeitgenossin. Natürlich hat Verena keinen Grund zur Nervosität – ihre Bilder sind großartig, aber sie braucht ja bei ihrer Vernissage keine Show abzuliefern – aber ich mache mir Sorgen.«
»Sie hat Liebeskummer. Und vielleicht können wir ihr helfen.« Theo zwinkerte verschwörerisch und begann ihr seinen Plan darzulegen.
Lilo hatte ihm schweigend zugehört, war ihm kein einziges Mal ins Wort gefallen und hatte sich auch jeglicher Kommentare enthalten. Jetzt aber streckte sie ihren ohnehin makellos geraden Rücken noch weiter durch und sagte: »Dann haben Sie ihr die Ausstellung nur ermöglicht, weil sich Ihr Neffe in sie verliebt hat?«
»Nein, Verehrteste. Ich wusste ja gar nichts von den beiden. Außerdem ist mir die Malerei heilig. Das Potential, das in Verena steckt, das habe ich gleich erkannt, als sie mir ihre Mappe gebracht hat. Sie hat mir’s vielleicht nicht angesehen, weil ich manchmal ein grantiger alter Mann bin.«
»Und das soll ich Ihnen glauben?«, fragte Lilo und lächelte kokett.
»Auf welchen Teil meiner Aussage bezieht sich Ihr Zweifel?«, gab Theo zurück. »Auf mein Kunstverständnis, auf die Vermutung, dass ich bisweilen schlecht gelaunt bin oder auf die traurige Tatsache meines Alters?«
»An Ihrem Kunstverständnis, mein Lieber, gibt es keinen Zweifel. Ich kann Sie mir durchaus auch schlecht gelaunt vorstellen. Über Ihr Alter dürfen Sie sich aber bei mir nicht beklagen, immerhin liegen Sie mit Sicherheit ein Stückerl hinter mir zurück.«
»Da müsst’ ich ja noch in den Kindergarten gehen!«, rief Theo und lachte schallend.
*
Das kleine Kellertheater in Ottakring war restlos ausverkauft. Ferdinand Siebenstein, Autor des Stückes ›Himbeersorbet mit Zitrone‹, Regisseur und Hauptdarsteller in einem, rannte hinter der Bühne nervös auf und ab.
»Ihr werdet nie erraten, wer da unten im Publikum sitzt!«, rief er, und seine Stimme überschlug sich vor Aufregung.
»Wer?« – » Sag schon!« – »Spann’ uns nicht auf die Folter!«, bedrängten ihn die anderen Schauspieler.
»Da sitzt eine Frau ganz hinten in der letzten Reihe, die sieht aus wie die Benedikt!«
»Die Benedikt? Das kann nicht sein. Jeder weiß, dass sie nicht mehr aus dem Haus geht. Sie hat sich völlig zurückgezogen.«
»Dann schaut doch selbst nach, wenn ihr mir nicht glaubt!«
»Dafür ist jetzt keine Zeit mehr. Wir müssen auf die Bühne!«
Der provisorische Vorhang – zusammengenäht aus alten Picknickdecken – hob sich wieder, und der Applaus schwoll erneut an. Sonja verneigte sich und strahlte vor Glück. Noch war sie in ihrer Rolle gefangen. Noch war sie eine starke, selbstbewusste Frau. Kaum senkte sich der Vorhang zum letzten Mal, als die Wirklichkeit wieder von ihr Besitz ergriff. Ihre Schultern zogen sich zusammen, sie senkte den Kopf, ihre Schritte wurden kleiner. Sie war wieder die schüchterne Sonja Rütter.
»Sonja! Da ist jemand für dich gekommen.«
»Wer denn? Markus oder Gabriela? – Ein junger Mann mit dunklen Locken? Eine junge Frau mit schwarzen Haaren?«
»Eher nicht«, gab die Kollegin trocken zur Antwort.
Aber da schaute die weißhaarige