Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern – Band 3. Benedikt Sturzenhecker
VIII, verbrieften Rechte auf Partizipation in hohem Maße zu ignorieren.
Daran mitzuwirken, Kindern und Jugendlichen eine hörbare Stimme zu geben, ist ein wichtiges Anliegen der Bertelsmann Stiftung, das wir seit vielen Jahren verfolgen. Deshalb wurde im Jahr 2009 die Initiative „jungbewegt – Für Engagement und Demokratie.“ gestartet. Zielsetzung ist es, Kindertagesstätten, Schulen und Jugendarbeit dabei zu unterstützen, jungen Menschen Chancen für die Mitgestaltung ihres Umfeldes zu eröffnen. Von Anfang an standen dabei sowohl die einzelne Einrichtung als auch die Frage der sozialräumlichen und kommunalen Vernetzung im Fokus. Die Herausforderung: Partizipation junger Menschen muss in den Binnenstrukturen der Einrichtungen durch entsprechende Qualifikationen pädagogischer Fachkräfte gestärkt werden – der Blick darf aber an den Türen der Häuser nicht enden, wenn die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen soll. Ein besonderes Anliegen ist es uns, dabei auch diejenigen einzubeziehen, die mit gesellschaftlichen Ausgrenzungen konfrontiert sind, sei es durch ihre ethnische, kulturelle oder soziale Herkunft, ihren Bildungshintergrund, ihre sozioökonomische Lage, ihr Geschlecht oder ihre Religion.
Hier setzt das Konzept „Gesellschaftliches Engagement von Benachteiligten fördern“ (GEBe) an, das auf Initiative der Bertelsmann Stiftung unter wissenschaftlicher Federführung von Professor Dr. Benedikt Sturzenhecker (Universität Hamburg) erarbeitet wurde. Es war zunächst auf die Benachteiligten als wichtigste Zielgruppe der Offenen Kinder- und Jugendarbeit bezogen. GEBe wurde in zwei Phasen entwickelt. In der ersten Phase (2012 bis 2015) wurde erprobt, wie lebensweltliche Themen Anlass der Partizipation von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen werden können. Darauf aufbauend wurde in der zweiten Phase (2015 bis 2018) der Ansatz im Rahmen einer Exploration mit dem Nachbarschaftsheim Berlin-Schöneberg weiterentwickelt, um Einrichtungen dabei zu unterstützen, sozialräumliche Dimensionen einzubeziehen. Wenn Kindern und Jugendlichen zum Beispiel in ihrem Kiez Freizeitmöglichkeiten fehlen oder sie aus ihren informellen Treffpunkten verdrängt werden, können diese Probleme nur kooperativ mit Akteuren des Sozialraums und der Kommune bearbeitet werden. Hierfür benötigen die Fachkräfte vertiefte Kompetenzen.
So entstand ein erweitertes Konzept. Es fokussiert nicht ausschließlich auf benachteiligte Kinder und Jugendliche, sondern bezieht sich auf alle jungen Menschen, die in Stadtteilen oder Bezirken von Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe erreicht werden. Es geht nun nicht mehr nur um Offene Kinder- und Jugendarbeit, sondern auch um alle Angebote für Kinder und Jugendliche im jeweiligen Sozialraum, zum Beispiel die Kindertageseinrichtungen, die Ganztagsbetreuung, die Eltern- und Erziehungsberatung, die Schulsozialarbeit, die Jugendkulturarbeit, die Jugendverbände und Vereine oder auch die Hilfen zu Erziehung. Ebenso sind im Sozialraum die lokale Politik und Verwaltung, die Gemeinwesenarbeit, Baugenossenschaften und Geschäftsleute einzubeziehen.
Mit den nun drei Bänden zur Förderung gesellschaftlich-demokratischen Engagements von Kindern und Jugendlichen schlagen wir differenzierte und erprobte Praxiskonzepte vor. Sie setzen bei den lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen an und greifen ihre Handlungsstile und politischen Artikulationsweisen auf. Nur so können wir dazu beitragen, dass junge Menschen ihr Recht auf Mitwirkung an Gemeinwesen und Gesellschaft wahrnehmen können.
Unser besonderer Dank gilt an dieser Stelle Professor Dr. Benedikt Sturzenhecker für die langjährige Zusammenarbeit. Seine innovativen Impulse haben unsere Handlungsansätze immer wieder geschärft. Wir danken Thomas Glaw und Moritz Schwerthelm für die engagierte Begleitung der Explorationsphase mit dem Nachbarschaftsheim Berlin-Schöneberg und die Dokumentation ihrer Arbeit in diesem Band, ebenso allen weiteren Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beiträgen die Bezüge unserer Arbeit zu den aktuellen fachwissenschaftlichen Debatten herausgearbeitet haben.
Wir freuen uns, wenn diese Publikation Ihnen neue Ideen für Ihre Arbeit gibt, und hoffen, dass Kinder und Jugendliche mehr und bessere Möglichkeiten bekommen, gehört zu werden und demokratisch Einfluss auf die Belange ihres Lebens in Gemeinwesen und Gesellschaft zu nehmen.
Bettina Windau Director Programm Zukunft der Zivilgesellschaft | Sigrid Meinhold-Henschel Senior Project Manager Projektleitung „jungbewegt – Für Engagement und Demokratie.“ Programm Zukunft der Zivilgesellschaft |
Anleitung zur Lektüre
Benedikt Sturzenhecker
Dieses Buch besteht aus zwei Teilen:
A | der Begründung, dem methodischen Konzept und den konkreten Prozesserfahrungen zum Modellprojekt „Kooperativ in der Kommune: Demokratisches Engagement von Kindern und Jugendlichen fördern (KoKoDe)“ sowie
B | einer Vertiefung der GEBe-Methode – Gesellschaftliches Engagement von benachteiligten Kindern und Jugendlichen fördern –, die dem Modellprojekt KoKoDe zugrunde liegt.
Der Band wendet sich vor allem an Fachkräfte aller Felder der Kinder- und Jugendhilfe sowie an die Träger dieser Organisationen. Es geht also um die Kita, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Ganztagsbetreuung, Schulsozialarbeit, Jugendkulturarbeit, Familienbildung, Stadtteilarbeit usw.
Zu Teil A
Für Fachkräfte und Träger wird gezeigt, wie man in den Einrichtungen die lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen entdecken, sie mit diesen dialogisch klären und gemeinsam angehen kann – dafür steht die GEBe-Methode. Auf dieser Basis können die Einrichtungen im Stadtteil, im Dorf, in der Kommune kooperieren und gemeinsam ihre Adressat*innen darin unterstützen, die entdeckten Themen, Konflikte und Problemstellungen selbst vor Ort einzubringen und in der Kommune demokratisch umzusetzen.
Insbesondere der zweite Aspekt wird in diesem Teil des Buches betont: Es geht darum, wie die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ihre Vereinzelung überwinden und ausgerichtet an den Themen und Interessen der jungen Menschen die Kommune als demokratisches Handlungsfeld kooperativ eröffnen können. Die schon lange bestehende Forderung von Partizipationskonzepten, Sozialraumorientierung und Bildungslandschaften, die Kinder und Jugendlichen zu unterstützen, als Subjekte und Bürger*innen nicht nur ihre Einrichtung, sondern auch das gesellschaftliche Leben und Arbeiten vor Ort demokratisch mitzubestimmen und mitzugestalten, wird mit dem KoKoDe-Modell umgesetzt.
Wie grundsätzliche Arbeitsweisen dabei aussehen könnten und wie das alles in einem konkreten Praxisprojekt funktioniert hat, wird im ersten Teil des Buches erläutert.
Zunächst führt Benedikt Sturzenhecker in die konzeptionelle Begründung und in die methodische Arbeitsweise des KoKoDe-Modells ein. Anschließend beschreibt Thomas Glaw die Ziele, die methodischen Schritte und konkreten Erfahrungen, Erfolge sowie Schwierigkeiten der praktischen Realisierung des Modells anhand des Nachbarschaftsheims Schöneberg in Berlin.Thomas Glaw hat das von der Bertelsmann Stiftung geförderte und von Benedikt Sturzenhecker begleitete Projekt als Koordinator geleitet. Möchte man als Fachkraft oder Träger wissen, wie die vorgeschlagenen Arbeitsweisen umgesetzt wurden und ob und wie sie funktioniert haben, sei dieser Text empfohlen.
Auch der dann folgende Beitrag schildert konkrete Praxiserfahrungen. Innerhalb des Modellprojekts KoKoDe fand am Standort Steglitz-Nord des Nachbarschaftsheims Schöneberg ein konkretes Projekt mit unterschiedlichen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe im Stadtteil statt. Es hat erprobt, wie man als Kita, als Ganztagsschule oder in der Offenen Jugendarbeit die lebensweltlichen Themen der Kinder und Jugendlichen zusammen entdecken und aufgreifen kann. Nina Vormelchert hat dieses Teilprojekt als Koordinatorin geleitet und stellt die Prozesserfahrungen vor. Die beteiligten Jugendhilfeeinrichtungen entdeckten nicht nur die ihre Adressat*innen betreffenden Themen, sondern kooperierten auch mit anderen Organisationen im Viertel, zum Beispiel mit einer Baugenossenschaft, einer Kirchengemeinde und einer Seniorenwohnanlage, um die Projekte zu realisieren.
Benedikt Sturzenhecker fasst dann die methodischen Vorgehensweisen aus den Projekten zusammen und folgert daraus sehr konkrete Arbeitsschritte und Handlungsweisen für die Praxis, um demokratisches