Die kleine Trostapotheke. Anselm Grün
umzugehen? Für Jesus entspricht die Traurigkeit den Geburtswehen einer Frau. Das bedeutet: Immer, wenn wir traurig sind, will auch etwas Neues in uns geboren werden. Wir sollten also nicht fixiert sein auf die Traurigkeit, sondern sie nach der Geburt befragen, die in uns geschehen soll. Wir sollten uns also weder beschimpfen, wenn wir traurig sind, noch sollen wir in Traurigkeit versinken. Wir sollten sie vielmehr befragen, was sie uns sagen will, was da neu in uns wachsen möchte. Wenn wir dem trauen, was in uns wächst, dann wandelt sich die Traurigkeit in Freude.
Die Traurigkeit wird verwandelt, wenn das innere Kind in uns geboren wird, das göttliche Kind, das unserem wahren Wesen entspricht, in dem das einmalige Bild aufleuchtet, das Gott sich von jedem von uns gemacht hat.
Jesus sagt, dass unser Herz sich freuen wird, wenn er uns wiedersieht. Und diese Freude wird uns niemand mehr nehmen. Es ist also eine andere Freude als nur eine schöne Emotion. Die Freude, die uns Jesus schenkt, ist eine göttliche Wirklichkeit. Wenn wir Christus in uns spüren, dann spüren wir auch die Freude.
Manchmal machen wir eine spirituelle Erfahrung: Da geht uns auf einmal das Geheimnis unseres Lebens auf. Oder wir spüren eine innere Nähe zu Jesus. Es ist dann eine mystische Erfahrung, die man nicht herbeizaubern kann, die uns aber geschenkt wird. Wir können die Worte Jesu auch noch anders verstehen. Jesus erfahren heißt auch: mit seinem wahren Selbst in Berührung zu kommen. Wenn alle meine Forderungen, die ich an mich stelle, wegfallen, wenn ich einen tiefen inneren Frieden darüber spüre, dass ich einfach ich selbst bin, dass ich mich nicht beweisen muss, sondern einfach bin, dann spüre ich eine innere Freude. Ich muss dann die Freude nicht »machen«. Sie kommt über mich. Dann habe ich die Worte Jesu verstanden. Und ich spüre: Diese Freude ist unabhängig von äußeren Ereignissen, unabhängig von der Zustimmung oder Ablehnung anderer. Sie ist einfach in mir, in der Tiefe meiner Seele. Diese Freude kann mir niemand nehmen, kein Mensch und auch kein Schicksal.
Ansgar Stüfe
Wir können nicht immer fröhlich sein. Schon von Kindheit an müssen wir lernen, auf etwas zu verzichten, das wir sehnsüchtig erwartet haben, und das macht uns traurig. Dazu eine persönliche Erinnerung:
Ich war vielleicht vier Jahre alt, als meine Mutter eine kurze Reise antreten wollte. Sie fragte mich, ob ich mit ihr fahren wolle. Gleichzeitig bot mir meine Tante einen Ausflug an, an dem ich auch unbedingt teilnehmen wollte. So stieg meine Mutter in den Zug, und ich blieb bei meiner Tante. Der Ausflug war mir wichtiger. Als der Zug sich in Bewegung setzte, wollte ich doch noch einsteigen. Es war jedoch schon zu spät. Ich weinte bitterlich und war sehr traurig. Diese Geschichte blieb mir in tiefer Erinnerung, weil ich damals lernte, dass ich allein die Ursache dafür war, dass ich traurig war. Andererseits hätte mich jede der beiden Entscheidungen traurig gemacht. So lernte ich, dass sogar Alltagsentscheidungen traurig machen können. Der Trost in solchen alltäglichen Situationen liegt in der kurzen Dauer. Die Zeit verdrängt die Traurigkeit, und andere Vorgänge verlangen Aufmerksamkeit.
Anders wirken anhaltende Situationen, in die ich über längere Zeit gestellt bin. Die Arbeit und der Arbeitsplatz sind bevorzugte Orte, die traurig stimmen. Das fängt schon an, wenn jemand einen neuen Arbeitslatz antritt: Die unbekannten Mitarbeiter, Arbeitsweisen und Methoden strömen auf ihn ein, er muss mit Menschen zurechtkommen, denen er sonst sicher aus dem Weg gehen würde. Oft tauchen auch Zweifel auf, ob man mit den Herausforderungen zurechtkommen kann. Nicht zuletzt übt die Chefin oder der Chef Druck auf die Seele aus.
Ich arbeitete einmal in einem Krankenhaus, in dem der Chefarzt der Chirurgie ein seltsamer Mensch war. Er liebte es, seine Mitarbeiter während der Operation bloßzustellen und mit Fragen Unwissen zu beweisen. Wir jungen Mitarbeiter waren zunächst hilflos und wurden traurig. Es kam mir sogar der Gedanke, dass ich im falschen Beruf gelandet sei. Eines Tages behauptete dieser Chirurg etwas, das nicht stimmte. Ich nahm allen Mut zusammen und widersprach ihm. Das imponierte ihm so, dass er mich als persönlichen Assistenten einsetzte. Zwar tat mir diese Änderung gut, aber meine innere Traurigkeit wurde nicht besser, weil die Gesamtsituation in der Abteilung immer noch dieselbe war.
Ich wechselte die Stelle und eine drückende Last schwand von mir. Traurigkeit kann also von äußeren Situationen abhängig sein. Der Trost kommt dann aus der eigenen Freiheit, die Situation zu verändern. Wer traurig gestimmt ist, sollte immer nach den eigenen Chancen Aussicht halten. Es kostet Kraft, diese Chance wahrzunehmen. Die Anstrengung lohnt sich aber, weil nach der Traurigkeit innere Kräfte frei werden.
Traurig werden wir aber auch durch schlimme Verluste, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das ist der Fall, wenn jemand stirbt, der uns nahesteht, wenn ein Partner die Freundschaft oder Ehe aufgibt oder durch Krankheit Behinderungen auftreten, die nicht wieder ausheilen. Dann hilft die Zeit als Trost nicht mehr, weil der Verlust bleibt. Eine Änderung der Situation ist nicht mehr möglich. Manche stürzen sich in äußere Vergnügungen oder greifen zu Alkohol und Drogen. Das sind jedoch keine Lösungen, weil diese Maßnahmen eigene Probleme mit sich bringen. Was bleibt dann noch als Trost?
Fast jeder Mensch kennt Situationen oder Gelegenheiten, in denen er sich wohler fühlt als in anderen. Leider nimmt die Zahl der Menschen ab, die im Gebet Trost finden, obwohl es eine der bewährtesten Trostarten ist. Ich kenne eine Krankenschwester in unserem Krankenhaus in Afrika. Ihre beiden Kinder sind gestorben. Sie ist seitdem recht schwermütig geworden. Sie überlebt aber dadurch, dass sie täglich den Gottesdienst besucht und auch sonst oft betet. Es ist ja das große Versprechen Jesu, den Menschen beizustehen, die in Trauer sind. Viele haben heute keinen Zugang mehr zu religiösen Praktiken. Sie können sich jedoch auf die Suche machen, was ihnen guttut. Das kann eine Wanderung in der Natur sein oder auch die Arbeit im Garten. Die Frische der Natur und die neu entstehende Kraft dort kann positiv auf uns wirken. Auch Musik, Kunst und Schönheit in all ihren Facetten kann Freude machen. Ganz besonders hilft, wenn jemand sich anderen widmen kann, denen es schlecht geht. Das gibt paradoxer Weise Kraft und macht Freude.
Es geht vielmehr darum, die noch vorhandenen positiven Kräfte zu mobilisieren. Das wirkt, um weiterleben zu können, auch wenn ein Teil der Seele traurig bleibt.
Nun gibt es aber auch Menschen, die so traurig sind, dass sie keine eigenen Kräfte mehr mobilisieren können. Sie sind auf Hilfe anderer angewiesen. Da ist es wichtig, vor sich selbst zuzugeben, dass solche Hilfe notwendig ist. Wenn jemand so gelähmt ist, dass er sich nicht einmal mehr selbst äußern kann, bedarf es anderer, die diese Situationen wahrnehmen und erkennen. Solche Menschen sind rar, aber ein wirklicher Trost und Hilfe für derart Bedürftige. Je nachdem, wie tief traurig jemand ist, kann Trost von innen oder eben auch von außen kommen.
Wenn ich Angst habe
Anselm Grün
Angst kennt jeder. Sie gehört wesentlich zum Tier und zum Menschen. Im Tier erzeugt sie den Drang, entweder mit Kraft zu kämpfen oder möglichst schnell zu fliehen. Bei uns Menschen hat die Angst noch einen anderen Sinn. Sie will uns auf unser Maß aufmerksam machen und uns einladen, uns von falschen Erwartungen und Grundannahmen zu befreien, etwa von der, dass wir keinen Fehler machen dürfen, weil wir sonst abgelehnt werden. Aber oft tauchen Ängste in uns auf, die uns einfach nur lähmen. Wir geraten in Angst und können uns nicht dagegen wehren. Diese Art von Ängsten haben vielerlei Ursachen. Die Bibel erzählt uns von einigen, die über die Menschen kommen und sie bedrücken.
Im Alten Testament gibt es die Geschichte von Joseph, den seine Brüder in die Zisterne werfen, weil sie ihn loswerden, ihn töten möchten. Sie sehen, »wie er sich um sein Leben ängstigte« (Genesis 42,21). Wenn wir bedroht werden, haben wir Angst um unser Leben. Wir möchten gerne weiterleben. Das erfährt auch der Prophet Elija, als Isebel ihn verfolgt und ihn töten möchte. Die Angst treibt ihn an, vor ihr davonzulaufen (1 Könige 19,3). Auch König Saul kennt das Gefühl, als er sah, wie groß das feindliche Lager der Philister war. Er »bekam große Angst, und sein Herz begann zu zittern« (1 Samuel 28,5). Der Evangelist Lukas beschreibt uns die Angst von Eltern, die ihr Kind nicht finden können: Als Maria und Josef ihren zwölfjährigen Sohn nach drei Tagen im Tempel wiederfinden, sagt Maria zu Jesus: »Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht« (Lukas 2,48).
Das Buch der Weisheit im Alten Testament beschreibt die Angst der Menschen in Worten, die man heute wohl ähnlich in psychologischen Büchern finden