Geh nie alleine essen! - Neuauflage. Keith Ferrazzi

Geh nie alleine essen! - Neuauflage - Keith Ferrazzi


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wusste, half sie mir in meinem Leben. Sie lehrte mich eine einfache, aber wichtige Lektion über die Macht der Großzügigkeit. Wenn man anderen hilft, helfen sie einem häufig auch. Das „Gegenseitigkeitsprinzip“ – so nennen die Menschen dieses zeitlose Prinzip im späteren Verlauf ihres Lebens. Ich kannte nur das Wort „mögen“. Wir mochten uns und gaben uns alle Mühe, uns gegenseitig Gutes zu tun.

      Dank dieser Zeit und besonders dank dieser Lektion begriff ich im ersten Semester auf der HBS, dass die ganzen hyper-wettbewerbsorientierten und individualistischen Studenten einen großen Fehler machten. Auf allen Gebieten, aber ganz besonders in der Wirtschaft, stellt sich der Erfolg ein, wenn man nicht gegen die Menschen, sondern mit ihnen zusammenarbeitet. Gegen diese Tatsache kommen keine Tabellen, keine Dollars und keine Cents an: Das Geschäftsleben ist ein menschliches Unterfangen, es wird von Menschen betrieben und gesteuert.

      Das zweite Semester war noch nicht weit fortgeschritten, da sagte ich schon scherzhaft zu mir selbst: „Wie in aller Welt sind eigentlich die anderen hierhergekommen?“

      Ich stellte fest, dass vielen meiner Mitstudenten die Fähigkeiten und Strategien fehlten, die zum Aufbau und zur Erhaltung von Beziehungen gehören. In Amerika und vor allem in der Welt der Wirtschaft, wird man dazu erzogen, den Individualismus à la John Wayne hochzuhalten. Menschen, die anderen bewusst den Hof machen, damit sie an ihrem Leben teilhaben können, gelten als Schleimer, Arschkriecher und schmierige Speichellecker.

      Im Laufe der Jahre lernte ich, dass die gewaltige Anzahl der Vorurteile, die das Bild der aktiven Beziehungsaufbauer verdüstern, nur noch von der Anzahl der Falschauffassungen darüber erreicht wird, wie der richtige Aufbau von Beziehungen funktioniert. Was ich auf dem Golfplatz erlebt hatte – dass Freunde ihren Freunden und Familien anderen Familien halfen, die ihnen etwas bedeuteten –, hatte nichts mit Manipulation oder mit Gegenleistungen zu tun. Nur selten wurde darauf geachtet, wer was für wen getan hatte, oder gab es eine Strategie, die man ausheckte, um etwas zurückzubekommen.

      Nach und nach betrachtete ich das Zugehen auf Menschen als Möglichkeit, sowohl im Leben anderer Menschen etwas zu bewirken als auch mein eigenes Leben zu erforschen, daraus zu lernen und es zu bereichern; es wurde die bewusste Konstruktion meines Lebensweges. Als ich meine Networking-Bemühungen in diesem Licht betrachtete, gestattete ich mir, sie in allen Bereichen meines beruflichen und privaten Lebens hemmungslos fortzusetzen. Ich empfand das aber nicht als so kalt und unpersönlich, wie ich das Wort „Networking“ verstand. Es war eher so, dass ich „Verbindungen“ herstellte – ich teilte mein Wissen, meine Mittel, Zeit und Energie, Freunde und Kollegen, Einfühlungsvermögen und Mitgefühl in dem stetigen Bemühen, anderen Nutzen zu bieten, wobei ich gleichzeitig meinen eigenen Nutzen steigerte. Wenn man als „Connector“ – als Bindeglied, als soziale Schaltstelle – fungiert, geht es genauso wie beim Geschäft an sich nicht um das Managen von Transaktionen, sondern um das Managen von Beziehungen.

      Menschen, die instinktiv ein starkes Beziehungsnetz aufbauen, haben schon immer großartige Unternehmen geschaffen. Wenn man die Geschäftswelt auf das Wesentliche reduziert, geht es nach wie vor darum, dass Menschen anderen Menschen etwas verkaufen. In dem gewaltigen Brimborium, das die Geschäftswelt unaufhörlich um alles Mögliche macht, um Marken, um Technologie, um Design, um Preisüberlegungen und die endlose Suche nach dem ultimativen Wettbewerbsvorteil, geht der Grundgedanke leicht verloren. Aber fragen Sie einen beliebigen gestandenen CEO, Unternehmer oder sonstigen Geschäftsprofi, wie er seinen Erfolg erreicht hat; ich garantiere Ihnen, dass Sie kaum Geschäftsjargon zu hören bekommen. Vor allem werden ihnen diese von denjenigen Menschen erzählen, die ihnen den Weg geebnet haben – falls der Befragte ehrlich und nicht zu sehr von seinem eigenen Erfolg eingenommen ist.

      Nachdem ich jahrzehntelang in meinem Leben und in meiner Karriere die Macht der Beziehungen mit Erfolg angewendet habe, bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass „Connecting“ zu den wichtigsten Fertigkeiten gehört, die man im Beruf – und im Leben – je lernen wird. Warum? Weil, ehrlich gesagt, Menschen einfach lieber Geschäfte mit jemandem machen, den sie kennen und mögen. Karrieren funktionieren – auf allen erdenklichen Feldern – auf die gleiche Weise. Und wie Bibliotheken füllende Forschungen bewiesen haben, werden selbst unser allgemeines Wohlbefinden und unser Glückgefühl zum großen Teil von der Unterstützung, der Leitung und der Liebe diktiert, die wir von der Gemeinschaft empfangen, die wir uns aufbauen.

      Es hat eine Weile gedauert, bis ich genau herausgefunden hatte, wie man Verbindungen zu anderen knüpft. Aber eines wusste ich mit Gewissheit: Egal ob ich Präsident der Vereinigten Staaten oder Präsident des Elternbeirats werden wollte, auf jeden Fall gab es viele andere Menschen, deren Hilfe ich auf dem Weg dorthin benötigen würde.

       Selbsthilfe – eine falsche Bezeichnung

      Wie macht man aus einem Bekannten einen Freund? Wie bringt man andere Menschen dazu, dass sie sich emotional für Ihr Fortkommen einsetzen? Warum gibt es Glückspilze, die nach einer Geschäftssitzung genug Verabredungen zum Essen für einen ganzen Monat und ein Dutzend potenzielle neue Mitarbeiter in der Tasche haben, während andere nur Bauchschmerzen haben? Wohin muss man gehen, damit man die Art von Menschen trifft, die das eigene Leben am stärksten beeinflussen können?

      Von meiner frühesten Jugend in Latrobe an saugte ich aus allen erdenklichen Quellen Klugheit und Rat auf – von Freunden, aus Büchern, von Nachbarn, Lehrern und meiner Familie. Mein Durst nach mehr war unstillbar. Aber im Berufsleben geht meiner Erfahrung nach nichts über den Einfluss von Mentoren. In allen Stadien meiner Laufbahn suchte ich mir die erfolgreichsten Menschen in meiner Umgebung aus und bat sie um Hilfe und Leitung.

      Was ein Mentor wert ist, lernte ich zuerst bei einem Rechtsanwalt namens George Love. Er und der Börsenmakler der Stadt, Walt Saling, nahmen mich unter ihre Fittiche. Ich war von ihren Geschichten über das Leben als Selbstständiger und von ihren klugen Sprüchen voller Know-how gefesselt. Mein Ehrgeiz fiel auf den fruchtbaren Boden von Georges und Walts ausufernden Geschäftseskapaden, und seither hielt ich immer Ausschau nach Menschen, die mir etwas beibringen oder mich inspirieren könnten. Im späteren Verlauf meines Lebens, als ich mit Unternehmenslenkern, Ladenbesitzern, Politikern und Entscheidungsträgern jeglicher Couleur verkehrte, bekam ich langsam ein Gefühl dafür, wie die erfolgreichsten Menschen unseres Landes auf andere zugehen und wie sie diese Menschen dazu einladen, ihnen beim Erreichen ihrer Ziele zu helfen.

      Ich lernte, dass echtes Networking darin besteht, nach Möglichkeiten zu suchen, anderen Menschen zu mehr Erfolg zu verhelfen. Man muss sich bemühen, mehr zu geben, als man bekommt. Und ich gelangte zu der Überzeugung, dass es eine Litanei knallharter Prinzipien gibt, die diese weichherzige Philosophie erst ermöglichen.

      Diese Prinzipien sollten mir schließlich helfen, Dinge zu erreichen, die ich mir eigentlich nicht zugetraut hatte. Sie sollten mir Chancen bescheren, die einem Menschen meiner Herkunft eigentlich verwehrt waren, und sie sollten mir zu Hilfe kommen, wenn ich gelegentlich wie jeder andere auch Fehler machte. Nie war diese Hilfe so bitter nötig wie bei meinem ersten Job nach der Business School bei Deloitte & Touche Consulting.

      An den üblichen Anforderungen gemessen war ich ein fürchterlicher Consultant-Anfänger. Wenn man mich damals vor eine Tabellenkalkulation setzte, bekam ich einen glasigen Blick; und genau das passierte auch, als ich über meinem ersten Projekt saß und zusammen mit ein paar anderen Berufsanfängern in einem fensterlosen, vom Boden bis zur Decke mit Akten angefüllten Raum in irgendeiner Vorstadt über einem Meer von Zahlen brütete. Ich versuchte es; ich versuchte es wirklich. Aber ich konnte es einfach nicht. Meiner Überzeugung nach musste eine derart schlimme Langeweile tödlich sein.

      Ich war auf dem besten Weg, gefeuert zu werden oder selbst zu kündigen.

      Zum Glück hatte ich damals schon ein paar der Networking-Regeln angewendet, die ich gerade lernte. Wenn ich nach Feierabend nicht unter Schmerzen versuchte, irgendeine vor Zahlen überquellende Tabelle zu analysieren, nahm ich Kontakt zu ehemaligen Kommilitonen, Professoren, früheren Chefs und allen Menschen auf, denen Beziehungen zu Deloitte vielleicht etwas bringen könnten. An den Wochenenden hielt ich auf kleineren Konferenzen im ganzen Land Vorträge zu verschiedenen Themen, die


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