Man trifft sich stets zweimal (Teil 2). Mila Roth

Man trifft sich stets zweimal (Teil 2) - Mila Roth


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zum Geheimdienst wissen, der getarnt als Meinungsforschungsinstitut agierte und für den sie fast ein Jahr lang als zivile Hilfskraft tätig gewesen war, bis ... Ja, bis zum 10. Mai, an dem Markus und ein weiterer Mann bei der Explosion einer Yacht auf dem Rhein bei Bingen getötet worden waren.

      Seitdem hatte das Institut zu ihrer Sicherheit jeglichen Kontakt unterbrochen. Zwar hatte Markus' Abteilungsleiter, Walter Bernstein, ihr versprochen, sich zu melden, sobald die Frau, die vermutlich für den Anschlag verantwortlich war, gefasst wurde, doch bisher war dies noch nicht geschehen.

      »Ich finde das total blöd von den Leuten, dass sie dich nicht einstellen, bloß weil jemand gestorben ist.« Till schnappte sich seine Windjacke vom Haken an der Garderobe und legte sie auf seinen Koffer. »Immerhin hätten sie dir ja seinen Job geben können.«

      Beinahe hätte Janna gelacht. »Das hätten sie nicht tun können, denn dazu habe ich gar nicht die richtige Ausbildung, Till. Er ... Der Mann, der bei diesem Unfall ums Leben gekommen ist, war für die Leitung der neuen Abteilung vorgesehen, und ich sollte seine Assistentin werden. Jetzt, wo er«, sie schluckte, »nicht mehr da ist, haben sie wohl keinen Ersatz für ihn, und deshalb kann ich auch die Stelle nicht antreten, weil es sie gar nicht mehr gibt.«

      So hatte sie erklärt, warum sie die angebotene Stelle doch nicht bekommen hatte, denn gleich nach den schrecklichen Ereignissen war sie am Boden zerstört gewesen und hatte viel geweint. Sie hatte ihrer Familie eine plausible Begründung für ihre Trauer liefern müssen, also hatte sie versucht, so nahe bei der Wahrheit zu bleiben, wie nur irgend möglich.

      »Trotzdem blöd«, beharrte Susanna und setzte sich auf ihren Koffer. »Es wäre doch toll gewesen, wenn du mitfliegen könntest.«

      »Der Gewinn war doch sowieso nur für vier Personen«, versuchte Janna sie zu beschwichtigen. »Ihr werdet mit Tante Linda und Onkel Bernhard jede Menge Spaß haben, da bin ich ganz sicher. Und ich kann hier endlich mal ganz in Ruhe klar Schiff machen, mich nach Feierabend im Garten in die Sonne legen und brauche euch Rabauken nicht dauernd alles hinterherzuräumen.« Sie lächelte den beiden zu.

      »Na, was ist, ihr Lieben?« Jannas Mutter Linda kam durch die offenstehende Haustür hereingewirbelt. »Seid ihr fertig? Unser Taxi wird gleich da sein. Habt ihr eure Zahnbürsten? Und die Windjacken? Ah, gut, Till, du hast deine schon griffbereit. Susanna, nimm deine bitte auch in die Hand. Nicht, dass du sie am Ende noch vergisst. Man kann nie wissen, ob das Wetter nicht umschlägt. Für heute haben sie stellenweise etwas Regen gemeldet. Janna, hast du aufgepasst, dass die beiden auch wirklich alles eingepackt haben? Ich habe keine Lust, in Paris noch irgendwelche Sachen einzukaufen, nur weil die beiden die Hälfte hiergelassen haben.«

      Janna schüttelte amüsiert den Kopf über den ungebremsten Redestrom ihrer Mutter. »Keine Sorge, Mama, ich habe die Koffer zweimal kontrolliert. Es ist alles enthalten, was die beiden auch nur ansatzweise brauchen könnten. Nur die GPS-Mäuse«, sie hielt die beiden Peilsender demonstrativ in die Höhe, »bleiben hier, und der Laptop ebenfalls. Ihr werdet wirklich mal eine Woche ohne die Dinger auskommen können. Wenn ihr zurück seid, könnt ihr sie auf dem nächsten Geocaching-Ausflug der Pfadfinder wieder einsetzen, aber nicht im Disneyland Paris.«

      »Du hast vollkommen recht, Janna.« Linda nickte zustimmend. »Am Ende verliert ihr die Peilsender noch, und dazu waren sie wirklich zu teuer.«

      »Ich muss sowieso mal neue Batterien für die Dinger besorgen, falls die alten sich irgendwann verabschieden«, ergänzte Janna und schob die beiden plüschigen Schlüsselanhänger demonstrativ in ihre Handtasche.

      Linda klatschte in die Hände. »Dann mal los, ihr beiden, tragt eure Koffer nach draußen. Und vergesst euer Handgepäck nicht!« Seufzend beobachtete sie, wie die Zwillinge ihre Anweisung befolgten, und legte dann ihrer Tochter einen Arm um die Schultern. »Mit den Kindern zu verreisen ist, wie mit einem Sack Flöhe auf Tour zu gehen. Habt ihr wirklich nichts vergessen einzupacken? Dann ist es ja gut. Hier.« Sie reichte Janna einen Schlüsselbund. »Das sind alle unsere Hausschlüssel und die für den Briefkasten und für den Schuppen und so. Häng sie am besten in deinen Schlüsselkasten. Ich fühle mich nicht wohl dabei, sie bei uns im Haus zu lassen.«

      »Mama, ihr wohnt direkt nebenan. Ich passe schon auf alles auf.«

      »Aber wenn jemand einbricht ...«

      »Wer sollte denn einbrechen?« Janna schüttelte lächelnd den Kopf.

      »Na, Einbrecher eben.« Linda hob die Schultern. »Immerhin hast du nicht mal einen Wachhund hier, weil Tante Annegret Bella auf diese Wandertour mitgenommen hat.«

      »Das war eure Idee.« Janna trat an die Tür und beobachtete die Kinder, die aufgeregt um ihre Koffer herumhopsten. »Ich hätte mich wirklich für die paar Tage um Bella kümmern können. Das mache ich doch sonst auch immer gerne, wenn ihr mal wegfahrt.«

      »Ja, aber Tante Annegrets Hündin ist erst vor sechs Wochen eingeschläfert worden, und sie war so traurig darüber. Außerdem hatte sie diese Wanderung mit der Hundegruppe schon so lange geplant, da fand ich es einfach passend, ihr Bella für die zehn Tage auszuleihen. Sie hat sich so darüber gefreut. Wer weiß, vielleicht hilft es ihr ja, über Rickys Tod hinwegzukommen und darüber nachzudenken, sich bald einen neuen Hund anzuschaffen. Das ist, wie ich meine, die beste Medizin gegen den Verlust eines Haustiers. Sie sind wie Familienmitglieder und man trauert sehr, wenn man sie verliert, aber wenn man sich dann um ein neues Tierchen kümmern muss, kann das sehr heilsam sein.«

      »Ich weiß, Mama, ich bin dir ja auch nicht böse deswegen. Ich meine ja nur, dass es meinetwegen nicht nötig gewesen wäre.«

      »Auf diese Weise hast du aber mal für acht Tage absolute Ruhe und sturmfreie Bude.« Linda küsste sie auf die Wange. »Ich glaube, das kannst du auch mal sehr gut brauchen, gerade jetzt, wo das mit deinem Job nicht geklappt hat und du dich schon wieder umorientieren und Ersatzkunden für deinen Büroservice finden musst, weil du die alten schon fast alle weitervermittelt hast.« Liebevoll strich Linda ihrer Tochter eine kupferrote Locke aus der Stirn. »Das Leben spielt schon manchmal verrückt, was?«

      »Ja, leider.« Wie schon zuvor bemühte Janna sich um eine ausdruckslose Miene und Stimme, damit ihre Mutter sich keine Sorgen um sie machte. Niemand außer Janna selbst wusste, dass sie an jenem Tag im Mai ihren besten Freund verloren hatte – und so musste es auch bleiben.

      »Janna, Tante Linda, das Taxi kommt.« – »Schnell, beeilt euch.« – »Onkel Bernhard, komm endlich, sonst fahren wir ohne dich!«

      Die Kinder schrien wild durcheinander, sodass Janna und Linda beide lachen mussten. Linda fuhr sich rasch ordnend durch ihr kurzes, ebenfalls kupferrotes Haar. »Dann mal auf in den Kampf. Hoffentlich haben wir wirklich nichts vergessen.«

      ***

      Drei Stunden später saß Janna an ihrem PC, ihr Headset auf den Ohren, und tippte einen Brief nach Diktat ihres Kunden. Der alte Herr, ein ehemaliger Oberstudienrat, tauschte sich per Briefpost mit einem früheren Schulfreund über die wissenschaftliche Signifikanz von archäologischen Funden in Südamerika aus. Da er mit der modernen Computertechnik auf Kriegsfuß stand und darüber hinaus seinen eigenen Angaben zufolge eine üble Sauklaue besaß, hatte er Janna beauftragt, seine mit Diktiergerät aufgezeichneten Ausführungen zu Papier zu bringen. Nicht die interessanteste Arbeit, denn der Mann liebte verschachtelte und komplizierte Sätze, die mit Fremdwörtern gespickt waren. Aber er zahlte gut, und das war im Augenblick das Wichtigste.

      Der Signalton ihres Handys riss sie aus den Gedanken – ihr Vater hatte ihr eine SMS geschickt, dass der Flug in wenigen Minuten starten und die Reisenden sich gleich nach der Ankunft in Paris wieder melden würden. Lächelnd simste sie Viel Spaß! und spulte ein Stück zurück, weil sie eines der Fremdwörter nicht verstanden hatte. Stirnrunzelnd hörte sie es sich erneut an, öffnete Google in ihrem Browser und gab das Wort, so wie sie es verstanden hatte, in die Suchmaske ein. Da ihr linkes Ohr ein wenig juckte, schob sie das Headset kurz vom Kopf, sodass der Bügel in ihren Nacken rutschte. Als sie die Ergebnisse der Websuche durchsah, schüttelte sie schmunzelnd den Kopf. »Nee, klar, Herr Dr. Otto, da hätten Sie sich aber ein Eigentor geschossen, wenn ich das so geschrieben hätte.« Rasch notierte


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