Seine unschuldige Prinzessin. Grace Goodwin
würde sie zu umwerben. Sogar Lexi und Katie, meine Freundinnen, unterschätzten mich. Klar, ich war nicht besonders groß. Eins-siebenundfünfzig genauer gesagt, und zwar mit Schuhen. Nein, ich war nicht besonders schwer. Aber klein bedeutete nicht gleich schwach oder hilflos. Das hatte mir mein Vater beigebracht. Er war nur Eins-siebzig groß gewesen, aber er war ein Marineinfanterist. Als er aus dem Dienst ausgeschieden war, hatte er mir seine Liebe zur Natur nähergebracht. Wir hatten die Sumpfgebiete in Florida erkundet und im Sommer die wilden Berge von Montana. Bis er starb und meine geliebten Berge sich gegen mich gewendet hatten.
Aber das war ein anderes Leben. Ein anderer Planet. Ein Leben, das ich hinter mir gelassen hatte. Und ein sturer Everianischer Jäger würde mich nicht davon abhalten glücklich zu werden. Vielleicht steckte ja doch ein Hauch Prinzessin in mir.
Ich konnte fast alles aufspüren. Eine Fähigkeit, die ich von meinem Vater gelernt hatte. Aber nach meiner Ankunft auf Everis hatte ich außerdem herausgefunden, dass dies ein Everianisches Talent war, dass meine Fähigkeit zum Aufspüren den Bewohnern dieses Planeten innenwohnte. Ich trug das Mal in meiner Hand, genau wie mein Vater. Aufseherin Egara vom Zentrum für interstellare Bräute zufolge war die Markierung in meiner Hand der Beweis dafür, dass wir von Aliens abstammten, genauer gesagt von Everianern. Ich hatte Jäger-DNA im Blut. Oder eher in meiner Seele. Endlich zu verstehen, warum ich mich nie damit begnügen konnte einfach im Klassenzimmer zu sitzen, warum ich das College abgebrochen und in die Wildnis zurückgekehrt war, war eine Erleichterung gewesen. Meine Freunde auf der Erde hatten meine innere Unruhe nie nachvollziehen können. Sie war immer da gewesen, hatte mich angetrieben. Suchen. Jagen. Etwas. Irgendetwas.
Hierherzukommen war wie ein Traum, der schließlich in Erfüllung ging, als würde ich endlich nach Hause kommen.
Bis mein Partner beschlossen hatte, dass er sich nicht am Prüfstein blicken lassen würde, um mich für sich zu beanspruchen. Er hatte die Markierung in meiner Hand – und meinen Körper – in Flammen gesetzt und war nie aufgetaucht. Blödmann. Dann hatte ich erfahren, dass er entführt oder gefangengenommen wurde und er hatte mir gesagt, dass ich mich von ihm fernhalten sollte, dass ich kein Risiko eingehen und jemand anderes finden sollte. Als ob ich mich von einem anderen Typen begrapschen lassen würde, wenn ich doch wüsste, dass er nicht ‘der Richtige’ war. Ich hatte mich für jemand besonderes aufgehoben, hatte gewartet, damit der erste Sex mehr bedeutete als ein schneller Fick auf dem Rücksitz eines Geländewagens und mein Partner würde mir das nicht nehmen.
Nein. Ich konnte einen Berglöwen über einen Fluss und über einen Berg verfolgen. Ich konnte Alligatoren durch einen Sumpf verfolgen. Ich konnte einen verbohrten, nervigen Partner aufspüren. Und ich war nahe an ihm dran. Er konnte mich jetzt nicht mehr aus seinem Schädel verbannen. Zwei Tage lang war ich in diese Richtung gelaufen und etwas gefolgt, das ich selbst nicht erklären konnte. Es war nichts Sichtbares oder Greifbares. Es gab keine Brotkrumenspur, der ich folgen konnte.
Es war purer Instinkt. Der tiefste Teil von mir forderte, dass ich einen Schritt nach dem anderen in diese Richtung lief. Ich fragte mich, ob es einer Brieftaube auch so erging, wenn sie immer in eine Richtung flog und keine Ahnung hatte warum. Und vielleicht auch niemanden, der sie am Ende ihrer langen Reise zu Hause begrüßen würde.
Ich wischte mir die Tränen von der Wange und rollte mich auf dem Boden zusammen. Mit dem Rücken gegen die Felsen geschmiegt war ich vorm Wind geschützt und die Folie spendete genügend Wärme, damit ich schlafen konnte. Zumindest so viel, wie der stechende Schmerz in meinem Knöchel es zuließ. Es war Morgengrauen und ich war die ganze Nacht hindurch gelaufen. Ich brauchte jetzt ein paar Stunden, um mich zu erholen, um meine alte Verletzung auszuruhen und um die Schwellung abklingen zu lassen.
Ich blickte zum seltsamen Everianischen Himmel auf, wo zwei Monde tief überm Horizont hingen. Der kleinere, silberne Mond hieß Incar und war das bekannteste Gefängnis der Koalition. Der größere, hellgrüne Mond wurde Seladon genannt und er war grün, weil er voller Leben war; der gesamte Mond war ein Anbaugebiet für Everis und ihren Schwesterplaneten in diesem Sternensystem, Everis 8. Ich befand mich auf Everis 7, also technisch betrachtet der Heimatwelt. Die Everianer bezeichneten den anderen Planeten als Nummer Acht und hatten ihn vor mehreren Jahrhunderten kolonisiert. Ich hatte gelesen, dass Acht jetzt eine Bevölkerung von über einer Milliarde hatte und ich fragte mich, ob die Menschen je den Mars kolonisieren würden. Ich versuchte mir vorzustellen, wie unzählige Menschen dort leben und die Erde als ihren Heimatplaneten betrachten würden, ohne sie allerdings je zu besuchen.
Der Gedanke stimmte mich traurig. Aber dieser Tage war ich oft traurig. Frustriert. Wütend.
Auf Gage zu warten hatte mir viel Zeit zum Lesen gelassen und als ich dalag und die letzten funkelnden Sterne verblassten, war ich froh. Sie machten diesen Ort weniger fremd, mehr wie mein Zuhause. Und ich hoffte, dass ich meine Entscheidung eine interstellare Braut zu werden nicht bereuen würde, sobald ich ihn gefunden hatte.
Ich war nahe dran. Selbst wach konnte ich ihn jetzt spüren. Seine Energie rief etwas Ursprüngliches in mir hervor und ich wusste, dass ich eher sterben würde, als aufzugeben. Es gab keine logische Erklärung dafür, also versuchte ich nicht länger nachzuvollziehen, was mich hier nach draußen getrieben hatte, meilenweit entfernt von der nächsten Siedlung, um allein und frierend durch eine Bergkette und Schluchten zu wandern, und zwar auf der Suche nach einem Mann, den es womöglich gar nicht gab.
“Sei ruhig, Dani.” Ich zog mir die Decken über den Kopf und schloss meine Augen. “Halt einfach den Mund und finde ihn.”
Ihn aufzuspüren und mit ihm gemeinsam zu träumen war absolut nicht dasselbe. Ich konnte seinen Aufenthaltsort spüren und wurde zu ihm hingezogen, aber das war alles, worauf ich mich verlassen konnte. Ein Gefühl. Bis jetzt, als ich wieder nahe genug an ihm dran war, um mit ihm gemeinsam zu träumen. Er gehörte mir, ob ihm das nun gefiel oder nicht, was bedeutete, dass er mich in seinen Kopf lassen musste. Ihm blieb nichts anderes übrig.
Ich hatte es satt, einen auf nettes kleines Mädchen zu machen. Ich wusste nicht, wer er war oder welche Rolle er auf diesem Planeten spielte. Mir war egal, ob er ein Verbrecher oder Heiliger war, vernarbt und hässlich oder schön wie ein Adonis. Er gehörte mir.
Ich schloss meine Augen und befahl meinem Körper sich auszuruhen. Und meinem Verstand seinen zu finden …
Gage … Traumlandschaft
Wie ein Meister drang sie in meinen Verstand ein, zuerst besänftigte sie meinen auflodernden Schmerz mit Wärme und verführerischen Versprechungen, dann lockte sie mich aus meiner Realität heraus und hinein in eine unvorstellbar schöne Welt.
“Danielle.” Ich flüsterte ihren Namen, als ich felsenfest hinter ihr stand. Sie war merkwürdig angezogen, mit dunkelbraunen Hosen und einer waldgrünen Jacke. Sie trug robuste Wanderstiefel, aber ihr goldenes Haar war offen und die gelbliche Sonne ihrer Welt verwandelte die Strähnen in einen ätherischen Schein. Sie drehte sich zu mir um und reichte mir ihre Hand, ihre blauen Augen blickten warm und hypnotisch.
“Gage. Komm. Sieh, wie schön mein Zuhause ist.” Ich musste einfach die Hand ausstrecken. Unsere Hände berührten sich und sie zog mich an sich heran, sodass ich neben ihr stand und wir eine atemberaubende Berglandschaft betrachteten, mit dem glitzernden Blau und Weiß eines rauschenden Flusses weit unter uns. Der Jäger in mir sog den frischen Duft nach Wald und Frau in meine Lungen; als ob ich am Verhungern war. Das war ich auch.
“Du solltest nicht hier sein, Dani.”
“Wo?” fragte sie und ihr Lächeln war unverschämt und verführerisch und alles was ich mir je erträumt hatte. Sie war perfekt, meine Partnerin. Sie hatte Temperament, Glut und Leidenschaft. Alles, was den Damen in der Hauptstadt fehlte.
“In meinem Kopf, Liebling. In meiner Nähe. Es ist zu gefährlich. Jemand will mich umbringen und ich möchte dich nicht in Gefahr bringen.” Ich trat an sie heran und legte meinen Daumen an ihre Unterlippe, damit ich ihre Weichheit nachzeichnen konnte. Ich wusste, dass es nicht real war. Egal. “Unsere Träume sind alles, was wir je haben werden.”
“Das