Dr. Norden Bestseller Staffel 18 – Arztroman. Patricia Vandenberg
damals, daß wir den alten Streit vergessen sollten. Da war es aus. Ich verlor die Stimme. Ich wollte aufgeben, Hedi. Und nun habe ich einmal einem Menschen all das gesagt, was niemand sonst erfahren hat. Jetzt sag du mir, was ich tun soll.«
»Was kannst du ertragen, Alice?« fragte Hedi.
»Könnte es noch schlimmer kommen?«
»Nehmen wir einmal an, Rex hätte ein Kind«, sagte Hedi leise, »ein Kind, von dem er nichts weiß, deren Mutter ein kurzes Abenteuer für ihn war, und die auch alles tun würde, um zu verhindern, daß dieses Kind je erfährt, was für ein Mensch er ist, wie würdest du dich in diesem Fall verhalten?«
»Wie kommst du darauf? Was weißt du, Hedi? Bitte, sag es mir, damit ich etwas für dieses Kind tun kann.«
»Das Kind ist erwachsen, und ich bin die Mutter, Alice. Simone weiß nichts von diesem Mann, nicht einmal seinen Namen.«
»Simone? So heißt doch das Mädchen, daß mir seine Stimme leiht für diesen Film. Solche Zufälle gibt es doch nicht, Hedi. Schau mich bitte nicht so verzweifelt an. Ich konnte das doch nicht wissen, nicht einmal ahnen.«
»Nein, das konntest du nicht. Niemand konnte es wissen oder ahnen. Es ist Bestimmung.«
»Ich werde es verhindern, daß sie es je erfährt, Hedi. Ich werde ihm alles geben, was ich besitze, damit er endgültig verschwindet. Und ich werde nie mehr filmen. Ich werde mich nicht verstecken. Dieses Kapitel unseres Lebens werde ich Auge in Auge mit ihm beenden.«
Tränen rollten über ihre Wangen, und ihre Hände umfaßten Hedis Arme, als hätte sie Angst, daß diese die Flucht ergreifen würde.
»Du wirst nichts tun«, sagte Hedi tonlos, »gar nichts. Das, was zu tun ist, wird ein Anwalt besorgen. Aber darüber werden wir sprechen, wenn wir geschlafen haben. Ich bin jetzt sehr müde, verstehe das bitte.« Sie neigte sich vor und küßte Alice auf beide Wangen. »Es sollte wohl so sein, daß wir Freundinnen werden«, fügte sie leise hinzu.
»Danke, daß du mich deine Freundin nennst, trotz allem«, flüsterte Alice.
»Wie fühlst du dich, Alice? Sollte ich nicht besser Dr. Cornelius rufen?«
»Nicht für mich. Brauchst du etwas?«
»Nein. Jetzt ist wenigstens zwischen uns alles klar. Und was uns nicht umbringt, macht uns stärker.«
*
Auch Rolf und Irene Hansen hatten bis weit in die Nacht hinein über Alice gesprochen, doch das Wichtigste wußten sie nicht. Der Radiowecker sprang an, zwei Minuten vor sieben Uhr. Sie waren beide Frühaufsteher, da sie es liebten, in aller Ruhe zu frühstücken.
Während Irene zuerst ins Bad ging, hörte Rolf die Nachrichten. Sie brachten das, was ihn mal wieder zu dem Stoßseufzer veranlaßte, daß ihnen hoffentlich der Frieden erhalten bleiben möge, wenn sie auch manche Einschränkungen auferlegt bekämen.
Aber dann kam eine Durchsage der Polizei, die ihn unwillkürlich aufhorchen ließ.
»Heute nacht, gegen halb drei Uhr wurde ein Mann von einem Auto erfaßt und schwer verletzt. Er konnte bisher nicht identifiziert werden. Die Beschreibung des Mannes: Alter ungefahr fünfzig Jahre. Er ist mittelgroß, schlank, hat graumeliertes Haar und blaugraue Augen. Er trug einen grauen Anzug und einen hellen Trenchcoat. Die Etiketten in der Kleidung lassen darauf schließen, daß er Ausländer sein könnte. Auskünfte bitte an die nächste Polizeidienststelle.«
Mittelgroß, schlank, grauer Anzug, ging es Rolf durch den Sinn, aber das paßte wohl auf viele Männer. Und dennoch ließ ihn der Gedanke nicht los. Er sprach mit Irene darüber.
»Du kannst immerhin mal nachfragen«, sagte sie beklommen.
Er nickte. Und bevor die jungen Leute aufgestanden waren, machte er sich schon auf den Weg.
Auf dem Polizeirevier erfuhr er, daß der Mann ins nächstgelegene Krankenhaus gebracht worden sei. Papiere hatte er nicht bei sich gehabt, aber von einer Pension sei hereits angerufen worden, daß es sich um einen Reginald von Bergen handeln könne, der dort abgestiegen sei, aber seit dem Vormittag des vergangenen Tages nicht mehr in die Pension zurückgekehrt wäre.
Rolf fuhr zum Krankenhaus, und es gelang ihm, den Oberarzt zu sprechen. Der erklärte ihm, ohne große Worte zu machen, daß der Verletzte vor einer halben Stunde verstorben sei.
»Der Mann hätte ohnehin nicht mehr lange zu leben gehabt«, fügte er hinzu. Er muß vor nicht allzu langer Zeit einen schweren Unfall gehabt haben und litt außerdem an einer Hepatitis. Es sei auch eindeutig erwiesen, daß der Fahrer des Wagens keine Schuld gehabt hätte. Und dann sagte er auch noch, daß man ihm sehr verbunden wäre, wenn er sagen könne, wer die Kosten übernehmen würde.
»Das werde ich tun«, erklärte Rolf Hanson.
»Das wird die Krankenhausverwaltung freuen«, sagte der Arzt. »Wenn Sie es bitte gleich regeln würden, erspart es Arbeit.«
Rolf dachte an Alice, als er einen Scheck ausschrieb. Dann aber dachte er an Simone. Was Reginald von Bergen von ihr gewollt hatte, würden sie nun wohl nie erfahren.
Aber wozu auch, ging es ihm durch den Sinn. Er war Alices Bruder gewesen, und nun war er tot. Vielleicht würde sie ihm einmal eine Erklärung geben, aber dieser Tote würde niemanden mehr erschrecken. Daß Rolf dann zu Dr. Norden fuhr, entsprang einer Eingebung.
»Das muß Gedankenübertragung gewesen sein«, wurde er von Dr. Norden empfangen. »Heute morgen rief mein Schwiegervater an. Frau Valborg hat den Wunsch geäußert, sofort informiert zu werden, wenn ihr Bruder nach ihr forschen solle. Sie will ihn sprechen.«
»Er ist tot, sie kann ihn nicht mehr sprechen«, sagte Rolf. »Ich wollte Sie bitten, die Übermittlung dieser Nachricht zu übernehmen.«
»Eine unerwartete Lösung«, sagte Dr. Norden, nachdem Rolf Hanson ihm alles erklärt hatte. »Vielleicht bleibt für uns ein ungelöstes Rätsel zurück, aber das werden wir schon verkraften. Jedenfalls scheint Frau Valborg über den Berg zu sein, und es könnte das Schlechteste nicht sein, wenn man Frau Röcken bezüglich Simone reinen Wein einschenken würde. Sie hat sich sehr mit Alice angefreundet und wird ihrer Tochter möglicherweise den Weg zu einer Karriere nicht mehr verbauen.«
»Hat sie sich dazu schon geäußert? Sie weiß doch noch gar nichts«, sagte Rolf Hanson verblüfft.
»Aber sie hat sich mit einem gewissen Dr. Rassow angefreundet. Das nur zu Ihnen. Ich hoffe, daß sich alles in Wohlgefallen auflöst.«
Über die dramatischen Ereignisse dieser Nacht, die nur Alice und Hedi betrafen, wußte noch niemand etwas. Hedi schlief bis in den lichten Vormittag hinein, während Alice diesmal längst auf den Beinen war und Dr. Cornelius alles das gesagt hatte, was Dr. Norden an Rolf Hanson weitergeben konnte.
Und sie unterhielt sich ganz ruhig mit Anne, als der Anruf von Dr. Norden kam.
Anne umklammerte den Hörer so, daß ihre Knöchel ganz weiß wurden.
»Alice ist gerade bei mir«, sagte
sie. »Meinst du, daß ich es ihr sagen soll?«
»Was sollst du mir sagen, Anne?« rief Alice dazwischen.
»Daniel will es dir selbst sagen«, erklärte Anne und gab den Hörer an Alice weiter. Sie ließ die andere nicht aus den Augen, aber Alice blieb ganz ruhig. »Das ist die beste Nachricht, die ich erfahren konnte zu diesem Zeitpunkt«, sagte sie. »Es mag brutal klingen, aber dieses Begräbnis würde ich mich etwas kosten lassen. Gut, ich rufe Rolf an. Einstweilen meinen besten Dank, Dr. Norden.«
Sie legte den Hörer auf und sah Anne an. »Der Tod löscht alles aus«, sagte sie.
»Es kommt darauf an, wie sehr man einen Menschen geliebt hat, Alice«, flüsterte Anne.
»Ihn hat niemand geliebt. Uns bleibt viel erspart.«
Uns, dachte Anne, als sie davoneilte. Wen meint sie damit? Aber bevor sie sich solchen Gedanken entreißen konnte,