Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman. Marie Francoise
lächelte zu ihm hinauf. »Optimist.«
»Aus deinem Mund klingt das fast wie eine Beleidigung«, meinte Franz und küßte sie, dann wurde er wieder ernst. »Ich weiß genau, wie unsere finanzielle Lage nach einer Hochzeit zumindest in den ersten Jahren aussehen würde, aber es wäre durchaus zu schaffen. Meine Wohnung in Steinhausen ist günstiger als diese hier.«
»Ja, aber auch kleiner«, entgegnete Annemarie. »Wenn du gleich an eine Familie denkst, wird es da bald ziemlich eng werden.« Sie schüttelte den Kopf. »Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, Franz, ich muß zuerst wieder eine Arbeit finden. Wir sind jung, haben also genügend Zeit. Wenn wir ein bißchen was auf der hohen Kante haben, ist es noch früh genug um zu heiraten und Kinder zu haben. Auf das Erbe meiner Eltern will ich nicht warten. An meinem dreißigsten Geburtstag möchte ich lieber schon Mutter sein, als dann erst mit dem Kinderkriegen anzufangen.«
Zärtlich stupste Franz sie an der Nase. »Das ist wieder mal meine umsichtige und vernünftige Annemie. Ich wäre impulsiver… leichtsinniger. Ich würde dich zuerst heiraten und dann darüber nachdenken, wie alles weitergehen soll.«
Annemarie seufzte. »Es hat gelegentlich seine Vorteile, wenn man so sein kann.« Sie lächelte. »Aber auf diese Weise ergänzen wir uns doch ideal. Du ziehst vorwärts, und ich bremse – so finden wir immer den goldenen Mittelweg.«
*
In den folgenden Wochen ging es mit Franz Baumgartners Gesundheitszustand rapide bergab. Wie so oft in letzter Zeit war er auch heute wie erschlagen, als er von der Arbeit nach Hause kam. Er fühlte sich ausgelaugt und müde, hatte zunehmende Gliederschmerzen und immer wieder Kreislaufprobleme. Jeden Abend kostete es ihn mehr Überwindung, in das wenige Kilometer entfernte Geising zu fahren, um sich mit Annemarie zu treffen.
Auch jetzt war Franz nahe daran, seine Verlobte anzurufen und ihr zu sagen, daß er nicht kommen würde, doch dann war seine Sehnsucht nach Annemarie stärker als seine Müdigkeit. Ohne Appetit aß er ein paar Happen, bevor er sich ins Auto setzte und losfuhr. Sein Kopf begann zu dröhnen, der Druck wurde schier unerträglich, und Franz hatte das Gefühl, als würde die Straße vor ihm mit den am Rand stehenden Bäumen verschmelzen. Er nahm den Fuß vom Gas und fuhr sich mit einer Hand über die Augen. Der Druck im Kopf war jetzt so stark, daß Franz glaubte, er müsse jeden Moment platzen. In diesem Augenblick fühlte er etwas Warmes, Feuchtes aus seiner Nase laufen. Noch bevor er die Hand hinhielt, wußte er schon, daß es Blut war.
»Verdammt, schon wieder«, murmelte er, doch im Grunde war er sogar erleichtert. Das Nasenbluten würde den unerträglichen Druck im Kopf leichter werden lassen. Das war in den vergangenen Tagen immer so gewesen. Mit einer Hand suchte er in seiner Jacke nach der Packung Papiertaschentücher, die er immer bei sich hatte. Er wußte, daß er eigentlich anhalten sollte, aber er war ja praktisch allein auf der Straße, konnte also niemanden gefährden.
Das Nasenbluten war diesmal stärker als sonst, und zu seiner eigenen Überraschung fühlte Franz nun auch im Mund Blutgeschmack. Er lenkte seinen Wagen gerade noch an den Straßenrand, aber bevor er anhalten konnte, wurde ihm bereits schwarz vor Augen. Instinktiv trat er auf die Bremse, rutschte aber ab und fühlte, wie der Wagen beschleunigte, doch er schaffte es nicht mehr, den Fuß vom Gas zu nehmen. Dann verlor er das Bewußtsein und bekam auf diese Weise nicht mit, wie der führerlos umherschlingernde Wagen eine mächtige Eiche rammte.
*
Der Tag war für Annemarie Demel wieder nicht besonders gut gelaufen, dabei hatte es schon
so vielversprechend ausgesehen. Entgegen aller Befürchtungen war auf ihre Bewerbung bei einer kleinen Privatklinik im Münchner Osten eine positive Antwort gekommen. Man hatte Annemarie zu einem Vorstellungsgespräch gebeten, aber als es soweit war, gab sich der Direktor dieser Klinik plötzlich sehr kühl und sachlich mit dem Ergebnis, daß sie die freie Stelle nun doch nicht bekam. Der Grund dafür lag auf der Hand, denn Annemarie sah noch, wie nach ihr eine junge Frau ihres Alters das Büro des Direktors betrat, ihn umarmte und zärtlich Onkel Willi nannte. Höchstwahrscheinlich würde sie die Stelle bekommen, weil sie über beste Beziehungen zum Klinikdirektor verfügte.
Niedergeschlagen war Annemarie heimgekommen, und nur der Gedanke, daß Franz in ein paar Stunden da sein würde, konnte sie noch aufmuntern. Doch es wurde Abend, und Franz kam nicht. Zuerst dachte Annemarie noch an Überstunden, doch je weiter die Zeit voranschritt, um so größer wurde ihre Sorge. Ein paarmal rief sie bei Franz an, doch niemand meldete sich – ein deutliches Zeichen, daß er unterwegs sein mußte. Schließlich stand sie nur noch am Fenster, starrte in die Dunkelheit und bekam bei jedem sich nähernden Scheinwerferlicht Herzklopfen, doch die wenigen Autos, die den Weg durch das winzige Geising fanden, fuhren vorbei.
Mittlerweile machte sich Annemarie keine Sorgen mehr um Franz, sondern vibrierte innerlich vor Angst, daß ihm etwas zugestoßen sein könnte. In den vergangenen Wochen war er ihr überhaupt recht seltsam vorgekommen, doch auf ihre besorgten Fragen hin hatte er locker reagiert und behauptet, es wäre nur eine harmlose Erkältung, die ihn heimgesucht hätte und die er nicht los würde, weil er sich im Betrieb immer wieder von neuem anstecke. Annemarie hatte ihm geglaubt, weil es ihr manchmal ähnlich ergangen war, als sie noch gearbeitet hatte.
Schließlich hielt Annemarie es nicht länger aus. Sie trat zum Telefon und wählte die Nummer von Dieter Krause, Franz’ bestem Freund.
»Dieter, hier ist Annemarie«, gab sie sich zu erkennen und versuchte nicht einmal, die Angst in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Ich warte seit über zwei Stunden auf Franz. Weißt du, wo er stecken könnte?«
»Tut mir leid, Annemarie«, entgegnete Dieter bedauernd. »Ich habe ihn seit letzter Woche nicht mehr gesehen.«
»Ich habe solche Angst«, gestand Annemarie. »Wenn ihm etwas passiert ist… er war in letzter Zeit überhaupt ein bißchen komisch. Angeblich eine Erkältung, aber… vielleicht hatte er auch Kreislaufprobleme…«
»Immer mit der Ruhe, Annemarie«, versuchte Dieter sie zu beruhigen. »Vielleicht ist er bei der Heimfahrt vom Betrieb in einen Stau geraten.« Er zögerte kurz. »Weißt du was, ich komme zu dir, dann können wir gemeinsam überlegen, was wir unternehmen.«
Annemarie war erleichtert. »Danke, Dieter.«
»Das ist doch ganz selbstverständlich«, meinte er, verabschiedete sich und legte auf, dann verließ er das kleine Häuschen, das er mit seiner verwitweten Mutter und seiner jüngeren Schwester bewohnte, und fuhr los. Kurz entschlossen schlug er den kleinen Umweg über Steinhausen ein.
Er hatte den idyllischen Vorgebirgsort gerade ein paar Kilometer hinter sich gelassen, als ihm ein weißes Auto am Straßenrand auffiel. Beim Näherkommen erkannte er das Nummernschild im Scheinwerferlicht und hielt seinen Wagen mit heftig klopfendem Herzen an.
Er stieg aus und trat zu dem Auto, das sich mit der mächtigen Eiche verkeilt hatte. Zusammengesunken und blutüberströmt saß Franz hinter dem Steuer. Dieter zögerte kurz, dann öffnete er die Autotür und beugte sich zu dem jungen Mann hinunter.
»Franz«, sprach er ihn an. Doch keine Reaktion erfolgte. Franz war bewußtlos, was vermutlich auf den hohen Blutverlust zurückzuführen war. Dieter zögerte kurz, dann schlug er die Autotür wieder zu und kehrte zu seinem Wagen zurück. Er ließ den Motor an und fuhr los, dabei lag ein zufriedenes Lächeln auf seinem Gesicht.
Wie der Zufall doch so spielte! Da versuchte er seit Jahren, Franz seine Freundin auszuspannen, doch ohne Erfolg. Gegen die Liebe der beiden war er machtlos gewesen, dabei war es ja weniger Annemarie selbst, die ihn reizte, sondern vielmehr das Geld, das sie an ihrem dreißigsten Geburtstag bekommen würde. Und nun hatte es ihm das Schicksal so leicht gemacht. Die Straße zwischen Steinhausen und Geising war kaum befahren. Vermutlich würde Franz längst verblutet sein, wenn ihn jemand finden würde.
»Ich muß nur noch den zuverlässigen Freund spielen, die arme Annemarie über den tragischen Tod ihres geliebten Freundes hinwegtrösten und mich in dieser Zeit unentbehrlich machen«, sagte Dieter zu sich selbst. »Und in ein paar Jahren gehört das Demel-Vermögen dann mir – dafür werde ich sorgen.«
*