Mami Bestseller Staffel 3 – Familienroman. Jutta von Kampen
obwohl Veronika uns eine Menge Scherereien gemacht hat.«
Die Wirtin warf der Frau einen mißtrauischen Blick zu. »Das ist ja alles ganz schön. Aber irgend etwas muß das Kind doch so verstört haben.«
»Es hat sie nichts verstört! Veronika ist von Natur aus so!«
»Wir fanden das Kind alle sehr liebenswert. Wir haben sogar schon in Erwägung gezogen, es bei uns zu behalten.«
»So, das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, aber ich glaube nicht, daß Sie die Genehmigung dazu bekommen. Eben aus dem bereits genannten Grund. Wenn es Ihnen ernst ist, versuchen Sie es. Das Jugendamt wird darüber entscheiden müssen. Jetzt nehme ich das Kind auf jeden Fall erst einmal mit!«
»Ach du liebe Zeit, wird das ein Theater geben!« prophezeite die Wirtin.
»Überhaupt nicht! Ich habe Veronika bereits getroffen und es ihr gesagt. Sie hat überhaupt nicht reagiert – wie immer. Sie ist ziemlich stupid.«
»Ich kann kaum glauben, daß wir das gleiche Kind meinen. Hier war Ika sehr aufgeschlossen und fröhlich und sehr leicht zu lenken.«
Die Kindergärtnerin musterte Frau Eckstein kühl. »Sie können das nicht so beurteilen. Ein Kinderpsychologe muß darüber entscheiden!«
»Ein Kinderpsychologe, du liebe Güte, was für ein Theater! Ich werde doch merken, wie ein Kind ist! Jedenfalls ist Ika völlig normal! – Na, wenn es also nicht anders geht, greifen Sie sich die Kleine. Ich will aber nicht dabei sein. Der Jammer bricht mir das Herz. Ich hole inzwischen noch das Kleidchen, das sie anhatte, als sie kam.«
Die Kindergärtnerin trat wieder vor die Tür, sah sich um und rief: »Veronika!«
Nichts rührte sich. Der Platz, an dem Veronika gespielt hatte, war leer. Nur der Käfig mit dem Goldhamster stand verlassen im Sand.
Die Wirtin erschien in der Haustür. »Haben Sie das Kind schon ins Auto verfrachtet?«
»Ich kann sie nirgends entdecken«, erwiderte die Kindergärtnerin ratlos.
»Da haben wir’s! Sie ist fortgelaufen, weil sie so große Angst hatte! Als ob ich mir das nicht schon gedacht hätte!«
»Wo könnte sie denn sein?« fragte die Kindergärtnerin kleinlaut.
»Keine Ahnung.« Die Wirtin hob die Schultern, obwohl ihr natürlich sofort der Professor im Toppler-Schlößchen einfiel. Aber sie wollte dem Kind eine Chance geben. Vielleicht konnte man inzwischen beim Jugendamt vorstellig werden und dem kleinen Mädchen eine Rückführung ins Heim ersparen.
»Ich möchte annehmen, daß Ika hier nicht wieder auftaucht, solange Sie noch hier sind.«
»Und es würde Ihnen nichts ausmachen, Veronika noch einen Tag zu behalten?« fragte die Kindergärtnerin mit einem erzwungenen Lächeln.
»Ich habe schon gesagt, uns stört die Kleine nicht. Wir haben sie ins Herz geschlossen. Da machen Sie sich nur keine Sorgen!«
»Was bleibt mir anderes übrig, als erst einmal wieder zu gehen? Auf diese Weise kommen wir sicher am ehesten ans Ziel. Vielleicht hat das Kind sich irgendwo versteckt und wartet nur darauf, daß ich abfahre. Ich frage später noch einmal nach.« Sichtlich verärgert stieg die Kindergärtnerin ins Auto.
Die Wirtin stand noch einen Moment in der Haustür und sah dem Wagen nach. Sie überlegte gerade, ob sie zum Professor gehen sollte, um sich nach Veronika zu erkundigen – da entdeckte sie Urte Söhrens auf dem Weg.
»Ach, Fräulein Söhrens, gut, daß Sie kommen! Eben war eine Kindergärtnerin hier, die Ika abholen wollte! Stellen Sie sich vor, die Kleine ist doch aus dem Heim! Und die Kindergärtnerin tat so, als sei die Kleine ein bißchen dumm! Na, ich habe ihr was erzählt, dieser Tante Anni!«
Dies alles sprudelte die Wirtin in einem Atemzug heraus. In ihrer Aufregung bemerkte sie gar nicht, wie verstört das blonde Mädchen wirkte.
»Ika ist also fort?« fragte Urte. Gemischte Gefühle hatten sie beim Bericht der Wirtin bewegt. Wenn das Kind fort war, hielt sie hier ganz bestimmt nichts mehr!
»Ja, sie ist fort! Woher wissen Sie das?« fragte die Wirtin verblüfft.
»Aber Frau Eckstein, Sie haben es mir doch eben selber gesagt. Die Kindergärtnerin hat Ika geholt und…«
»Nein, eben nicht! Die Kleine ist nämlich vorher ausgerissen! Ich denke mir, sie wird beim Herrn Professor sein. Was meinen Sie? Ich wollte dem armen Hascherl wenigstens eine Galgenfrist gönnen.« Plötzlich wurde die Wirtin aufmerksam. »Sie sind so blaß, Fräulein Söhrens! Ist Ihnen nicht gut?«
»Ach, ein bißchen Kopfschmerzen.« Urte wich dem forschenden Blick aus. »Dann werde ich nachsehen, ob ich Ika bei Herrn Professor Buss finde.«
»Lieber nicht! Besser, wir wissen gar nicht, wo die Kleine ist. Sollte die Kindergärtnerin noch einmal auftauchen, brauchen wir wenigstens nicht zu schwindeln. Und Ika kommt wieder, da habe ich gar keine Bange.« Die Wirtin lächelte zuversichtlich.
»Na schön. Dann lege ich mich jetzt ein bißchen hin.«
»Ja, wollen Sie denn gar nichts essen?«
»Keinen Appetit! Danke.«
»Ach, übrigens, der Sohn vom Herrn Professor Buss läßt Ihnen ausrichten daß er heute unverhofft nach München mußte.«
Da war er wieder, dieser gemeine Schmerz in der Herzgegend.
Nun war alles klar! Die andere hatte gesiegt! Wenigstens hatte die Abreise jetzt keine große Eile mehr. Heute würde sie H.G.B. nicht begegnen, und morgen…
Ach, morgen! Wie lange war das noch hin…
Mit müden Schritten suchte Urte ihr Zimmer auf.
*
Veronika stürmte die Straße entlang.
Fortlaufen! Tante Anni selbst hatte ihr das Stichwort gegeben! Fort!
Opa Buss fiel ihr zuerst ein. Sie lief wie ein Wiesel. Als sie das komische kleine Haus erreicht hatte, sah sie ein Auto am Straßenrand stehen. Eine Tür war nur angelehnt. Das brachte Veronika auf die Idee, sich in dem Wagen zu verkriechen. Hier würde sie bestimmt keiner suchen! Sie war auf einmal nicht mehr so sicher, ob Opa Buss sie vor der energischen Tante Anni bewahren könnte.
Sie kauerte sich also in den engen Zwischenraum hinter die vorderen Sitzlehnen und rollte sich zusammen wie ein Igel. Hier fühlte sie sich einigermaßen sicher. Sie atmete auf.
Nach ein paar Augenblicken stieg jemand in den Wagen. Was jetzt? Veronika war ratlos. Vorsichtig lugte sie über die Lehne und erkannte den Mann sofort. Das war doch der nette Herr, der ihr den Goldhamster geschenkt hatte!
Sie war sehr erleichtert.
H.G.B. steckte, ohne das Kind zu bemerken, den Zündschlüssel ein und startete.
Veronika war sehr froh, daß sie auf diese Weise erst einmal aus Tante Annis Nähe kam! Doch sie war auch vorsichtig genug, sich zunächst noch nicht bemerkbar zu machen.
Nach einer, wie es dem kleinen Mädchen schien, endlos langen Zeit konnte sie es nicht mehr aushalten. Ihre Beine waren schon eingeschlafen, und es war auch äußerst langweilig, so zusammengekrümmt zu hocken. Also erhob sie sich vorsichtig, um wenigstens aus dem Fenster sehen zu können. Plötzlich zuckte sie heftig zusammen.
»Ich werde verrückt! Wen haben wir denn da?« Das Auto machte vor Überraschung einen kleinen Schlenker.
Hans-Günther Buss hatte Ika im Rückspiegel entdeckt und sich kurz umgedreht, weil er an eine Sinnestäuschung glaubte.
Veronika lächelte verlegen. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut.
Da sie sich auf der Autobahn befanden, konnte der Mann weder sofort halten noch wenden. Diese Tatsache ermutigte Veronika.
»Onkel, bist du mir böse?« fragte sie zaghaft.
»Ich