Mami Staffel 12 – Familienroman. Sina Holl
Kleine nicht hervor.
»Mein Geschenk bekommst du später. Das bringe ich dir aus Paris mit.«
»Ja…«
»Wirst du denn auch gefeiert, du Geburtstagskind?«
»Ja. Alle sind da…«
»Das ist schön.« Ein kurzes Schweigen, dann… »Grüße den Papa von mir. Auf Wiedersehen, Angela.«
»Auf Wiedersehen«, flüsterte das Kind. Am Tisch richtete sie mit gesenkten Lidern den Gruß aus.
Ariane hatte sie doch nicht vergessen. Aber sie hatte auch nicht gesagt, was für sie das schönste Geschenk zum Geburtstag gewesen wäre.
Still blies Angela die Kerzen aus, denn ihr Fest war nun vorüber.
*
»Drei Wochen sind genug«, sagte Ariane. »Ich habe eure Gastfreundschaft schon zu lange in Anspruch genommen.«
»Sag das nicht«, protestierte Mireille. »Wir freuen uns doch jeden Tag, so einen lieben Gast bei uns zu haben. Wir beide, wir sind doch richtig gute Freundinnen geworden, oder?«
»Ja, Mireille, das stimmt.« Herzlich nickte Ariane der reizenden Französin zu, die in glücklicher Ehe mit Torsten lebte. Sie war unkompliziert und von heiterer Beschwingtheit, ohne jedoch oberflächlich zu sein.
»Also dann bleibst du noch«, entschied Mireille. »Wir haben doch für nächse Woche schon Karten für die Oper besorgt.« Als die andere zögerte, fügte sie hinzu: »Schau, dort vermißt dich doch niemand!«
Vielleicht hätte sie das nicht sagen sollen. Aber stimmte es denn nicht, soweit sie das von hier aus beurteilen konnte. Diese neue Beziehung, die Ariane eingegangen war, hatte doch wohl ausschließlich finanzielle Hintergründe. Es dauerte Mireille ein wenig, wenn sie sich vorstellte, daß da eine Ehe nur aus vernünftigen Erwägungen heraus geschlossen werden sollte.
Ariane war zusammengezuckt. Nein, es schien sie wirklich niemand zu vermissen. Gerhard mochte im Gegenteil ganz froh sein, daß er sich noch frei fühlen und ganz auf seine Arbeit konzentrieren konnte.
»Irene wird mich aber brauchen können, wenn das Weihnachtsgeschäft nun einsetzt«, gab sie zu bedenken.
Doch auch diesen Einwand wischte Mireille mit leichter Handbewegung fort. »Schwiegermama wird schon ohne dich fertig, ma chèrie. Sie hat dich uns ans Herz gelegt und möchte nichts anderes, als daß wir dir eine schöne Zeit bereiten.«
Das taten sie wahrhaftig, die beiden. Sie verwöhnten sie und zeigten, was diese ihre unvergleichliche Stadt dem Besucher bieten konnte. Dennoch verstanden sie es mit seltenem Feingefühl, sich von ihr fernzuhalten, wenn sie allein zu bleiben wünschte.
Mireille arbeitete an drei Tagen in der Woche vormittags in der Universitätsbibliothek. Dann ging Ariane ihre eigenen Wege. Sie besuchte Museen, an denen Paris so reich war, sie bewunderte die königlichen Parkanlagen vor dem Luvre, ließ sich von den bunten Blättern umtanzen, die der Herbstwind von den Bäumen wehte, und sie spazierte im Sonnenschein an der Seine entlang, dem vielbesungenen Fluß, der zu Paris gehörte wie der Eiffelturm und der Triumphbogen, dei Sacré Coeur und die Champs Elysées.
Und in ihrer Versunkenheit dachte sie an Gerhard, und sie wünschte, daß er neben ihr ginge…
Das wußte Mireille nicht, auch wenn sie sich in Freundschaft nahegekommen waren, daß sich in ihrem Innersten ein Wandlungsprozeß vollzog, auch er war schmerzhaft und ihr selbst unbegreiflich. Es blieb ihr Geheimnis, das sie nur in einer schwachen Stunde vor der geliebten Tante ein wenig gelüftet hatte. Sie wollte es bewahren. Hier, fern von Gerhard, konnte sie es noch. Darum wollte sie noch bleiben.
*
War das nicht Gerhard Schilling, der sich da draußen angelegentlich die Auslagen im Schaufenster betrachtete?
Irene öffnete die Tür.
»Warum kommen Sie denn nicht herein, Gerhard? Fünf Minuten später, und ich hätte geschlossen.«
»Guten Abend, Frau Keßler.« Er schien tatsächlich etwas verlegen.
Sie ließ ihn ein, schloß hinter ihm ab. Ein paar Worte hin und her, ja, er kam gerade erst aus dem Büro, es gab viel zu tun, dort, wie hier, wo es an Kundschaft nicht fehlte.
»Leider habe ich nur wenig Zeit für Sie«, bedauerte Irene lebhaft. »Ich bin heute abend eingeladen und muß vorher noch nach Hause, mich umziehen.«
»Ich will Sie auch gar nicht aufhalten. Ich wollte Sie nur fragen, was Sie von Ariane hören. Jetzt ist sie schon vier Wochen fort, und außer einer Ansichtskarte habe ich keine Nachricht von ihr.«
»Ich weiß nur, daß es ihr gut gefällt in Paris.«
»Ja, das schrieb sie mir. Aber wann kommt sie denn zurück?«
»Sie vermissen Sie wohl, Gerhard?«
»Ja, ich vermisse sie sehr.« Gerhard sah der silberhaarigen älteren Dame gerade in die Augen. »Ich liebe Ihre Nichte nämlich, Frau Keßler.«
»Dann sagen Sie ihr das doch«, gab Irene mit einem feinen Lächeln zurück.
»Wird sie das hören wollen?« zweifelte Gerhard.
»Fahren Sie nach Paris und nehmen Sie Ariane in Ihre Arme«, riet sie ihm. »Überraschen Sie sie, und Sie werden sehen, daß sie nur darauf gewartet hat.«
Gerhard stieg das Blut in die Sirn. Er sah zu, wie Irene rasch etwas auf einen Block schrieb, den Zettel abriß. »Hier ist die Adresse meines Sohnes. Machen Sie es gut, Gerhard.«
Durch den Hinterausgang verließen sie das Geschäft und stiegen in ihre Autos und fuhren nach verschiedenen Seiten davon, nicht ohne daß Irene dem Verlobten ihrer Nichte nochmals lächelnd zuwinkte.
*
»Ich gehe schon«, rief Ariane zur Küche hin, wo Mireille an diesem Samstagvormittag ihre Einkäufe für das Wochenende auspackte.
»Es mag Torsten sein, der wieder mal seine Schlüssel vergessen hat«, lachte Mireille.
Aber es war nicht Torsten. Es war Gerhard, der vor der Tür stand.
»Du…«, stammelte Ariane nur, und das Herz schlug ihr bis in den Hals. Sie ließ ihn ein. In der Diele standen sie sich gegenüber.
»Ich habe es nicht länger ausgehalten«, sagte Gerhard. »Ich liebe dich, Ariane.« Er umfaßte sie und zog sie an sich. Sie legte die Hände vor seiner Brust zusammen, sah zu ihm auf.
»Du hast es mir nie gesagt«, flüsterte sie mit bebenden Lippen.
»Manchmal schweigt man aus Furcht, zuviel zu sagen.«
Ein Lächeln blühte um ihren Mund auf, in ihre Augen kam ein Glanz, als sei ein Schleier davon genommen.
»Wer ist…« Mireille blieb das Wort im Hals stecken. Ariane in der innigen Umarmung eines Mannes! Hastig zog sie sich wieder zurück, zog leise die Küchentür hinter sich ins Schloß. Sie war so verdattert, daß sie einen Moment vor sich hin sah. Wie die beiden sich angesehen hatten, und dieses wunderschöne Lächeln von Ariane… Oh, es sollte ihr doch niemand erzählen, daß da nicht Liebe im Spiel war!
Mireille legte den Zeigefinger gegen den Mund, als ihr Mann kam. »Ariane hat Besuch bekommen. Sie sind im Wohnzimmer. Lassen wir sie erst mal allein.«
Dort hielten sie sich wiederum umfangen, als wollten sie sich nicht mehr voneinander lösen.
»Mein Herz war zugeschüttet, Gerhard«, sprach Ariane, nun mit tiefem Ernst. »Manchmal war ich dankbar, daß ich ein zugeschüttetes Herz hatte, weil ich sonst nicht hätte weiterleben können. Es gibt einen Schmerz, der sich mehr und mehr zu einer Höhe steigern kann, die schließlich über sich selbst hinauswächst und dann zusammenbricht. Dann bleiben Trümmer, die legen sich schwer und steinern auf das Herz. Du hast sie weggetragen, Stück um Stück, mit deiner Güte, und mit deiner Liebe, die du mir jetzt bekennst.«
»Ich