Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 1 – Arztroman. Patricia Vandenberg
gram. Es hat ihr nichts ausgemacht, als er Gaby Stein kennenlernte, das weiß ich genau. Sie hat zu mir gesagt, daß Gaby viel besser zu ihm paßt als sie. Kim hatte doch große Pläne. Sie wollte Fernsehmoderatorin werden.«
»Ja, das weiß ich, aber im Grunde wußte sie noch gar nicht genau, was sie eigentlich werden will. Vielleicht hat ihr jemand einen Floh ins Ohr gesetzt, daß sie eine Modelkarriere machen könnte. Deshalb will sie superschlank sein, aber sie ist ja schon richtig knochig. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie so noch Erfolg hätte. Sie spricht sich nicht aus, was soll ich denn noch tun?«
»Ja, das ist schwer zu sagen, aber vielleicht hilft es ihr zu wissen, daß sie einen echten Freund hat.«
»Kann ich bei ihr bleiben?«
»Das hat nicht viel Sinn. Sie wird ruhiggestellt und bestimmt sehr lange schlafen. Das gehört zur Therapie.«
»Aber was ist mit der Verletzung?«
»Sie ist nicht bedrohlich. Nur eine leichte Gehirnerschütterung liegt vor. Wir müssen abwarten, was sie sagt, wie sie zu dieser Verletzung gekommen ist.«
»Ich weiß nicht, ich habe so ein ungutes Gefühl, das ich nicht erklären kann. Ich werde jetzt versuchen, Constantin zu erreichen und dann morgen wieder nach Kim sehen.«
»Wenn Sie Fragen haben oder Rat brauchen, ich bin zu erreichen, Jan.«
»Danke, es ist gut, wenn man so einen Arzt hat«, erwiderte Jan.
Einen besseren Partner könnte sich Kim wirklich nicht wünschen, dachte Daniel Norden, als er nun heimwärts fuhr.
Er wurde von Fee, die sehr beunruhigt war, schon an der Tür empfangen.
»Wir haben Kim in die Klinik gebracht, Jenny kümmert sich um sie«, erklärte er, bevor sie eine Frage stellte. »Jan weiß auch nicht, was mit ihr los ist, aber sie kann wirklich von Glück sagen, daß er noch nicht abgesprungen ist. Die meisten Männer haben nicht die Geduld, sich mit solchen Problemen zu befassen.«
»Aber was für Probleme gibt es denn?« fragte Fee.
»Wir tappen im Dunkeln. Jetzt ist sie erstmal in Dauerschlaf versetzt, vielleicht kann man danach vernünftig mit ihr reden.«
*
Jan hatte auch sein eigenes kleines Reich in seinem Elternhaus. Es war nicht so komfortabel wie das von Kim, aber er hatte einen eigenen Eingang. Die Zweizimmerwohnung war seinerzeit für die beiden Hausangestellten gedacht gewesen, aber jetzt kam Hella Bernold mit einer Haushaltshilfe aus, die dreimal in der Woche fünf Stunden kam. Jan sorgte selbst für sich. Er war sehr ordentlich.
Er wollte gleich Constantin anrufen, aber er sah, daß der Anrufbeantworter blinkte und schaltete ihn ein. Er zuckte zusammen, als er Kims Stimme vernahm.
»Es tut mir leid, daß ich vorhin so aggressiv war, Jan. Bitte, sei nicht böse, ich weiß nicht, was in mich gefahren war. Melde dich bitte, wenn du zu Hause bist. – Da ist ein Geräusch, ich muß nachsehen…«
Dann hörte Jan nichts mehr.
Sein Herz klopfte schneller. Es mußte jemand am oder im Haus gewesen sein, das gab zu denken. Vielleicht war es doch besser, die Polizei zu verständigen.
Was mochte da vorgefallen sein? Über sein Grübeln vergaß er fast, Constantin anzurufen. Dessen Nummer hatte er nicht im Kopf, er mußte nachsehen.
Es war ungewöhnlich, daß Constantin in seiner Wohnung war, denn meist kam er erst um Mitternacht nach Hause oder noch später. Er machte gern nächtliche Studien, die er für seine Bilder und Geschichten verwerten konnte. Dafür schlief er dann meist bis in den Vormittag hinein.
An diesem Abend war er anwesend und sehr überrascht, daß Jan ihn anrief.
»Was ist denn los, Boy?« fragte er.
Jan berichtete stockend, was mit Kim geschehen war. Es herrschte am anderen Ende so tiefes Schweigen, daß er meinte, Constantin hätte aufgelegt.
»Bist du noch da?« fragte er.
»Natürlich, was denkst du denn, ich bin geschockt. Was kann denn da passiert sein? Sie hat doch alles, sogar den nettesten Burschen zum Freund, den ich kenne.«
»Danke für deine gute Meinung, aber ich kann auch nichts ausrichten bei ihr. Ich fürchte, sie leidet an Bulimie.«
»Kann schon sein, daß sie das auch ausprobieren will, um mitreden zu können. Die Mädchen haben doch alle einen Schlankheitswahn. Ich weiß schon, warum ich mich distanziere. Es fehlte noch, daß ich mir auch so eine verrückte Diät aufschwatzen lasse wie einige aus meiner Clique, die auf dem totalen Gesundheitstrip sind. Aber zur Sache. In der Behnisch-Klinik liegt Kim, gut, dann werde ich morgen hinfahren und mit den Ärzten sprechen. Die Eltern benachrichtige ich lieber nicht, die machen gleich ein riesiges Tamtam. Damit ist Kim auch nicht gedient. Mit wem war sie eigentlich im Urlaub zusammen?«
»Keine Ahnung, sie hat darüber nicht gesprochen. Sie hat nur gesagt, daß Madeira nicht gehalten hat, was sie sich versprach.«
Sie verblieben so, daß sie sich in der Klinik gegen elf Uhr treffen wollten. Jan sah nachdenklich vor sich hin. Es wäre beruhigend gewesen, daß sie angerufen hatte, aber es beunruhigte ihn sehr, daß da jemand gekommen war, der mit ihrer Verletzung zu tun haben könnte.
Er schlief so unruhig wie schon lange nicht mehr. Eigentlich hatte er einen sehr tiefen Schlaf, aber Kim geisterte durch diesen Halbschlummer. Es war kein richtiger Traum, sie war einfach gegenwärtig.
Er stand früh auf, lief eine halbe Stunde durch den Wald und duschte dann lange, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Ganz mechanisch bereitete er sein Frühstück, da klingelte das Telefon. Es war gerade acht Uhr. Es war seine Mutter. Sie stand zwar auch immer früh auf, aber sie rief ihn nie so früh an.
»Ist Kim bei dir?« fragte sie.
»Wie kommst du denn darauf?« fragte er zurück.
»Es hat gerade jemand angerufen und nach ihr gefragt. Es kam mir merkwürdig vor.«
»Mir erst recht. Hat der Jemand einen Namen genannt?«
»Nein, er wäre ein guter Bekannter und müsse sie dringend sprechen.«
»Das wird ja immer dubioser«, sagte Jan. »Wenn es dir recht ist, komme ich rüber und erzähle dir, was passiert ist.«
»Natürlich ist es mir recht, du könntest viel öfter kommen. Schließlich haben wir dich nicht verstoßen.«
Hella Bernold hatte Humor, und sie würde es wirklich gern sehen, wenn Jan öfter bei ihnen wäre. Aber durch seine Examensarbeiten hatte er sich zurückgezogen, und dafür hatte sie auch Verständnis. Außerdem hatte sie Kim sehr gern.
Jan vergaß sein Frühstück und ging hinüber. Sein Vater war schon aus dem Haus, und Hella sorgte dafür, daß er ein richtiges Frühstück bekam.
Er erzählte von Kim, er verschwieg nichts, was ihn beunruhigte.
»Das gibt allerdings zu denken, das paßt nicht zu Kim«, sagte Hella Bernold.
»Genauso sagte es Dr. Norden auch, Mutti. Ich habe gestern mit Constantin telefoniert. Wir treffen uns nachher in der Klinik.«
»Hoffentlich können sie ihr bald helfen.«
»Darauf setze ich meine ganze Hoffnung, aber ich möchte zu gern wissen, wer der Mann ist, der hier angerufen hat. Kim hatte auf mein Band gesprochen, daß sie nicht weiß, was mit ihr los ist, und da schien jemand gekommen zu sein. Sie hörte plötzlich auf, weil sie ein Geräusch vernahm. Dann kam nichts mehr. Ich mache mir wirklich große Sorgen, Mutti.«
»Wenn ich etwas tun kann, sag es mir. Walter ist zur Zeit wahnsinnig im Streß. Du weißt ja, wie angespannt die Marktlage ist, und die Konkurrenz schläft nicht.«
»Mit meinen Angelegenheiten braucht er nicht belastet zu werden. Ich habe meine Anstellung sicher und die Sache mit Kim wird auch zu klären sein.