Dr. Norden (ab 600) Jubiläumsbox 8 – Arztroman. Patricia Vandenberg
eines Blickes zu würdigen. »Ich muss sofort hin.« Hektisch suchte sie ihre Siebensachen zusammen.
Ungläubig sah Roman ihr dabei zu.
»Das heißt, du kommst nicht zurück?«, fragte er ungläubig. »Aber das Essen ist doch noch nicht mal da.«
»Wie kannst du in so einer Situation ans Essen denken?« Unwillig schüttelte Jenny den Kopf und verließ ohne ein weiteres Wort das Lokal.
Roman sah seiner Lebensgefährtin nach, bis der Kellner ihn aus seinen nicht sehr freundlichen Gedanken riss.
»Einmal Moussaka und ein Bauernsalat.« Fragend sah er seinen Gast an.
Der überlegte nicht lange.
»Die Dame da drüben … wartet die auf einen Tisch?« Roman deutete möglichst unauffällig auf die Frau, die an der Theke neben dem Eingang stand und geduldig auf einen freien Platz in dem hoffnungslos überfüllten Lokal wartete.
»Ganz recht.«
»Könnten Sie sie fragen, ob sie Lust auf einen Bauernsalat hat? Zu zweit schmeckt es einfach besser.«
Ein überraschtes Lächeln huschte über das Gesicht des Obers. Aber er stellte keine Fragen.
»Selbstverständlich. Frau Ostertag wird sich freuen.« Als er Jennys Weinglas und das benutzte Besteck abräumte, beugte er sich zu Roman. »Eine sehr nette Frau und seit kurzem alleinstehend«, verriet er verschworen.
»So weit ist es bei mir noch nicht«, brummte Roman missmutig. »Aber lange kann es nicht mehr dauern.«
*
»Patientin, weiblich, ungefähr 45 Jahre alt«, teilte Danny Norden der Klinikchefin mit, als sie atemlos in die Klinik stürzte. Glücklicherweise hatte direkt vor dem griechischen Lokal ein Taxi gehalten, das sie umgehend mitnehmen konnte. »Drittgradig offene Oberschenkelfraktur nach Autounfall«, fuhr der junge Arzt fort.
»Wie geht es ihr?«, erkundigte sich Jenny ruhig. In ihrer Klinik war sie ganz in ihrem Element. Hier gab es keine Unsicherheiten, hier hatte sie ihre Gefühle im Griff und wusste, was sie zu tun hatte. »Welche Erstmaßnahmen wurden getroffen?«
»Bereits am Unfallort habe ich die Korrektur großer Fehlstellungen vorgenommen und einen sterilen Wundverband angelegt«, zählte Danny das Wichtigste auf. »Zu Beginn war die Patientin noch bei Bewusstsein und hat angegeben, nicht in der Behnisch-Klinik operiert werden zu wollen. Inzwischen ist sie bewusstlos.«
Während der junge Arzt so ruhig wie möglich von den eingeleiteten Maßnahmen berichtete, ließ sich Jenny von einer Schwester in einen grünen, sterilen Kittel helfen.
»Hat sie gesagt, warum sie das nicht will?«, fragte sie verständnislos.
Danny zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Röntgenbilder und neurologischer Status liegen übrigens inzwischen vor.«
»Gut.« Jenny nickte und machte sich auf den Weg in den OP, in den die Patientin bereits gebracht worden war. »Dann wollen wir mal sehen.«
Als sich die Schiebetüren öffneten, hob der diensthabende Arzt Dr. Weigand den Kopf.
»Ah, Chefin, gut, dass Sie hier sind. Es wird höchste Zeit. Die Beine der Patientin werden schon kalt.«
Dr. Behnisch trat neben den Anästhesisten und warf einen Blick auf die Geräte.
»Der Kreislauf ist instabil«, bemerkte sie, ehe sie sich der Patientin zuwandte.
Mund und Nase waren von einer Atemmaske bedeckt. Dennoch kamen ihr diese Züge seltsam bekannt vor, vertraut wie aus einem anderen Leben. Und plötzlich stand es Jenny glasklar vor Augen und sie erstarrte. Plötzlich war ihr eingefallen, woher sie diese Frau kannte.
»Machen Sie eine Angiographie!«, wies sie Dr. Weigand schroff an und ging zur Tür. Dort angekommen machte sie noch einmal Halt und drehte sich um. »Und dann operieren Sie!«
Das OP-Team tauschte verdutzte Blicke.
»Sollten wir nicht versuchen, einen Angehörigen zu erreichen und eine Einwilligung einholen?«, fragte Schwester Elena irritiert.
Die Miene der Klinikchefin zuckte verdächtig. Sonst war ihr keine Gefühlsregung anzusehen.
»Die haben Sie!«, rang sie sich schließlich zu einer Erklärung durch. »Das ist meine Cousine.« Mit diesen Worten drehte sie sich endgültig um und überließ Nicoles Schicksal ihren Mitarbeitern.
*
An diesem Abend war nicht viel Betrieb im Hause Norden. Die Zwillinge Jan und Dési probten für eine Schulaufführung, und Anneka war mit ihrem Freund Noah auf einem Konzert, sodass nur Felix mit seinen Eltern zu Abend aß. Trotz des leckeren Essens, das die Haushälterin Lenni gezaubert hatte, war seine Laune ausnehmend schlecht.
»Warum müssen Fische eigentlich Gräten haben?«, schimpfte er und zupfte an der Forelle auf seinem Teller herum. »Kann man nicht mal welche ohne züchten?«
Daniel und Fee tauschten belustigte Blicke.
»Wie passt diese Frage denn mit deinem ausgeprägten Sinn für eine möglichst natürliche Produktion von Nahrungsmitteln zusammen?«, erkundigte sich Fee, die ihre Forelle perfekt entgrätet hatte.
Demonstrativ steckte sie eine Gabel des aromatischen Fleischs in den Mund.
»Bei Gräten kann man meinetwegen eine Ausnahme machen.« Auch Felix kostete ein Stück, zog aber gleich darauf die Rückenflosse aus dem Mund. »Und Flossen brauchen sie auch nicht. Oder aber, ich lasse es ganz und esse nur Salzkartoffeln mit Salat.« Er schob den Fisch zur Seite und zerteilte ärgerlich eine Kartoffel. Schon jetzt glich sein Teller einem Schlachtfeld.
Allmählich wunderte sich Daniel. So schlecht gelaunt kannte er seinen Sohn gar nicht. Ganz im Gegenteil war Felix im Normalfall ein Garant für gute Laune und witzige Sprüche, mit denen er seine Familie regelmäßig zum Lachen brachte.
»Willst du uns nicht verraten, was wirklich mit dir los ist?«, fragte er behutsam. »Dass Fische Gräten haben, ist ja keine neue Erkenntnis.«
Eine Weile schwieg Felix und starrte blicklos auf seinen Teller, bis er sich schließlich zu einer Antwort durchringen konnte.
»Stimmt schon, die Forelle kann nichts dafür. Es geht um diese Riemerschmidt. Wenn ich gewusst hätte, was für eine Schnepfe sie ist, hätte ich mir eine andere Stelle ausgesucht«, brach endlich sein Ärger über seine Chefin aus ihm heraus. »Jenny ist so ein netter Mensch und hat bestimmt eine Menge Menschenkenntnis. Aber bei Silvie hat sie einfach nur versagt.«
Obwohl Felicitas die Sorgen und Nöte ihrer Kinder durchaus ernst nahm, fiel es ihr diesmal schwer, nicht zu schmunzeln. Zum ersten Mal in seinem Leben flogen Felix die Sympathien nicht zu, was ihm sichtlich zu schaffen machte.
»Was hat sie dir denn jetzt wieder gesagt, was dich so wütend macht?«, erkundigte sie sich bei ihrem zweitältesten Sohn, der ein freiwilliges soziales Jahr in der Ergotherapie der Behnisch-Klinik absolvierte.
»Sie hat mich gefragt, ob ich daheim als Kind nicht genug Liebe bekommen habe, weil Susa und ich uns auf dem Flur zum Abschied geküsst haben.«
»Na ja, ein bisschen Spaß musst du aber schon verstehen«, erwiderte Daniel, und um seine Mundwinkel zuckte es verdächtig.
»Oder sind deine Nerven schon jetzt so schwach, dass du Urlaub brauchst? Dann gebe ich dir den Hotelgutschein, den ich heute geschenkt bekommen habe.« Während er sprach, griff er nach seinem Glas Bier und trank einen großen Schluck.
Fee, die inzwischen aufgegessen hatte, legte ihr Besteck auf den Teller und sah ihren Mann fragend an.
»Wer schenkt dir einen Hotelgutschein?«
»Eine Patientin, die dankbar darüber ist, noch am Leben zu sein. Eigentlich wollte ich das Geschenk gar nicht annehmen, aber sie hat mich förmlich genötigt.«
»Klingt nach Bestechung«,