EQUALIZER. Michael Sloan
dem du gesucht hast?«, sagte sie. »Den hab ich rausgenommen. Ich wollte nicht, dass du ihn bei deinem unbeholfenen Gefummel findest.«
Sie trat an die Schranktür und öffnete sie. Ein dunkler Anzug hing darin, ein paar Hemden, ein langer Wollmantel. Einige kleine Gemälde lehnten an einer Wand. Elena hob Berezovsky an den Schultern hoch und zerrte ihn in den Schrank. Er war nicht so schwer wie befürchtet.
»Die Lähmung wird mindestens zwölf Stunden anhalten. Dir wird schlecht werden, versuch also, nicht auf deine Schuhe zu kotzen. Das wäre nicht so schön.«
Sie ließ ihn in den Schrank plumpsen, ging zum Sessel, holte die Beretta Bobcat 21 aus ihrer Handtasche, kam zurück und hielt sie ihm an den Kopf. Seine Augen wirkten ruhig, als er zu ihr hochblickte. Das Einzige, was er bewegen konnte, waren die Augenlider.
»Eigentlich sollte ich dich töten«, sagte Elena. »Aber ich hab, wofür ich gekommen hin. Wenn sich unsere Wege jemals wieder kreuzen – selbst wenn wir uns nur auf verschiedenen Straßenseiten in einer fremden Stadt wiedersehen –, dann lege ich dich um. Weil du mich angefasst hast. Du hältst dich vielleicht für einen Kunstliebhaber und einen Mann von Kultur. Weißt du, was ich sehe? Ein dreckiges Schwein, das nach russischem Tabak und Gin stinkt, mit einem Schwanz, so groß wie der eines kleinen Jungen.«
Seine Augen funkelten.
Sie trat ihm in die Eier.
Hätte er sich bewegen können, dann hätte er sich zusammengekrümmt. Dann trat sie ihm gegen den Kopf, ihr Pump knallte gegen seine Schläfe. Er erschlaffte bewusstlos.
Elena schloss die Schranktür. Sie schnappte sich ihre Brille vom Schreibtisch, aber er hatte sie kaputtgemacht. Sie ließ sie in ihre Handtasche fallen. Von draußen hörte sie ein Geräusch. Jemand war an der Tür. Sie schloss schnell auf. Ein Wachmann in Uniform stand davor, der einen Schlüsselring in der Hand hielt.
»Entschuldigung, ich suche nur nach der Toilette«, sagte Elena auf Russisch und drückte sich an ihm vorbei aus dem Büro.
Kostmayer konnte Elena in keinem der Galerieräume finden. Er ging in den hinteren Teil der Galerie zum Lieferanteneingang. Alles lag im Dunkeln. Nichts bewegte sich. Dann fand er die Leiche von Masters hinter ein paar großen eingepackten Skulpturen, die dort schon für die nächste Ausstellung bereitstanden. Er kniete sich hin und tastete kurz nach einem Pulsschlag am Hals des stämmigen Mannes. Es gab keinen.
»Masters ist tot«, sagte Kostmayer, sodass Kontrolle ihn hören konnte. »Elena ist aufgeflogen.«
Die Glocke der Highschool läutete. Die Kinder verließen den Pausenhof. McCall sah zu, wie Scott mit seinen Freunden über den Asphalt lief. Er unterhielt sich angeregt mit dem großen, schwarzen Jungen. Beide lachten. Die Kellnerin, auf deren Namensschild Dana stand, brachte ihm noch eine Tasse des extra starken Sumatra-Blends.
»Drei Tassen heute«, meinte sie. »Sie haben anscheinend eine Menge nachzudenken.«
»Ich wusste, dass die mir auflauern würden«, sagte er.
»Wer wollte Ihnen auflauern?«
»Die Sporttypen. Die haben auf mich gewartet. Auf dem Schulhof. Im strömenden Regen. Ich wollte wegrennen. Ich hatte Angst.«
»Und sind Sie weggerannt?«
»Nein.«
Dana sah zum Schulhof hinüber. Die letzten Nachzügler verschwanden gerade im Schulgebäude.
»Sie sind auf diese Highschool gegangen?«
»Vor langer Zeit.«
»Und ein paar Sportler haben Sie auf dem Pausenhof zusammengeschlagen?«
»Nicht ganz.«
»Es tut mir leid. Ich glaube, ich kann der Geschichte nicht ganz folgen.«
McCall schüttelte den Kopf. »Es ist keine Geschichte, nur ein paar Erinnerungen«, sagte er.
»Ist alles in Ordnung, geht es Ihnen gut?«
»Ja, alles okay.«
Sie lächelte und nickte und ging an einen anderen Tisch, um ein paar leere Tassen und Teller abzuräumen.
McCall starrte den Eingang an, durch den die Kids verschwunden waren. Er empfand plötzlich eine überwältigende Traurigkeit angesichts all der Basketballspiele, die er mit seinem Sohn nie gespielt hatte.
Elena eilte durch die überfüllten Räume der Galerie und schnappte sich ein Glas Champagner von Tablett eines vorbeilaufenden Kellners. Sie suchte nach Masters, fand ihn jedoch nicht. Auf dem kleinen Podium hatte die Harfenspielerin mit einer weiteren bezaubernden Melodie begonnen. Niemand nahm Notiz von Elena. Sie erreichte den Haupteingang.
Draußen warteten die beiden Ex-FTB-Offiziere auf sie, die Masters ermordet hatten. Sie erkannte sie sofort von der Party. Sie wusste, wer sie waren. Also gab es keine Möglichkeit für sie, die Straße zu überqueren, um in den Iskusstv-Park zu kommen. Und sie wollte auch nicht in der Menge vor der Galerie auf Kontrolle oder Kostmayer warten. Wenn die beiden Schlägertypen sich neben sie schoben, dann war sie tot.
Plan B.
Elena ging rasch die Seitenstraße entlang, wo der Lada Kalina Sport geparkt war. Wenn ihr Ersatzwagen nur nicht auffällig knallgelb gewesen wäre, aber so war er nun mal geliefert worden. Den Schlüssel für den Wagen hatte sie in der Handtasche. Sie schloss ihn auf, ohne sich umzusehen, schlüpfte hinein, ließ die juwelenbesetzte Tasche auf den Beifahrersitz fallen, startete den Wagen und fuhr los.
Im Rückspiegel bemerkte sie die beiden Ex-FTB-Agenten, die zum Eingang der Galerie zurückrannten.
Was sie nicht sah, war der schwarze GAZ-3102 Wolga, der hinter ihr losfuhr.
Elena beschleunigte und reihte sich in den Verkehr auf dem Maronovskiy Perevlok ein. Sie griff in die Tasche und schloss die Finger um den silbernen USB-Stick. Was darauf war, davon hatte sie keine Ahnung. Das musste sie auch nicht wissen. Sie musste ihn nur Kontrolle abliefern.
Sie dachte zurück an den Abend in der Kunstgalerie.
Robert McCall wäre stolz auf sie gewesen.
Kapitel 3
Die Detonation traf den Wagen wie eine riesige Faust und zertrümmerte das Seitenfenster auf der Fahrerseite. Der Lada schleuderte über die schmale Pflastersteinstraße in der Nähe des Tverskoy Boulevard. Kleine Glasdolche bohrten sich in die linke Seite von Elenas Gesicht. Sie spürte die Hitzewelle, als hätte jemand eine Ofentür geöffnet. Alles wirkte auf sie wie in Zeitlupe: Sie wich einem Metallpfosten am Straßenrand aus, der eine verglaste Anzeigentafel trug mit Werbung für Guerlain – Shalimar und einer rosa Parfümflasche darauf, die die Kurven einer nackten jungen Frau verdeckte. Auf dem Gehsteig stand eine große, schwarz-weiße Kuh. Sie traf sie und der hintere Teil der Skulptur wurde durch das Fenster eines Ladens geschleudert. Über der Ladentür stand: KOOEHH, ANDENKEN, WODKA UND KAVIAR AUS RUSSLAND MIT LIEBE. Ganze Reihen russischer Matroschka-Puppen mit Karikaturen darauf wurden durch die Luft gewirbelt: Mick Jagger, Putin, Obama, Prinzessin Diana, Dostojewski, Tolstoi, Stalin, der einen mahnenden Zeigefinger in ihre Richtung hielt. Alle wurden gemeinsam mit dem Glas der Scheibe zersplittert und zerstört.
Zwei Pärchen waren aus einem Gemischtwarenladen an der Ecke getreten. Die Explosion warf sie zu Boden. Die Frau rollte sich in Fötushaltung zusammen. Der Mann hatte einen Arm verloren. Einem Straßenmusiker in einem langen schwarzen Mantel war ein Großteil des Gesichts weggefetzt worden und sein Oberkörper blutete an mehreren Stellen. Eine orange getigerte Katze, die auf seinem Verstärker gesessen hatte, wurde gegrillt. Der Knall der Explosion hallte in ihren Ohren wie ein langes, verzerrtes Echo, das man in der falschen Geschwindigkeit abgespielt hatte.
Elena holperte über den Gehweg. Eine niedrige Wand war mit russischem Graffiti bedeckt, die Worte WWW.ROSTSPLONT.RU waren über ein paar wütend hingekritzelte Farbschmierer geschrieben. Sie riss das Steuer herum, um der Wand auszuweichen.
Das