Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Felix Pinner
seines Denkens und Fühlens, der dem Menschen und Privatmann verblieb, stets sicher war und stets sicher sein durfte. So wenig Emil Rathenau für seine Familie im weiteren Sinne übrig hatte, so innig war er mit seiner engsten Familie verwachsen, so selbstverständlich fest war sein Familienzusammengehörigkeitsgefühl mit seinen nächsten Angehörigen. Unzertrennbar wie er den Eltern, besonders der Mutter anhing, fühlte er sich auch Frau und Kindern verbunden. Dieses Bewußtsein linderte auch in den späteren Jahren die Klage der Lebensgefährtin, daß sie von ihrem Manne so wenig hätte, und „es kaum so viele Romane gäbe, wie sie in ihren einsamen Stunden lesen müßte.“ Daß an eine ins Einzelne gehende Teilnahme der Gattin an der Arbeit des Gatten in späteren Jahren in der Rathenauschen Ehe gar nicht mehr zu denken war, erscheint bei der Größe, dem Umfange und der Vielseitigkeit dieser Arbeit nicht verwunderlich. Auch die aktiengesellschaftliche Form und die strenge Scheidung, die Rathenau — wie wir noch später sehen werden — zwischen seinen eigenen Vermögensinteressen und denen der Aktiengesellschaft stets wahrte, ließ eine enge Fühlungnahme der Gattin mit den Geschäften des Gatten, zu der Mathilde Rathenau an sich durchaus fähig gewesen wäre, nicht entstehen. Wie weit ihre Geschäftsfremdheit in späteren Jahren gegangen ist, zeigt ein Vorfall, den mir Rathenau einmal persönlich erzählt hat. Die A. E. G. hatte seit einiger Zeit die Herstellung der lichtstarken und stromsparenden Metallfadenlampen aufgenommen und dafür eine große geschäftliche Propaganda entfaltet. In seiner eigenen Wohnung am Schiffbauerdamm brannten aber noch ganz gemütlich die altmodischen Kohlenfadenlampen, bis eines Abends Frau Mathilde einmal den Gatten fragte: „Sag mal, Emil, Ihr macht doch jetzt in den Zeitungen so viel für eine neue Lampe Reklame. Können wir die nicht auch bei uns einführen?“ — Dieser Vorfall, der zugleich für die völlige Gleichgültigkeit kennzeichnend ist, mit der Emil Rathenau immer nur das Allgemeine, nie das Spezielle sehend, sein Privatleben wenigstens in äußeren Dingen behandelte, kann gegen den tiefen inneren Ernst, mit dem Rathenau die Ehe — allerdings weitab von jeder modernen Emanzipation — ansah und behandelte, nicht das geringste besagen. Frau Mathilde wird diesen Vorfall wahrscheinlich ebenso von der gemütlichen, humoristischen Seite genommen haben, wie die harmlose Galanterie, die ihr Mann, besonders auf Reisen — und zwar je älter er wurde, umso mehr — jungen oder klugen Damen, mit denen er gern und gut plauderte, entgegengebracht hat. Wußte sie doch, daß dabei keine Spur von Erotik, sondern nur angeborene Ritterlichkeit dem weiblichen Geschlechte gegenüber mitspielte, die diesem innerlich keuschen, jeder groben Sinnlichkeit abholden Manne stets eigen war, eine Ritterlichkeit, die er der Gattin selbst stets entgegengebracht hatte.
Aber kehren wir wieder zu dem jungen Rathenau und seiner Maschinenfabrik zurück. Kurz nach ihm hatte auch der Sozius Valentin geheiratet, und die beiden Familien wohnten nun in dem der Fabrik vorgelagerten Wohnhause in der Chausseestraße, einträchtig beisammen. Abends nach getaner Arbeit zogen die beiden Ehepaare nicht selten gemeinsam in das Stadtinnere, nach der Friedrichstadt, wo es damals noch an jeder Kanalisation fehlte und die Abwässer in offenen Rinnsteinen, an den Straßenübergängen nur von Bohlen überdeckt, sich ihren Weg suchten, an warmen Sommerabenden einen wenig angenehmen Duft verbreitend. Die baulichen und hygienischen Verhältnisse ließen auch in der Zeit, als Berlin schon Reichshauptstadt geworden war, noch viel zu wünschen übrig. Die Einführung der Gasbeleuchtung hatte die wenig fortgeschrittene Kommunalverwaltung zunächst einer englischen Gesellschaft überlassen, die Gründung des ersten öffentlichen Schlachthofes und der ersten Markthalle durch Strousberg betrachtete man mit Mißtrauen und suchte ihr, statt sie zu unterstützen, allerlei kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen. Rathenau, der ja die damals viel besseren Verhältnisse in englischen Großstädten kannte, empfand die Rückständigkeit der Vaterstadt schmerzlich, und auf den gemeinsamen Abendspaziergängen entwarf er, dessen Hirn stets voll von Plänen steckte und dem besonders beim Sprechen die Projekte nur so zudrängten, nicht selten kühne und großzügige Modernisierungsvorschläge.
Die Tätigkeit Rathenaus in der Maschinenfabrik M. Webers dauerte fast 10 Jahre. Als die beiden Freunde die Leitung übernahmen, verstanden sie von dem Fabrikbetriebe, wie Rathenau selbst zugab, wenig oder nichts. Der alte Webers hatte einen Buchhalter hinterlassen, der Valentin in die Mysterien der einfachen kaufmännischen Tätigkeit einweihte. Rathenau glaubte eine ähnliche Stütze in dem Ingenieur zu finden, der den technischen Arbeiten in Bureau und Werkstatt vorgestanden hatte. Dieser Mann, verstimmt darüber, daß sein früherer Chef das Anwesen verkauft hatte, ohne ihn zu fragen, ob er selbst darauf reflektiere, zog sich aus dem Geschäft zurück, um eine eigene Fabrik zu begründen und Emil Rathenau war somit allein auf sich selbst angewiesen. Der wichtigste Gegenstand bei seinem Eintritt war die Herstellung des Schiffes für Meyerbeers Oper „Die Afrikanerin“, die von dem Königlichen Opernhaus damals vorbereitet wurde. Rathenaus Interesse für derartige Theaterarbeiten war gering. Weder die Bühne noch die Balletteusen, für deren Gruppendarstellungen er schmiedeeiserne Konstruktionen auszuführen hatte, übten eine Anziehungskraft auf ihn aus. Zu dem Programm des Unternehmens gehörten, wie wir schon gesehen haben, außer Dampfmaschinen von nicht erheblicher Größe, Apparate für Gasanstalten und Wasserwerke, wie sie in den beschränkten Werkstätten und mit den vorhandenen einfachen Hilfsmaschinen ausgeführt werden konnten. Auch Schieber von den kleinsten bis zu den größten Abmessungen bildeten eine lohnende Spezialität. Über die technischen Zustände, die Rathenau in der Fabrik vorfand, und über die Versuche, sie auf eine höhere Stufe zu heben, lassen wir ihn am besten wieder selbst berichten:
„Während Aufträge auf gewisse Gegenstände ohne Mühe und regelmäßig einliefen und die listenmäßigen Preise ohne Feilschen erzielten, schwankten die Bestellungen auf Dampfmaschinen, und diese Schwankungen erschwerten den geordneten Werkstattbetrieb. Brauchbare und leistungsfähige Arbeiter lassen sich nur erziehen, wenn sie die Überzeugung gewinnen, daß ihre Beschäftigung eine dauernde ist und das Unternehmen im Aufblühen sich befindet, denn mit dem Wachsen der Bestellungen nimmt auch ihr Verdienst zu. Der Bau von Dampfmaschinen nach Preislisten, wie viele amerikanische Fabriken ihn später aufgenommen haben, lag zuerst in meiner Absicht, aber ich sah bald, daß jeder Kunde neue Wünsche äußerte und die von mir festgelegten Typen diesen nicht entsprachen. Lag die fertige Maschine rechts, wünschte man das Spiegelbild, war das Schwungrad als Riemscheibe ausgebildet, forderte man besondere Scheiben, befand sich die Kondensation hinter dem Dampfzylinder, legte man Wert auf den Antrieb der Luftpumpe von der Kurbel usw. Unter solchen Umständen beschloß ich eine neue Type zu schaffen, in der Hoffnung, daß mit derselben die Kritik aufhören würde, und in dieser Erwartung habe ich mich nicht getäuscht, denn viele hundert Maschinen von 1 PS bis zu ansehnlichen Leistungen wurden ohne Änderungen der Modelle ausgeführt und verkauft; freilich sorgte ich stets, daß sie auf der Höhe der Technik verblieben. Diese Maschinen nannte ich zum Unterschiede von Lokomobilen auf Rädern transportable Dampfmaschinen. Sie bildeten ein in sich abgeschlossenes Ganze. Die vertikale Maschine war mit ihrer Grundplatte an dem sauber gearbeiteten stehenden Dampfkessel befestigt; die einfache Feuerbüchse erhielt durch herabhängende (Fieldsche) Röhren genügende Heizfläche, und die aufsteigenden Rauchgase wurden durch eine mit feuerfestem Material bekleidete Eisenwand abwärts und dann in den Schornstein geführt. Die Montage der Maschinen nahm geringe Zeit in Anspruch, sie konnten in tadelloser Ausführung fast immer sogleich vom Lager oder aus den Werkstätten geliefert werden, hatten einen ganz befriedigenden ökonomischen Effekt und so viele Vorzüge vor stationären Maschinen mit schwerfälligen Kesselanlagen, Einmauerungen, Schornsteinen usw., daß die Firma sich bald eines Rufes erfreute und die Fabrikate über die ganze Welt absetzte. Weitere Spezialfabrikationen bauten sich auf direkt gesteuerten Dampfpumpen auf, die die Schwungradpumpen allmählich ersetzten, auf Zentrifugalpumpen, darunter solche für Hochdruck und direkten Dampfmaschinenantrieb, auf Ejektoren für Kondensationszwecke und dergleichen, während Dampfmaschinen und Dampfkessel in allen Größen, wie sie damals üblich waren, auf besondere Bestellung gebaut wurden. Es muß hier bemerkt werden, daß der schöne Garten modernen Werkstätten für Kessel- und Maschinenbau inzwischen Platz gemacht und Umsatz sowie Arbeiterzahl mit jedem Jahre sich vermehrt hatten. Außer den laufenden Bestellungen betätigten wir uns in Konstruktionen für das Heer und die Marine.
Die Firma Siemens & Halske hatte uns den Auftrag zur Herstellung einer 10 PS transportablen Dampfmaschine erteilt, die auf Rädern dergestalt hergestellt war, daß Dampfkessel und Maschinen auf der Hinterachse, Dynamo- und Erregermaschine auf einem leichten schmiedeeisernen Gestell ruhten. Der Betrieb erfolgte