Der kleine Fürst Staffel 5 – Adelsroman. Viola Maybach
an deinem Benehmen, Julietta«, erklärte die Baronin mit ruhiger Stimme. »Ich hätte noch sehr viel mehr sagen können, glaub mir, nur habe ich mir gedacht, dass du wohl auch unsicher bist, und ich habe beschlossen, das als Entschuldigung gelten zu lassen.«
»Als Entschuldigung? Aber wofür denn? Ich tue doch überhaupt nichts.«
»Lass uns ein anderes Mal darüber sprechen«, schlug Sofia vor. »Fritz meinte, du würdest sicher gern so schnell wie möglich einen Rundgang durch die Ställe machen. Herr Wenger, unser Stallmeister, erwartet dich, sobald du deine Sachen ausgepackt hast. Oder hast du andere Wünsche? Dann können wir Herrn Wenger gern Bescheid sagen.«
Julietta erwiderte zunächst einmal nichts, sondern biss sich fest auf die Lippen, und mit einem Mal erkannte Sofia, dass die junge Frau den Tränen nahe war. Sie führt sich so auf, damit man ihr nicht zu nahe kommt, dachte sie. Zugleich scheint ihr nicht einmal klar zu sein, wie schlecht ihre Manieren tatsächlich sind. Da haben wir uns aber einiges aufgehalst mit diesem Besuch.
»Bitte, sag mir, was du möchtest, Julietta«, bat sie sanft.
Die junge Frau riss sich zusammen. »Ich packe meine Sachen aus, und dann gehe ich hinüber zu den Ställen, Tante Sofia«, sagte sie. Sie leerte ihre Tasse – das Schlürfen überhörte Sofia – und stand auf. »Bis nachher dann«, nuschelte sie.
Auch Sofia erhob sich. »Ich hoffe, du wirst dich bei uns wohlfühlen, Julietta«, sagte sie ernst, aber in freundlichem Ton.
Julietta nickte nur, ihre Augen glänzten verdächtig feucht. Dann wandte sie sich um und lief zur Tür. Dort jedoch hielt sie inne, um sich noch einmal zu Sofia umzudrehen. »Danke!«, stieß sie hervor, dann verließ sie den Salon.
Sofia ging zum Fenster, um einen Blick in den Schlossgarten zu werfen. Die nächsten Wochen würden nicht einfach werden, so viel stand bereits fest.
*
»Was ist, Caro?«, fragte Adalbert seine Frau, als er sie endlich in einem Raum gefunden hatte, der kaum je benutzt wurde. Das ganze Haus hatte er bereits vergeblich nach ihr abgesucht. »Wieso sitzt du ausgerechnet hier?«
Er war nicht sicher, ob sie seine Fragen gehört hatte. »Wahrscheinlich ist sie spätestens Ende der Woche wieder hier«, erwiderte sie und griff nach seiner Hand. »Wenn sie sich dort so benimmt, wie sie es hier tut, Bert, werden sich die Sternberger das nicht lange gefallen lassen.«
»Hör auf zu unken«, bat er. »Sofia und Fritz sind erfahrene Eltern – und ich baue auch auf die jüngere Generation auf Sternberg. Du weißt doch, wie Teenager sind, die können ganz schön unbarmherzig sein. Wenn die es schaffen, Julietta einen Spiegel vorzuhalten, wird sie vielleicht doch nachdenklich. Sie kann, glaube ich, gar nicht richtig abschätzen, wie ihr Verhalten wirkt, im Grunde genommen ist sie ein verschrecktes Kind. Sie weiß noch immer nicht, was sie will, das verunsichert sie, aber sie will es nicht zugeben. Sie spielt die Abgeklärte, Harte, aber wir wissen doch beide, dass sie das nicht ist.«
»Ich denke auch, dass sie verunsichert ist, aber muss sie sich deshalb so aufführen?«, fragte Caroline.
»Es ist ihr Versuch, uns zu zeigen, dass sie erwachsen ist, weil sie nach ihren eigenen Regeln lebt«, antwortete er nach längerem Nachdenken. »Aber vielleicht irre ich mich auch. Ich liebe unsere Jüngste, Caro, und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass sie endlich zu sich selbst findet. Sie macht ja nicht nur uns das Leben schwer, sondern auch sich selbst.«
»Und jetzt den Sternbergern, Bert.«
Er lachte plötzlich. »Ja, davon gehe ich auch aus, aber, wie gesagt, ich denke, sie halten eine Weile durch. Vielleicht nicht bis zum Ende eines regulären Praktikums, aber einige Wochen traue ich ihnen schon zu.«
»Wir werden sehen«, seufzte Caroline. Sie stand auf und umarmte ihren Mann.
Adalbert hielt sie fest. Hoffentlich, dachte er, schicken sie Julietta nicht tatsächlich schon nach einer Woche nach Hause! Aber das sagte er nicht laut. Seine Frau machte sich ohnehin schon zu viele Sorgen, die wollte er nicht durch das Geständnis vergrößern, dass er diese Sorgen klammheimlich teilte.
»Lass uns etwas essen«, schlug er vor. Eine gute Mahlzeit, hoffte er, würde sie beide auf andere Gedanken bringen.
*
»Ach, Herr Doktor!«, sagte der alte Bauer Renninger. »Was für ein Glück, dass Sie rechtzeitig gekommen sind! Ich hätte das Kalb allein nicht holen können.«
»Das glaube ich allerdings auch, Herr Renninger«, lachte Arndt, während er das zitternde nasse Kalb mit langen kräftigen Strichen trocken rieb. Die Mutter hatte sich schwer getan bei der Geburt, er hatte kräftig nachhelfen müssen, aber nun war das Kalb auf der Erde, und die Mutter erholte sich bereits von den Anstrengungen der letzten Stunden. »Es sieht ziemlich munter aus«, meinte er, »und wird später sicher einmal eine ganz hervorragende Milchkuh.«
»Das muss es auch«, brummte der Bauer. »Wir brauchen Nachwuchs, nachdem uns doch letztes Jahr zwei Kühe verendet sind.«
»Verendet?«, fragte Arndt verwundert. »Sind sie krank geworden?«
Das Gesicht des Alten nahm jetzt einen grimmigen Ausdruck an. »Überhaupt nicht, es waren meine beiden besten Milchkühe. Aber ein paar Buben hier aus dem Ort haben ein Loch in unseren Zaun gerissen, und die Rindviecher wollten wohl mal sehen, wie es auf der anderen Seite aussieht. Sie sind auf die Straße gerannt, direkt in einen Lastwagen hinein. Es war ein richtiges Glück, dass nicht noch mehr passiert ist, der Fahrer ist unverletzt geblieben – aber natürlich hat er einen Schock bekommen. Zwei weitere Kühe wollten auch noch durch das Loch schlüpfen, das konnte ich verhindern.«
»Das war für die Eltern der Buben aber teuer«, vermutete Arndt.
»Ach was«, brummte Bauer Renninger. »Die Eltern haben doch so schon nichts zu beißen, soll ich die auch noch ins Unglück stürzen? Ich hab zwar viel Arbeit, aber wir kommen zurecht, meine Frau, mein Sohn mit seiner Familie und ich. Und ins Grab kann ich doch nichts mitnehmen, Herr Doktor.«
Arndt lächelte dem alten Mann zu, ihm war dessen Haltung außerordentlich sympathisch. Er blieb noch, bis das Kalb versuchte, sich auf seine staksigen Beine zu stellen, was ihm nach mehreren Anläufen schließlich auch gelang. Da stand es nun und wusste noch nicht so recht, wohin es sich wenden sollte, doch ein kleiner Stups seiner Mutter genügte, ihm den Weg zur ersehnten Milch zu weisen.
»Übernächste Woche dürfte die andere Kuh so weit sein, Herr Doktor, aber wenn es keine Probleme gibt, machen wir das allein, da ist mein Sohn auch wieder da – der ist diese Woche unterwegs.«
»Sonst rufen Sie an, dann komme ich, Herr Renninger.«
Arndt und der alte Bauer wechselten einen kräftigen Händedruck, dann setzte sich Arndt in seinen Kombi und rollte langsam vom Hof. Seine Vertretung ließ sich nicht schlecht an, wahrhaftig nicht.
*
»Sind Sie Herr Wenger?«, fragte Julietta, als sie das Büro des Stallmeisters betrat.
»Der bin ich«, bestätigte Robert Wenger. »Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Julietta von Barrentrop. Sie wussten doch, dass ich komme!« Das klang durchaus vorwurfsvoll.
»Julietta also«, wiederholte Robert gelassen. »Ich duze alle, die hier unter meinem Kommando arbeiten, bei dir werde ich keine Ausnahme machen. Wollen wir gleich einen Rundgang machen?«
Sie rührte sich nicht. »Ich will nicht geduzt werden«, sagte sie störrisch.
»Tut mir leid, aber ich bin hier derjenige, der die Regeln macht.«
»Das dürfen Sie überhaupt nicht!«
»Mag sein. Aber es dient der Vereinfachung der Arbeit. Du kannst ja eine Eingabe beim Herrn Baron machen und dich offiziell beschweren. Was ist nun mit dem Rundgang?«
Julietta nickte mit verschlossenem Gesicht. Robert Wenger und sie würden keine Freunde werden, das stand für sie bereits fest.
Robert