Der Trotzkopf. Emmy von Rhoden
vor Ueberraschung und Schreck, aber ihr Auge flog zur Mutter hinüber und sie unterdrückte den Sturm, der in ihr tobte. Um keinen Preis sollte diese erfahren, wie furchtbar es ihr war, die Heimat, den Vater vor allem, zu verlassen, sie, die doch sicherlich nur allein die Anstifterin dieses Planes war, denn der Papa – nein! Nimmermehr würde er sie von sich gegeben haben!
"Nun, du schweigst?" fragte Herr Macket, "du hast vielleicht selbst schon die Notwendigkeit eingesehen, daß du noch tüchtig lernen mußt, mein Kind, denn mit deinen Kenntnissen hapert es noch überall, nicht wahr?"
"Gar nichts habe ich eingesehen!" platzte Ilse heraus, "du selbst hast mir ja oft genug gesagt, ein Mädchen brauche nicht so viel zu lernen, das allzu viele Studieren mache es erst recht dumm! Ja, das hast du gesagt, Papa, und nun sprichst du mit einemmal anders. Nun soll ich fort, soll auf den Schulbänken sitzen zwischen andern Mädchen und lernen, bis mir der Kopf weh thut. Aber es ist gut, ich will auch fort, ja ich freue mich auf die Abreise. Wenn nur erst der 1. Juli da wäre!"
Und sie erhob sich hastig, warf den Rest ihres Frühstücks auf den Tisch und eilte fort, hinauf in ihr Zimmer, und jetzt brachen die Thränen hervor, die sie bis dahin nur mühsam zurückgehalten hatte.
Frau Anne wäre dem Kinde gar zu gern gefolgt, sie fühlte, was in dem jungen Herzen vorging, aber sie wußte genau, daß Ilse ihre gütigen Worte trotzig zurückweisen würde; so blieb sie zurück und hoffte auf die Zeit, wo Ilses gutes Herz den Weg zu ihrer mütterlichen Liebe finden werde. – –
Die wenigen Wochen bis zum festgesetzten Termine vergingen schnell. Frau Anne hatte alle Hände voll zu thun, um Ilses Garderobe in Ordnung zu bringen. Die Vorsteherin der Pension hatte auf Herrn Mackets Anfrage sofort geantwortet und sich gern zu seiner Tochter Aufnahme bereit erklärt. Zugleich hatte sie ein Verzeichnis der Sachen mitgeschickt, die jede Pensionärin bei ihrem Eintritt in das Institut mitzubringen habe.
Ilse lachte spöttisch über die, nach ihrer Meinung vielen unnützen Dinge, besonders die Hausschürzen fand sie geradezu lächerlich. Sie hatte bis dahin niemals eine solche getragen.
"Die dummen Dinger trage ich doch nicht, Mama!" sagte sie, als Frau Anne dabei war, den Koffer zu packen, "die brauchst du gar nicht einzulegen."
"Du wirst dich doch der allgemeinen Sitte fügen müssen, mein Kind," entgegnete die Mutter. "Warum wolltest du auch nicht? Sieh’ einmal her, diese blau und weiß gestreifte Schürze mit den gestickten Zacken ringsum, ist sie nicht ein reizender Schmuck für ein kleines Fräulein, das sich im Haushalte nützlich machen wird?"
"Ich werde mich aber im Haushalte nicht nützlich machen!" rief Ilse in ungezogenem Tone, "das fehlte noch! Ihr denkt wohl, ich soll dort in der Küche arbeiten oder die Stuben aufräumen? Die Schürzen trage ich nicht, ich will es nicht!"
"Uebertreibe nicht, Ilse," entgegnete Frau Anne, "du weißt recht gut, daß man dergleichen nie von dir verlangen wird. Wenn du durchaus die Schürzen nicht tragen magst, so kannst du ja deinen Wunsch der Vorsteherin mitteilen, vielleicht erfüllt sie dir denselben."
"Ich werde sie nicht erst darum fragen! Solche Dinge gehen sie gar nichts an!" war Ilses unartige Antwort.
Sie verließ die Mutter, auf welche sie einen wahren Groll hatte. All die schönen Wäsche- und Kleidungsstücke, die Frau Anne mit Liebe und Sorgfalt für sie ausgewählt hatte, fanden keine Gnade vor ihren Augen, nicht einen Funken Interesse zeigte sie dafür.
Dem Papa erklärte sie, daß sie ein kleines Köfferchen für sich selbst packen werde. Niemand solle ihr dabei helfen, niemand wissen, welche Schätze sie mit in das neue Heim hinüberführen werde.
"Das ist eine prächtige Idee, Ilschen," stimmte Herr Macket bei, "nimm nur mit, was dir Freude macht."
Und er ließ sofort einen allerliebsten, kleinen Koffer kommen und überraschte seinen Liebling damit. Als Ilse ihm erfreut und dankend um den Hals fiel, als sie ihn seit längerer Zeit zum erstenmal wieder "mein kleines Pa’chen" nannte, da wurde es ihm so weich ums Herz, daß er sich abwenden mußte, um seine Rührung zu verbergen.
Am Tage vor ihrer Abreise schloß sich Ilse in ihr Zimmer ein und begann zu packen. Aber wie! Bunt durcheinander, wie ihr die Sachen in die Hand kamen. Zuerst das geliebte Blusenkleid nebst Ledergürtel, es wurde nur so in den Koffer hineingeworfen und mit den Händen etwas festgedrückt, dann die hohen Lederstiefel mit Staub und Schmutz, wie sie waren, dann eine alte Ziehharmonika, auf der sie nur ein paar Töne hervorbringen konnte, ein neues Hundehalsband mit einer langen Leine daran, ein ausgestopfter Kanarienvogel, und zuletzt, nachdem die wunderbarsten Dinge in den Koffer gewandert waren, griff sie nach einem Glase, in welchem ein Laubfrosch saß. Es ist kaum zu glauben, indessen auch dieses sollte mitverpackt werden, – sie hatte sich so an das Tierchen gewöhnt. Sie nahm ein gutes, gesticktes Taschentuch aus dem Kommodenkasten, band dasselbe über das Glas, legte auch noch eine Papierhülle darüber, schnitt ganz kleine Löcher in beides und steckte einige Fliegen hindurch.
"So," sagte sie höchst befriedigt von ihrer Packerei, "nun bist du gut versorgt, mein liebes Tierchen, und wirst nicht verhungern auf der weiten Reise."
Wie sie das Glas hineinbrachte in den Koffer, war wirklich ein Kunststück, das ihr erst nach vieler Mühe gelang. Aber endlich war sie doch so weit, daß sie den Deckel schließen konnte. Er klemmte etwas und Ilse mußte sich erst darauf knieen, bevor derselbe ins Schloß fiel. Den kleinen Schlüssel zog sie ab, befestigte ihn an einer schwarzen Schnur und band diese sich um den Hals.
Als das Abendbrot verzehrt war und die Eltern noch am Tische saßen, ging Ilse in den Hof und machte eine Runde durch alle Ställe. Von den Hühnern, Tauben, Kühen, Pferden – sie hatte so viele Lieblinge darunter – nahm sie Abschied; morgen sollte sie ja alle auf lange Zeit verlassen. Das Lebewohl von den Hunden wurde ihr am schwersten, sie waren alle ihre guten Freunde. Dianas Sprößlinge, die schon allerliebst herangewachsen waren und sie zärtlich begrüßten, lockten ihr Thränen des tiefsten Leides hervor.
Neben ihr stand Johann. Er hatte das kleine Fräulein vom ersten Tage ihres Lebens an gekannt und liebte sie abgöttisch. Als er ihre Thränen sah, liefen auch ihm einige Tropfen über die Wangen.
"Wenn das kleine Fräulein wiederkommt," sagte er mit kläglicher Stimme und fuhr mit der verkehrten Hand über die Wange, "dann wird es wohl eine große Dame sein. Ja ja, Fräulein Ilschen, unsre schöne Zeit ist dahin! Ach und die Hunde, wie werden sie das Fräulein vermissen! Die sind gescheit! Menschlichen Verstand hat das dumme Vieh! Wie sie schmeicheln, die kleinen Krobaten, als ob sie wüßten, daß unser kleines Fräulein morgen abreist – –" hier wurde seine Stimme so unsicher, daß er nicht weiter sprechen konnte.
"Johann," entgegnete Ilse unter Schluchzen, "sorge für die Hunde. Und wenn du mir einen großen – den letzten Gefallen thun willst, so," hier sah sie sich erst vorsichtig nach allen Seiten um, ob auch niemand in der Nähe war, "so nimm Bob," diesen Namen hatte sie Dianas kleinem Söhnchen gegeben, "mit auf den Kutscherbock morgen, wenn du mich zur Bahn fährst, aber heimlich. Niemand darf es wissen, ich will ihn mitnehmen. Ein Halsband und eine Leine habe ich schon eingepackt. Aber Johann, heimlich, hörst du?"
Der Kutscher war glücklich über diesen Auftrag und daß er dem lieben, kleinen Fräulein noch einen Liebesdienst erweisen konnte. Er lächelte verschmitzt und versprach, Bob so geschickt unterzubringen, daß keine menschliche Seele von dem Hunde etwas merken solle.
Früh am andern Morgen stand der Wagen vor der Thür, der Ilse fortbringen sollte. Herr Macket begleitete sie bis W., um sie der Vorsteherin, Fräulein Raimar, selbst zu überbringen. Er mußte sich doch persönlich überzeugen, wo und wie sein Liebling aufgehoben sein werde. Frau Anne nahete sich Ilse im letzten Augenblick, um zärtlich und gerührt von ihrem Kinde Abschied zu nehmen, aber diese machte ein finsteres, trotziges Gesicht und entwand