Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
Anzeichen dafür aufgewiesen hätte. Um seine Lippen spielte das liebenswürdige Lächeln, das die Kaufleute dem Kunden gegenüber immer aufsetzen; aber dieses Kaufmannslächeln war bei ihm der Reflex seiner innerlichen Zufriedenheit und seines weichen Gemüts. Sein Mißtrauen machte sich nur bei Geschäften geltend, und wenn er die Börse verließ oder sein Hauptbuch schloß, war seine Verschlagenheit verschwunden. Verdacht war für ihn dasselbe wie das, was auf seinen Fakturen gedruckt stand: eine mit dem Geschäftemachen verbundene Notwendigkeit. Sein Gesicht drückte Sicherheit mit einem gewissen komischen Anflug aus, eine Mischung von Selbstgefälligkeit und Wohlwollen, die es originell erscheinen ließ und verhinderte, daß es allzusehr den platten Gesichtern der Pariser Bourgeois ähnlich sah. Ohne diesen Zug naiver Selbstbewunderung und Glauben an sich hätte er zuviel Respekt eingeflößt; so kam er den übrigen Menschen näher, indem er den ihm zukommenden Anteil am Lächerlichen beisteuerte. Wenn er sprach, kreuzte er gewöhnlich die Hände auf dem Rücken. Wenn er etwas Liebenswürdiges oder Bedeutendes gesagt zu haben glaubte, so erhob er sich unmerklich zweimal auf den Fußspitzen und ließ sich dann schwer auf die Hacken zurückfallen, als wollte er seinen Ausspruch bekräftigen. Auf der Höhe einer Diskussion sah man ihn zuweilen sich plötzlich um sich selbst drehen, einige Schritte machen, als wenn er nach einer Entgegnung suche, und dann mit einer brüsken Bewegung auf seinen Gegner losgehen. Niemals unterbrach er den andern und sah sich oft das Opfer dieser strikten Beobachtung des Schicklichen werden, denn die andern rissen sich die Worte vom Munde, und der arme Mann verließ schließlich den Kampfplatz, ohne daß er ein Wort hatte sagen können. Seine große Erfahrung in geschäftlichen Angelegenheiten hatte bei ihm Gewohnheiten ausgebildet, die von einigen für fixe Ideen gehalten wurden. Wenn ein Wechsel nicht eingelöst wurde, so sandte er ihn an den Gerichtsvollzieher und kümmerte sich nicht weiter darum, bis er Kapital, Zinsen und Kosten empfangen hatte; der Gerichtsvollzieher mußte die Sache so lange verfolgen, bis der Kaufmann Konkurs anmeldete; dann unterließ Cäsar jedes weitere Vorgehen, erschien zu keiner Gläubigerversammlung und behielt sich seine Ansprüche vor. Dieses Prinzip und die unerbittliche Verachtung gegen alle Fallierten hatte er von Ragon übernommen, der im Verlaufe seines Geschäftslebens schließlich bei solchen streitigen Sachen so viel Geld verloren hatte, daß er die Aussicht auf eine magere und unsichere Dividende beim Akkorde für reichlich aufgewogen erachtete, wenn er seine Zeit nicht damit verlor, hin und her zu laufen, alle möglichen Schritte zu tun und die Ausreden unredlicher Schuldner nachzuprüfen.
»Wenn der Konkursschuldner ein anständiger Mensch ist und wieder in die Höhe kommt, so wird er Ihnen seine Schulden bezahlen. Wenn ihm das nicht gelingt und er wirklich im Elend ist, wozu ihn quälen? Und ist es ein Schuft, so werden Sie doch nichts erhalten. Ihre strenge Anschauung ist bekannt und man weiß, daß Sie nicht mit sich handeln lassen; da man Ihnen also nichts abdingen kann, solange man noch imstande ist, zu zahlen, so sind Sie derjenige, der sein Geld bekommt.«
Bei einer Verabredung erschien Cäsar zur festgesetzten Stunde, aber zehn Minuten später verschwand er, ohne sich darin jemals irremachen zu lassen; daher bewirkte seine Pünktlichkeit, daß die Leute, die mit ihm zu tun hatten, ebenso pünktlich waren.
Seine Kleidung paßte zu seinen Gewohnheiten und seinem Äußeren. Keine Macht der Erde hätte ihn bestimmen können, auf die weißen Musselinkrawatten zu verzichten, deren von seiner Frau oder seiner Tochter gestickte Enden ihm unter dem Kinn herabhingen. Seine rechtwinklig zugeknöpfte Weste aus weißem Pikee ging ziemlich tief über seinen Bauch herunter, der hervortrat, da er etwas zur Fettleibigkeit neigte. Er trug eine blaue Hose, schwarzseidene Strümpfe und Schnürschuhe, deren Schleifen ihm oft aufgingen. Sein stets sehr weiter, olivengrüner Überrock und sein breitrandiger Hut gaben ihm das Aussehen eines Quäkers. Bei den Sonntagsgesellschaften legte er ein seidenes Beinkleid, Schuhe mit goldenen Schnallen und die unvermeidliche rechteckige Weste an, deren Öffnung dann ein plissiertes Jabot sehen ließ. Sein brauner Frack war in breiten Bahnen geschnitten und hatte lange Schöße. Er trug selbst noch im Jahre 1819 zwei parallel herabhängende Uhrketten, legte aber die zweite nur bei der Sonntagstracht an.
So war Cäsar Birotteau beschaffen, ein würdiger Mann, dem die geheimnisvollen Mächte, die über der Geburt der Menschen walten, es versagt hatten, das politische und das bürgerliche Leben in seinem Zusammenhang beurteilen zu können und sich über das soziale Niveau des Mittelstandes zu erheben, und der in allen Dingen den eingewurzelten Irrtümern huldigte; alle seine Ansichten hatte er von andern empfangen und handelte nach ihnen, ohne sie zu prüfen. Blind, aber gut, wenig geistvoll, aber tief religiös, war er ein Mensch mit reinem Herzen. Dieses Herz war ausgefüllt von einer einzigen Liebe, dem Licht und der Kraft seines Lebens; denn sein Wunsch, emporzustreben, das Erwerben seiner wenigen Kenntnisse, alles beruhte auf der hingebenden Liebe für seine Frau und seine Tochter.
5
Was Frau Konstanze anlangt, so war sie damals siebenunddreißig Jahre alt und glich vollkommen der Venus von Milo, so daß alle, die sie kannten, in ihr das Abbild jener schönen Statue sahen, als der Herzog von Rivière diese nach Paris gebracht hatte. Aber in wenigen Monaten färbte dann der Kummer die blendende Weiße ihres Teints gelb und runzelte und schwärzte den bläulichen Kreis, aus dem ihre schönen grünlichen Augen hervorstrahlten, so grausam, daß sie das Ansehen einer alten Madonna bekam; denn sie bewahrte sich selbst mitten in ihrem Elend ihre anmutige Unberührtheit, ihren reinen, wenn auch traurigen Blick, und man mußte sie immer noch als eine schöne Frau von zurückhaltendem, dezentem Wesen ansehen. Bei dem von Cäsar geplanten Balle sollte sie zum letztenmal sich des allgemein auffallenden Glanzes ihrer Schönheit zu erfreuen haben.
Eine jede Existenz hat ihren Höhepunkt, die Zeit, da die wirksamen Ursachen genau im richtigen Verhältnis zu den erzielten Resultaten stehen. Dieser Mittag des Lebens, wo die lebendigen Kräfte sich im Gleichgewicht halten und ihre volle Macht zeigen, ist nicht allein allen Lebewesen, sondern auch den Städten, den Nationen, den Ideen, den Institutionen, dem Handel und den Unternehmungen gemeinsam, die ähnlich wie edle Rassen und Dynastien entstehen, in die Höhe kommen und zu Boden sinken. Woher rührt die Gewalt, mit der dieses Wesen des Aufstiegs und Niedergangs allem Organischen hienieden anhaftet? Selbst der Tod hat in Pestzeiten sein Ansteigen, sein Abschwellen,