Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten. Susanne Pavlovic

Die FROST-Chroniken 1: Krieg und Kröten - Susanne Pavlovic


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du den Verstand verloren?«, schimpfte Galina. »Hier so einen Lärm zu machen! Du hast es vielleicht vergessen während deiner langen Reise, aber hierzulande klopft man nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr bei alleinstehenden Frauen!«

      »Du bist also alleinstehend«, sagte Yuriko. »Das tut mir aber leid. Woran liegt es? Du bist so hübsch geworden.«

      »Als ob ich mein Liebesleben mit dir diskutieren würde! Auf der Türschwelle! Nach Einbruch der Dunkelheit!«

      »Du kannst mich auch reinlassen.«

      »Ganz bestimmt nicht!«

      »Galina, ich brauche wirklich Geld. Mein Haus ist nicht bewohnbar. Ich habe nichts zu essen und kein Bett zum Schlafen. Ich bin einsam. Morgen kann ich zur Bank und auf mein Vermögen zugreifen. Ich zahle dir alles zurück.«

      »Als ob!«

      Sie warf die Tür zu, und nur ein schneller Schritt rückwärts bewahrte seine Nase vor einem unsanften Aufprall. Er stand und starrte die Tür an, klopfte dann erneut und rief ihren Namen. Beschimpfte die Nachbarn, die ihn beschimpften. Klopfte noch ein bisschen mehr, bis die Tür sich tatsächlich wieder öffnete. Einen Spaltbreit nur, aber Galinas Hand erschien, darin ein Beutel, der erfreulich prall gefüllt war.

      »Morgen bekomme ich das zurück, und die sieben Silberfedern obendrein, oder ich nehme eine Schere und verpasse dir einen Bürstenschnitt.«

      Yuriko widerstand dem Impuls, schützend nach seinem Zopf zu greifen, und schnappte sich stattdessen den Beutel.

      »Ich danke dir, Galina. Du rettest mir das Leben.«

      »Morgen«, sagte sie durch den Spalt. »Ich mein’s ernst.«

      Die Tür schloss sich. Yuriko hörte, wie Riegel vorgeschoben wurden. Das Konzert der Nachbarn verebbte. Im Schein einer Laterne zählte Yuriko das Geld. Es würde für das Nötigste reichen.

      Er erwachte, weil er sehr unbequem lag. Unter ihm war kalter, harter Boden. Seine Finger ertasteten Staub und Dreck und kleine Steinchen. Trübes Tageslicht sickerte durch seine geschlossenen Augen. Er drehte den Kopf und bereute es sofort. Gütiger Krötengeist, waren das Schmerzen. Er wälzte sich herum und presste stöhnend die Hand gegen die Stirn. Übelkeit wallte in ihm auf. Er würgte, und hinter seiner Stirn explodierte ein Feuerball. Am Rande seiner Wahrnehmung drang ein schabendes Geräusch zu ihm, dann wurde er mit einem harten Gegenstand angeschubst. Er blinzelte. Ein Eimer. Bevor er Fragen stellen oder die Situation zur Gänze erfassen konnte, nutzte sein Magen die Gelegenheit und drehte sich um. Yuriko erbrach sich, bis nichts mehr kam, sank dann zurück und war sicher, dass diese Kopfschmerzen ihn umbringen würden.

      Geraume Zeit später lebte er immer noch. Schmerzen und Übelkeit ebbten weit genug ab, um eine gewisse Neugier bezüglich seines Verbleibs zuzulassen.

      Er erinnerte sich an Violetta und Anemone. An Wein. Viel davon. An die ungeheuer verdorbenen Dinge, die Anemone getan hatte, ohne ihr graziöses Lächeln zu verlieren. Diese Kleine, die auf den ersten Blick dahergekommen war wie die Unschuld vom Lande.

      Violettas erstaunliche Zungenfertigkeit. Hm.

      Die Erinnerung weckte ein müdes Echo seiner Lebensgeister.

      Yuriko beschloss, sich dem Tag zu stellen wie der Held, der er war. Er öffnete ein Auge.

      Zerbrochene Bodenfliesen und Dreck und altes Laub und ein schmutziger, durchgelaufener Schuh und löcherige Hosenbeine und blasse Arme, die sich um knochige Knie schlangen und ein schmutziges Gesicht mit sehr wachen, sehr klugen Augen, die nachdenklich auf ihn hinunterschauten.

      Seine Nase fühlte sich seltsam an. Er schielte. Eine Kröte. Das durfte doch nicht wahr sein. In seinem Zustand einen Zauber zu wirken, war nicht ganz ohne Risiko, aber da hockte sein ungebetener Gast ihm gegenüber, und er hatte sich vielleicht schon genug zum Narren gemacht. Er konzentrierte sich, so gut es ging, und löste den Siegelzauber. Die Kröte verschwand, dem Gefühl nach zusammen mit seinem halben Gesicht, aber dann war doch glücklicherweise alles beim Alten. Yuriko atmete auf und versuchte, einen Rest Würde zusammenzukratzen.

      »Du bist also immer noch hier. Oder sollte ich sagen, schon wieder? Sag, hat mein Siegelspruch an der Haustür dich nicht abgeschreckt?«

      Das Wesen – ein sehr mädchenhafter junger Mann oder ein sehr burschikoses Mädchen – zeigte auf die Hintertür.

      »Das leuchtet ein«, sagte Yuriko seufzend. »Aber vielleicht verrätst du mir deinen Namen, wenn du schon hier eingezogen bist.«

      Der ungeladene Gast schüttelte den Kopf und zeigte auf seinen Mund.

      »Du kannst nicht sprechen?«

      Ein Nicken war die Antwort.

      »Schreiben?«, versuchte Yuriko es weiter. »Kannst du mir deinen Namen aufschreiben?«

      Der Gast hob die Schultern. Yuriko kam auf die Knie und zog sich am Treppengeländer in die Höhe, das unter der Beanspruchung bedrohlich knarrte. Sein Kopf schepperte. Er hatte keine Ahnung, wie er nach Hause gefunden hatte. Vermutlich der gleiche Instinkt, der die Kröten im Frühjahr immer zum richtigen Teich brachte. In seinen Kleidern hing der Duft nach Puder und Blütenöl.

      Mit wackeligen Schritten ging er zur Tür und holte das Siegelpapier. In seiner Tasche fand er den abgebrochenen Rest eines Kohlestifts und reichte dem Mädchenjungen beides hinüber.

      Das Jungenmädchen fasste den Stift wie jemand, der geübt im Schreiben war. Die Buchstaben waren angenehm regelmäßig – eindeutig die Handschrift einer gelehrten Person.

      »Arkadis«, las Yuriko vor. »Das ist dein Name?«

      Der Gast nickte, schüttelte dann den Kopf und zuckte mit den Schultern. Ein kleines Lächeln verlieh ihm einen Hauch von Liebreiz, und Yuriko beschloss, bis auf weiteres von einem weiblichen Wesen auszugehen. Der Name, von dem er sich zumindest darüber Aufschluss erhofft hatte, war ja sagenhaft nichtssagend.

      »Gut«, sagte er. »Arkadis. Warum bist du hier? Kannst du mir das aufschreiben?«

      Er zeigte auf das Papier. Gleichzeitig öffnete Arkadis den Mund und streckte die Zunge heraus.

      »Oi«, sagte Yuriko verblüfft. Das Mädchen trug ein tintenschwarzes Siegel auf der Zunge. Darüber hinweg sah sie ihn ernst an. Er zwinkerte, um die Unschärfe des Weins aus dem Blick zu bekommen. Im Zentrum des Siegels befand sich die stark vereinfachte Darstellung einer Blume mit vier Blütenblättern. Umgeben und überlagert war die Blume von einer Menge wirrer Schnörkel und Striche, auf die Yuriko sich keinen Reim machen konnte.

      Yuriko hatte noch nie ein solches Siegel gesehen – und noch nie jemanden, der eines, egal welches, auf der Zunge trug. Das plötzliche Bedürfnis überfiel ihn, ungehindert vom Rest­alkohol auf seinen Verstand zugreifen zu können.

      »Warte«, sagte er. »Dauert nur einen Augenblick!«

      Noch im Laufen entledigte er sich seiner Kleidung. Während er mit dem Kopf im Hemd feststeckte, kollidierte er unsanft mit der Birke, die auf dem Weg zum Teich wuchs. Er fluchte, befreite sich vom Hemd, wand sich aus den Hosen und ließ sich in den Teich fallen.

      Das Wasser war noch kalt von der Nacht und presste ihm die Nebelschwaden aus dem Kopf. Die Übelkeit verging. Friede kehrte ein. Sonnenstrahlen wehten wie zarte Goldfäden zwischen den Seerosenblättern in die Tiefe. Das Siegel auf Yurikos Brust nahm die Arbeit auf. Eine dicke Krötendame paddelte nur eine Handbreit vor seinem Gesicht vorbei.

      Siegel. Eine Schnörkelblume mit seltsamen Zeichen drum herum. Ach ja.

      Yuriko stieß sich vom Grund ab, tauchte auf und kämpfte sich durch den ersten Atemzug. Er wischte sich Wasser aus dem Gesicht und blinzelte. Auf dem Steg kniete Arkadis und hielt ihm seine Kleider hin.

      »Hetz mich nicht«, murrte Yuriko. »Man wird doch erst mal wachwerden dürfen.«

      Er stemmte sich auf den Steg und rieb sich in Ermangelung eines Handtuches mit seinem Hemd trocken. Arkadis kniete vor ihm, sah ihn unverwandt an und streckte ihm die Zunge heraus. Yuriko


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