Der Fürstentrust. Christian Bommarius
zu berechnen. Der Revisor hatte in einem »Memorandum« eine Summe von »acht Millionen zweihundertsiebentausend dreihundertundsiebenundzwanzig Mark 15 Pf.« ermittelt, aufgerundet um den »Betriebswert der Konzession für die Zukunft« um 1.792.672 Mark, 85 Pfennig, alles in allem: genau zehn Millionen Mark. Portugal war ein armes Land, die geforderte Summe hätte den Staatshaushalt gesprengt. Die Regierung erwog, eine Staatsanleihe aufzulegen. Da meldeten englische Zeitungen, ein »britischer Kapitalist« namens John Williams habe angeboten, Prinz Friedrich Karl die Konzession für zehn Millionen abzukaufen, sofern das portugiesische Parlament der bisherigen Konzession zum Bau der Sanatorien und Hotels eine weitere hinzufüge – eine Casino-Konzession.
In ihrer Not war die portugiesische Regierung zu Verhandlungen bereit und führte bereits Gespräche mit Williams, als in der portugiesischen Presse Artikel erschienen, die enthüllten, wer sich hinter dem vermeintlichen Retter verbarg: Manuel Goncalves, Ernst Hofmann und selbstverständlich Prinz Friedrich Karl. Williams war ihr Strohmann, der dem Prinzen – natürlich nur auf dem Papier – zehn Millionen Mark für die Abtretung der dann um die Casino-Erlaubnis angereicherten Sanatorien-Konzession überweisen sollte.22 Ein glänzendes Geschäft, das allerdings nicht zustande kam – das Parlament lehnte die Spiel-Konzession ab, und der portugiesische Ministerpräsident beklagte sich beim deutschen Gesandten Tattenbach, »dass für den Prinzen und seine Agenten von Anfang an der Betrieb des gewerbsmäßigen Spiels das Ziel ihrer Bestrebungen gewesen sei und die humanitären Ziele nur den Vorwand gebildet hätten«. In seinem Bericht über das Gespräch mit dem portugiesischen Ministerpräsidenten an Reichskanzler Bülow vom 25. Februar 1907 beschwerte sich Tattenbach: »Es ist keine angenehme Sache, für die Interessen dieser Gesellschaft gegenüber der portugiesischen Regierung eintreten zu müssen.« Es wäre besser gewesen, dem Prinzen klarzumachen, dass es nicht Aufgabe des Auswärtigen Amtes sei, sich um seine Interessen zu kümmern: »Leider ist das nicht geschehen.«
Der Ministerpräsident hatte Tattenbach gegenüber zudem behauptet, Friedrich Karl habe nicht nur die portugiesische Regierung und das Auswärtige Amt in Berlin hinters Licht geführt, »sondern auch seinen Bruder, den Herzog«, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen. Dagegen spricht zum einen, dass es Christian Kraft gewesen war, der in der Madeira-Affäre das Schmiergeld für die Beamten des Auswärtigen Amtes zur Verfügung gestellt hatte.23 Zum anderen war Christian Kraft als bedeutender Montanmagnat ein erfahrener Unternehmer. Im Übrigen war der Name Ernst Hofmanns, spätestens seit die deutsche Presse regelmäßig und ausführlich über seine Prozesse im Streit mit Prof. Pannwitz berichtete, nicht nur in der Geschäftswelt bekannt und berüchtigt. Das kann Christian Kraft nicht verborgen geblieben sein, ebenso wenig wie der in allen größeren Zeitungen diskutierte Verdacht, schwerreiche Vertreter der Hocharistokratie planten klandestin ein neues Monte Carlo auf Madeira. Und wie der Fortgang der Geschichte zeigt, schätzte Christian Kraft an seinem Vertrauten Hofmann, dem gescheiterten Goldgräber, vor allem eines: sein Gespür für unkonventionelle Geschäfte.
Im April 1907 sagten der Aufsichtsratsvorsitzende Prinz Friedrich Karl und sein Stellvertreter, Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg, der Madeira-Aktiengesellschaft überraschend Valet. Der Gesellschaft war es zwar gelungen, der portugiesischen Regierung die Sanatorien-Konzession für fast fünf Millionen Mark (genau: 4.957.301,18 Mark) zurückzuverkaufen. Jedoch blieb – die Berechnungen des Bücherrevisors zugrunde gelegt – ein Verlust von fünf Millionen Mark. Das war für die kapitalkräftigen Aktionäre kein Problem, aber es war das Ende der Gesellschaft. Friedrich Karl gab auf einer ordentlichen Generalversammlung bekannt: »Die schon im Geschäftsbericht erwähnten Schwierigkeiten mit Portugal, welche auf die Entwicklung der Gesellschaftsunternehmungen in Madeira hemmend einwirkten, haben den Gedanken nahegelegt, die ursprünglich beabsichtigte Beschränkung aufzugeben.« Madeira werde aus dem Statut gestrichen, das Kapital auf 15 Millionen Mark erhöht.
Eine neue Gesellschaft würde entstehen. Nicht mehr Prinz Friedrich Karl würde das Sagen haben, sondern ihre beiden reichsten Geldgeber, Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen und Max Egon II. Fürst zu Fürstenberg. Hatte die Madeira-Aktiengesellschaft nur Roulettetische auf der Atlantikinsel aufstellen wollen, würde die neue Gesellschaft in Berlin selbst ein gigantischer Roulettetisch sein, der größte, den das Kaiserreich jemals gesehen hatte, mit den höchsten Einsätzen und den spektakulärsten Verlusten, mit den verwegensten und dilettantischsten Spielern und mit dem unfähigsten und skrupellosesten Croupier. Er eröffnete das Spiel am 24. April 1908: »Der in der III. ordentlichen Generalversammlung unserer Gesellschaft gefasste Beschluss, die bisherige Firma Madeira Aktiengesellschaft umzuwandeln in: Handels-Vereinigung Aktiengesellschaft ist heute in das Handelsregister eingetragen worden.« Gezeichnet: Ernst Hofmann.
Noch ehe zum ersten Mal die Kugel rollte, war das Millionen-Spiel berühmt. Man nannte es den Fürstentrust.
ERSTER SPIELER
Christian Kraft
Der Mensch ist, was er hat. Zum Beispiel ein Vermögen von 151 Millionen Mark1 und ein Jahreseinkommen von 7 Millionen Mark; er hat in Oberschlesien mit der Hohenlohe-Werke AG ein Bergbauimperium mit zehntausend Arbeitern und Angestellten sowie eine Residenz in Slawentzitz mit Schloss, Dienerschaft und angeschlossenem Bahnhof, in Javorina in der Hohen Tatra ein Jagdschloss mit 38.000 Hektar Wald – zur Jagd werden Wisente aus Polen, Steinböcke vom Sinai und Hirsche aus dem Kaukasus importiert –, in Franken Schlösser und mehr als fünftausend Hektar Ländereien und in Berlin-Grunewald eine Villa; er hat ein Vollblutgestüt, Automobile und Chauffeure, und er hat sogar, nach kurzem Studium in Bonn, juristische Grundkenntnisse. Er ist einer der größten Zinkproduzenten der Welt, einer der bekanntesten Jäger Deutschlands und Österreich-Ungarns, Vizepräsident des Deutschen Automobilverbandes und Vorsitzender des Berliner Pferderennclubs Union. Er ist Mitglied des preußischen Herrenhauses und des Reichstages. Er ist einer der reichsten Deutschen: Christian Kraft Fürst zu Hohenlohe-Öhringen, Herzog von Ujest.
Seit dem Tod des Vaters, Fürst Hugo, 1897 ist Christian Kraft als ältestes von acht Geschwistern Oberhaupt des fränkischen Adelsgeschlechts. Er wurde am 21. März 1848 in Öhringen geboren, dem Tag, an dem der preußische König Friedrich Wilhelm IV. mit schwarz-rot-goldener Schärpe durch Berlin ritt und scheinheilig »Deutschlands Freiheit, Deutschlands Einigkeit« versprach, drei Tage nachdem seine Soldaten mehr als dreihundert Bürger von den Barrikaden geschossen hatten. Christian Kraft ist also ein Kind der Revolution, ein Revolutionär aber ist er nicht. Wie sein Vater, der Vizepräsident des Reichstages war, beschäftigt er sich zwar mit Politik und ist Abgeordneter der deutschkonservativen Partei, die Bismarck über dessen Tod hinaus treu ergeben ist, doch über die Jahre hat er die Lust daran verloren: »Die Politik wird jetzt so ekelhaft betrieben u. es wird so haarsträubender Blödsinn zu Tage gefördert, dass ich eigentlich gar nicht mehr in den Reichstag gehe.«2 Und wie sein Vater, der 1866 als Generalleutnant an der Schlacht von Königgrätz teilgenommen hatte, war auch Christian Kraft in die Reichsgründungskriege gezogen, hatte aber auf eine militärische Laufbahn verzichtet.
Weder in der Politik noch beim Militär entwickelt Christian Kraft also besonderen Ehrgeiz. Selbst als er 1894 zum königlichen Oberstkämmerer avancierte – ein Ehrenamt, das ihn immerhin zur ersten Charge am preußischen Hof machte, noch vor dem Ministerpräsidenten, dem Generalfeldmarschall und den Häuptern der fürstlichen Familien3 –, hat ihn das nur wenig beeindruckt. Als es 1899 zu einem Streit mit dem Kaiser kam, legte er das Amt kurzerhand nieder. Schwerer wird ihn die Reaktion Wilhelms II. getroffen haben. Der »nervöse« Kaiser war für seine Schießwut berüchtigt, die Gelegenheit zur Jagd ließ er sich kaum jemals entgehen.4 Aber die Einladung Christian Krafts zur Jagd in Slawentzitz hatte er, wie die Berliner Salonnière Baronin Spitzemberg in ihrem berühmten Tagebuch berichtet, wütend ausgeschlagen, »für die doch der Herzog 16.000 lebende Fasanen hat aufkaufen lassen, die nun ihn fast auffressen, eine Ausgabe von etwa 80.000 M!«5 Das war eine Beleidigung nicht nur des Fürsten, sondern auch des Waidmanns Christian Kraft, dessen »erstklassige Jagderfolge« die europäische Presse feiert: »In der Tatra besitzt Fürst Hohenlohe eines der schönsten Jagdreviere Europas, und hier erbeutete er in der diesjährigen Brunftzeit einen Hirsch, der förmlich an die sagenhaften Gestalten vergangener Jahrhunderte erinnerte.