Ich bin, was ich bin. Claudio Honsal

Ich bin, was ich bin - Claudio Honsal


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nach vielen intensiven Gesprächen mit Kollegen, Freunden und meiner Familie mit interessanten und spannenden Statements über das, was ich bin, und warum ich es aus deren Sicht bin, überrascht hat und diese elegant in meine Lebensgeschichte integriert hat.

      Die Initialzündung

       Wie mich ein Zufall zum Musical brachte

      Wäre ich in Hamm damals nicht auf diese Theatergruppe aufmerksam geworden, wer weiß, wie sich meine berufliche Zukunft gestaltet hätte. Immer wieder habe ich darüber nachgedacht. Unweigerlich tauche ich dann in meine Vergangenheit ein, in jene Zeit, als ich noch nicht auf den Bühnen dieser Welt stand und es nicht einmal im Traum für möglich hielt, einmal ein gefeierter Musicalstar zu sein.

      Man schrieb das Jahr 1985, das Kulturangebot bewegte sich in meiner Heimatstadt gegen null. Es gab kein eigenständiges Theater, Laienproduktionen fanden in Turnsälen oder Vereinsheimen statt, Musikbands, die mir aus Bravo oder dem Rundfunk bekannt waren, machten höchstens mal im nahen Münster auf ihren Tourneen Station. „Wild Boys“ von Duran Duran führte die deutsche Hitparade zwar an, aber ein gewisser Hans Hölzl, den ich viel, viel später einmal kennenlernen durfte, sorgte mit „Amadeus“ auch bei uns in Deutschland fürs Hinhören.

      Aus meinem uralten, quietschenden Kassettenrekorder leierten ganz andere Lieder. Songs von John Denver, Crosby Stills, Nash & Young oder Joan Baez. Kino war noch das größte kulturelle Vergnügen, das wir uns in der westfälischen Provinzstadt ab und zu gönnten.

      Ich leistete gerade meinen Zivildienst ab und verbrachte den Großteil der Tage als Pfleger in der Jugendpsychiatrie. Ich liebte diese verantwortungsvolle Tätigkeit und ging richtig auf im Ersatzdienst. Mein Privatleben war kaum existent. Von Zeit zu Zeit verbrachte ich einen Abend mit meinen Schulfreunden oder hatte Probentermine mit unserer alternativen Amateurband Saitensprung. Doch auch die wurden immer seltener, ebenso wie die Arbeit im Getränkevertrieb meines Vaters.

      Da passierte etwas, das mein Leben nachhaltig verändern sollte: die Initialzündung meiner schlummernden Leidenschaft. Eine ehemalige Schulkollegin sprach mich auf offener Straße an und gab mir einen Tipp. Sie machte mich auf ein Plakat der Laientheatergruppe Backstage aufmerksam. Annette Brückner, die damalige Leiterin der ortsansässigen Tanzschule, und Peter Gestwa hatten diese Gruppe ins Leben gerufen und sich mit einigen anderen Kulturinteressierten zusammengetan, um in meiner Heimatstadt etwas Kulturelles auf die Beine zu stellen. Das allein war schon eine Sensation. Nun suchten sie für eine Musicalrevue in Hamm Sänger.

      Mein Name soll damals immer wieder beim ambitionierten und durchwegs ehrenamtlich tätigen Leading Team rund um Annette gefallen sein. Durch meine, wenn auch seltenen, öffentlichen Auftritte mit der Band Saitensprung hatte ich offensichtlich einen gewissen Ruf erlangt in den musikaffinen Kreisen meiner Heimatstadt. Mir ging damals ständig ein Film durch den Kopf, den ich erst kurz davor im Kino gesehen und der mich schwer beeindruckt hatte: Fame. Die rührselige Story rund um den Ehrgeiz der jugendlichen Darsteller und ihr unablässiges Bestreben, in die Highschool of Performing Arts aufgenommen zu werden, ließ mich nicht los. Ein schönes Märchen, das im fernen New York spielte. Leroy, Doris, Montgomery – alle wollten sie den Weg zum Ruhm finden. Durchaus möglich, dass mich gerade dieser Film unbewusst beeinflusst hat, den Schritt zum Casting zu wagen, es zu probieren.

      Von Musical, Tanz oder Schauspiel hatte ich – wie ganz Hamm – keine Ahnung, während in Wien zeitgleich Cats schon riesige Erfolge feierte. Ja, Musik machte ich gerne, Geschichten wollte ich immer erzählen, auch schon mit Saitensprung. Aber mit der Stimme und nicht mit dem ganzen Körper. Männer interessierten sich damals nicht für Tanz, Ballett, ästhetische Bewegung. Sie hatten sich nicht dafür zu interessieren. Und die gesungenen Liedtexte unserer Band, die mussten deutlich, hart und sozialkritisch sein. Das entsprach der allgemeingültigen Philosophie der Jugendszene rund um Hamm, in der ich aufgewachsen bin.

       In Hamm begann ich, vom Broadway zu träumen

      Dreams on Broadway hieß die Produktion, und ich träumte von Anfang an meinen Lebenstraum. Vielleicht etwas naiv und amateurhaft, aber mit unglaublichen Ambitionen im Hinterkopf. Mein Ehrgeiz, den ich schon als Kind, beim Schneidern, beim Geschichten schreiben und später bei der Mitarbeit im väterlichen Getränkevertrieb hatte, kam mir nun zugute: 200 Prozent Einsatz, die ich immer leisten wollte und auch heute noch gebe, wenn ich sehe, dass eine Aufgabe es verdient.

      Ich war ein Einzelgänger und nicht gewohnt, mich in eine Horde von gleichgesinnten Schauspiel- und Gesangsamateuren einzufügen. Aber ich lernte, mich anzupassen. Was blieb mir anderes übrig? Ich hasste Vereine, nie zuvor war ich in einem Mitglied gewesen, weder im Fußballclub noch bei irgendwelchen Neigungsgruppen der örtlichen Turnvereine. Außerdem fehlten mir während meiner Schulzeit die Zeit und sicherlich auch die Muße. Erst beim Zivildienst, durch diesen gravierenden Cut nach dem Abitur, lernte ich, mir meine spärliche Zeit besser einzuteilen, mein eigenes Leben zu leben – im Wohnheim der Angestellten neben der Psychiatrie, wo ich untergebracht war, weit weg von der Familie. Ich war eben anders als viele meiner Altersgenossen. Erst jetzt wird mir das bewusst: Ich war immer schon, was ich war.

      Für das in meinen Augen ungemein große Projekt, dieses Neuland an Erfahrungen, die ich sammeln konnte, das Ausleben meiner verkappten Leidenschaften, nutzte ich vornehmlich die Wochenenden – um zu lernen, zu probieren, und für Warm-ups im Turnsaal der Schule. In simplen Jogging-Klamotten studierte ich die Schritte, die Bewegungen und Lieder ein, Tanzdressen kannte man damals noch nicht. Zumindest nicht in Hamm, hier war eben alles sehr amateurhaft. Angetrieben von der ungewohnten Atmosphäre und meinem inneren Ehrgeiz hatte ich Blut geleckt. Ein Metier, das ich nicht kannte, eine Beschäftigung, die mir körperliche und geistige Befriedigung verschaffte, so habe ich jene Wochen des Trainings in Erinnerung.

      Mit jedem Gedanken an diese Zeit wird die Erinnerung klarer. Mein Ziel war es, das zu perfektionieren, was jeder der 30 jungen Menschen perfektionieren wollte. Es gab keinen Star, keinen Solisten unter uns, wir waren gleichwertig. Ambitionierte Anfänger und Neo-Musicaldarsteller gaben sich die Türklinken in die Hand. Es war wie in einem Affenstall, einem Zirkuszelt, einem im Chaos versinkenden Ameisenhaufen.

      Die Räumlichkeiten waren ebenso klein wie ungeeignet. Vom Zimmer, in dem wir Gesang übten, ging es in den Raum, in dem wir die richtige Körperhaltung trainierten, weiter zu den Atemtechnikübungen und zum Sprechunterricht. In einem kleinen Turnsaal unternahmen wir die ersten Gehversuche in Tanz und Ballett. Jeder Einzelne von uns durchlief diese Stationen, Wochenende für Wochenende.

      Ich wollte besser sein – nicht vor den anderen, aber als ich es bisher gewesen war. Und so fragte ich Annette Brückner, ob sie mir zusätzlich privaten Tanzunterricht erteilen würde. Sie antwortete: „Ja, warum nicht!“ Sie mochte mich, glaubte, ein Talent entdeckt zu haben, das es wert sei, gefördert zu werden. Und ich wollte schon damals nicht sinnlos Zeit verplempern. Ich war sehr froh und dankbar, dass Annette sich meiner annahm, denn auch ihre Zeit war knapp.

      Disziplin war nun mein oberstes Gebot, und so erhielt ich auch an so manchem Wochentag nach meinem anstrengenden Dienst noch spät in der Nacht Einzelunterricht. Das am Tag hart Verdiente steckte ich fast zur Gänze in zusätzliche Lerneinheiten, um noch besser zu werden, noch schneller voranzukommen. So konsequent wie ich waren freilich nur wenige der 30 Frischlinge im Showgeschäft, was mich ziemlich ärgerte. Wenn man schon so eine Chance bekam, musste man sie doch nutzen. Jede Sekunde! Da durfte man nicht zu spät kommen oder gar fernbleiben. Auch wenn wir keinen Pfennig für unsere Mühen bekamen, war es doch eine Chance! Der Turnsaal, die Aula, sämtliche benötigten Räumlichkeiten der Schule wurden samstags und sonntags kostenfrei zur Verfügung gestellt, die Choreografin und das ideengebende Team arbeiteten ehrenamtlich. Der Sache wegen und weil sie mit dieser Musical-Revue etwas mehr Kultur und Zeitgeist nach Hamm bringen wollten.

      Während der Probenzeit geisterten immer wieder Szenen aus Fame durch meinen Kopf. Ich war mitten drin in diesem Movie, das meinen beruflichen Weg später bestimmen sollte. Zu diesem Zeitpunkt allerdings


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