Kinderjahre Kaiser Karls. Gabriele Praschl-Bichler
Ferdinand schenkte. Dass er nicht mit seiner Frau, seinem Sohn und der Schwiegertochter in Schloss Persenbeug wohnte, hängt damit zusammen, dass er eine Magen-Darm-Grippe auskurierte, und wohl auch damit, dass er mit seiner steigenden Nervosität niemanden zusätzlich belasten wollte. Aber er war selbstverständlich in die Vorbereitungsarbeiten miteingebunden. Er holte Anfang August den anreisenden Arzt von der Schiffsanlegestation ab und sorgte ein paar Tage für dessen Unterhaltung.
4.8.1887 »9 Uhr wachte ich auf, läutete, ließ mich wieder einreiben, trank das Ofener Bitterwasser (Maßnahmen gegen die Krankheit) u. frühstückte noch im Bett; las auch im Bett, stand erst 11 Uhr auf, las Acten u. Schriften vom Rothen Kreuz (dessen Protektor er war), sah dazwischen den Förster Hauzer. Nach 3 Uhr speiste ich, las dazwischen Zeitungen, schönes Wetter, warm, nach ¾ 5 Uhr ging ich in steyrischen Kleidern, kurzen Hosen, von einem Schneider von Artstetten gefertigt, nach (unleserlich) Fußwege und Feldwege durch Felder, längs derselben u. auf Wiesen, auch durch Wald theilweise, sehr hübscher Spaziergang … die Wiese hinab, die gegen Weidenach führt, am Fuß dieser Anhöhe war der Artstettner Wagen, der mich da erwartete. Von dort fuhr ich durch Weidenach, längs der Donau dann durch Ebersdorf; außer Kleinpöchlarn, wo ich einen Wagen fand, der bestimmt war dem Professor Weihs (dem Arzt, der die Schwangere betreuen sollte), der später erwartet war, nach Artstetten heraufzubringen. Kutscher Schrammel sagte mir, daß Weihs mit einem früheren Zug kommen werde; er kam von Amstetten aus, von Graz durch das Gesäuse gereist, nicht von Wien, wie ich ursprünglich glaubte. Ich setzte mich in meinen Wagen u. fuhr an den Landungsplatz. Dort kurz gewartet; da kam Weihs im Boot herüber; ich fuhr mit ihm nach Hause bei zwielichtem Abend; nach ¾ 8 Uhr waren wir da; nach ½ 9 Uhr soupirte ich mit ihm in der Bibliothek; nach ½ 12 Uhr schlafen gegangen.«
Zwischen Alltäglichem – dem Aufstehen, Bemerkungen zur Kur gegen die Darmgrippe und dem Erledigen täglicher Arbeiten – stechen in dieser Eintragung am Anfang zwei Wörter hervor: die steyrischen Kleider, ein Trachten-Ensemble mit knielanger Lederhose, das Erzherzog Carl Ludwig beim Spaziergang trug. Das Bemerkenswerte daran ist, dass er und seine Brüder im Unterschied zu Kaiser Franz Joseph eigentlich nie Trachtenkleidung trugen. Ich meine, in den Tagebüchern des Erzherzogs insgesamt nur zweimal darüber gelesen zu haben. Kaiser Franz Joseph liebte Lederhose und Trachtenjanker, die er immer anzog, wenn er zur Jagd ging. Aristokraten und Großbürger übernahmen flugs diesen Brauch, wohl weil ihn der Kaiser eingeführt hatte. Erzherzog Carl Ludwig und seine Brüder trugen sie kaum und waren auch keine begeisterten Jäger. Umso mehr stellte es eine Sensation dar, diese Hose im Sommer anzuziehen, vor allem deshalb, weil sie kurz war.
5.8.1887 »Wieder erst 9 Uhr aufgewacht (das war ein Vorwurf gegen sich selbst, da er sonst sehr früh aufstand, die Krankheit ihn aber länger im Bett hielt), geläutet, gerieben worden, wieder Bitterwasser getrunken, wieder im Bett gefrühstückt, da gelesen ein Buch und dann auch Acten, nach ½ 11 Uhr war ich aufgestanden, wieder sehr schönes Wetter, wieder Hauzer gesehen; ging auch vor 12 Uhr zum Professor Weihs, der ebenerdig wohnt, wo in früheren Jahren Mali Taaffe wohnte. Er war schon zeitlich früh auf gewesen, hatte an Correcturen der neuen Auflage seines …ichten Werkes gearbeitet; ich las dann noch Acten, auch andere Schriften. Nach ¼ 8 Uhr kam Gf Franz Falkenhayn (damaliger Präsident des Roten Kreuzes) hierher gefahren. Ich hatte ihn telegraphisch gebethen, hierher zu kommen, weil ich mit ihm in Rothe Kreuz-Angelegenheiten zu sprechen hatte. Er kam von seinem Schloß Walpersdorf bei Herzogenburg. Er war bis zum diner bei mir im Schreibzimmer. Nach ¾ 4 Uhr speiste ich mit ihm, u. mit Weihs im Speisezimmer ebener Erde. Ich hatte inzwischen Falkenhayn noch vor Tisch mehrere Räume des Schlosses gezeigt. Nach Tisch gingen wir zusammen, ich u. Gf Falkenhayn, auch etwas Professor Weihs mit, im Garten herum, um dem Grafen diesen zu zeigen. ¾ 6 Uhr fuhr Falkenhayn wieder fort, um den nächsten Zug zur Rückkehr zu erreichen. Ich ging darauf mit Weihs zu Fuß durch den Ort Artstetten, (zwei Worte unleserlich) dann rechts den Weg durch die Wiesen theilweise durch den Wald, so schön, wie im Park. Es gefiel dem Weihs auch sehr gut. So kamen wir hinab nach Klein-Pöchlarn, wo die Straße nach Artstetten herauf führt, gingen auch zu Fuß diese Straße hinauf, dann oben, wo dieselbe ist, rechts ab den Weg durch die Wiese nach Hause. Nach 9 Uhr mit Weihs soupirt im Speisezimmer ebener Erde, die Zeitungen gelesen, spät zum Schlafen gekommen.«
6.8.1887 »½ 9 Uhr aufgewacht, geläutet. Nach ¼ 10 Uhr aufgestanden, bald darauf gefrühstückt. Ich las darauf Acten unten im Speisezimmer u. schrieb da der Miana (der zweitältesten Tochter, die in Wien geblieben war) einen längeren Brief. Nach 12 Uhr fuhr ich mit Professor Weihs in einem Wagen nach Persenbeug, nachdem ich schon früher Vormittag bei ihm war. Otto kam uns die Stiege in den Schloßhof entgegen, darauf auch MTh (seine Frau Marie Theresia), u. oben auf der Stiege sahen wir Mitzi. Otto führte den Weihs herum, um ihm die Räume des Schlosses zu zeigen. Ich ging zu Mitzi, setzte mich früher in ihr Schlafzimmer, während sie sich auf die chaise longue (französisch: »langer Stuhl«; Fauteuil mit Verlängerung der Sitzfläche nach vorne als Auflage für die Beine) legte u. häkelte. Otto kam auch währenddem kurz herein. Nach 2 Uhr aßen wir alle zusammen mit Weihs, wie gewöhnlich im großen Speisezimmer. Darauf, nach dem diner noch längere Zeit beisammen. MTh ging dann auch mit Weihs auf u. ab auf der Terrasse bei der Einfahrt. Vorher war ich noch mit MTh zusammen, während Otto noch etwas im Schloß dem Weihs zeigte. Endlich ging ich mit Otto nach einem Punkt außer der Schloßterrasse, wo Aussicht gegen die Donau ist, u. wo er begann eine Ziegelmauer aufzuführen (aufzubauen) … dazu die Fundamente gemacht, das soll ein pavillon da werden. Ich blieb da einige Zeit. MTh u. Weihs kamen auch dahin, endlich auch Mitzi. Ich ging dann etwas mit Weihs noch im Schloß herum, zeigte ihm die Capelle vom Oratorium aus u. die Küche. Nach ¼ 9 Uhr fuhr ich mit Weihs nach Hause zurück, nachdem wir uns früher von MTh u. Ottos (ein männlicher Vorname mit angehängtem Mehrzahl-S bedeutete in der Familiensprache ein Ehepaar, aber auch Eltern mit ihren Kindern) verabschiedet hatten. Nach ½ 10 Uhr zu Hause, wieder wunderschöner Abend. Wir soupirten, wie gestern, ich las Zeitungen u. Conversation mit Weihs. Nach ½ 12 Uhr schlafen gegangen.«
In diesem Sinn ging es in den folgenden Tagen weiter. Erzherzog Carl Ludwig und der Arzt pendelten täglich zwischen Schloss Artstetten und Schloss Persenbeug, bis Mitte August die Geburt des Enkels näher rückte und alle nach Schloss Persenbeug übersiedelten. Eine bevorstehende Geburt stellte ein kritisches Ereignis dar, da im 19. Jahrhundert die Mütter- und die Säuglingssterblichkeit noch sehr hoch waren. An den Ahnentafeln kann man ablesen, wie viele Mütter und Säuglinge damals bei oder kurz nach der Geburt starben.
15.8.1887: »(Ich ging von meinem Zimmer in Schloss Persenbeug) zu Otto; saß bei ihm, als er sich den Körper wusch … Mitzi hatte plötzlich Wehen. Ich blieb mit Otto in MThs Salon; er war früher bei Mitzi. MTh, Otto u. ich waren dann bei Mitzi in ihrem Schlafzimmer, Otto spielte etwas Zither währenddem, dann gingen wir in den Garten … Mitzi saß meistens, Otto spielte viel mit den Hunden. Als es zu dunkeln begann, gingen wir wieder ins Schloß hinauf. Vor dem Segen (in der Kirche), der nach 8 Uhr war, sprach noch Braun (ein anderer Arzt, der die Schwangere betreute) mit Mitzi, u. gab ihr Rathschläge wegen der Nacht.«
16.8.1887 »Ich las Acten in meinem Zimmer, ich dann in das Schlafzimmer von Mitzi, wo auch MTh saß u. las. Mitzi hatte einen französischen Roman … aus der Bibliothek der Großmama heute zu lesen begonnen; ich setzte da fort, wo sie zu lesen aufhörte u. las ihr einige Zeit vor. Nach 8 Uhr soupirten wir noch zusammen, bald darauf Mitzi sich gelegt … zeitig zu Bett, ich auch, noch etwas gelesen. Mitzi hatte auch Abends Wehen, sie ist bewunderungswürdig geduldig. Ich wachte ein paar Male in der Nacht auf aufgrund der Erwartung … Nach ¾ 6 Uhr stand ich auf, zog mich an, wusch mich; Otto machte das auch, (ich) schlief dann weiter … Ich sprach mit Hofrath Braun zu wiederholten Malen, war bei MTh unten, sah sie vor dem Zimmer der Mitzi, schrieb dem Kaiser zum Geburtstag (für den 18. August), frühstückte vorher, sah den Verwalter, auch meinen Kutscher … Mitzi hat ruhig geschlafen; die Wehen haben etwas ausgesetzt, sie badete heute früh …«
Am 17.8.1887 setzten die Wehen morgens wieder ein. »Ich sah Otto, der … frühstückte, sprach mit ihm, dann wieder zu Mitzi … In dem Schreibzimmer des Kaisers Franz (seines Großvaters und Vorbesitzers