Sengender Wind. Selva Almada

Sengender Wind - Selva Almada


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wenn er dich lachen hört«, sagte der Reverend jedes Mal, und der Angesprochene brach in sein typisches Kosakengelächter aus, das Einzige, was er sich aus Säuferzeiten bewahrt hatte, denn wie jeder gute Kosak war der liebe Zack ein begnadeter Trinker gewesen. Das alles hatte er mit Christi Hilfe überwunden. Manchmal betrachtete er seine bärenstarken, wie Schaufelblätter großen quadratischen Hände. Hände, die heute die Balken eines Gotteshauses aufrichteten und früher Frauen verdroschen hatten. Wenn die Erinnerung daran hochkam, fing Zack gewöhnlich an zu weinen wie ein Kind, mit schlaff herabhängenden Händen, weil er sich nicht traute, sie vors Gesicht zu schlagen, aus Angst, die alten Hände würden seine Reue Lügen strafen.

      »Ich würde sie mir abschneiden, wenn ich könnte«, hatte der Reverend ihn einmal sagen hören, »aber selbst ein Hund würde sich an ihnen den Magen verderben.«

      »Diese Hände sind würdig, Christus die Füße zu waschen«, hatte er zu ihm gesagt.

      Sie plauderten eine Weile am Telefon, erzählten sich die jüngsten Neuigkeiten. Pastor Zack war wieder Vater geworden, er und Ofelia hatten ihr viertes Kind bekommen, einen Jungen, Jonas mit Namen. Aber was den Pastor in einen regelrechten Freudentaumel versetzte, war die Nachricht vom kürzlich fertiggestellten Gotteshaus. Ein weiterer Markstein Christi, aufgerichtet im tiefsten Bergland, im Gebiet des Río Bermejito, in einer sehr ursprünglichen Region.

      Zack redete ohne Punkt und Komma. Der Reverend auf seinem Sitzbänkchen in der Telefonkabine nickte und lächelte, als wenn sein Gesprächspartner ihn sehen könnte. Einmal wurde der Pastor laut, schlug mit der Hand auf den Tisch und war am anderen Ende zu hören, als stünde er neben ihm.

      »Aber natürlich«, sagte er, »du musst kommen. Das wäre eine große Ehre. Mein, unser Gotteshaus, ist nicht eher fertig, als bis du hier auf der Kanzel stehst. Eine Predigt von Dir brächte selbst die Vögel oben in den Bergen zum Verstummen. Und glaub mir, diese Geschöpfe Gottes halten nicht mal im Schlaf den Schnabel. Keine Ausflüchte! Ah, lieber Reverend, mir platzt vor Freude schier das Herz. Du kommst doch, oder? Ofelia, Ofelia«, rief der Pastor.

      »Klar doch, ich muss nur noch ein paar Sachen erledigen«, stammelte der Reverend.

      »Gelobt sei Jesus Christus, was für eine gute Nachricht. Ofelia, Pearson kommt uns besuchen, ist das nicht wunderbar?« Zack brach in schallendes Gelächter aus. »Ofelia tanzt vor Begeisterung, wenn du sie sehen könntest. Sie bringt den Kindern in der Gemeinde das Singen bei, du wirst sie hören, du ahnst nicht, was für ein feiner Chor das ist. Leni könnte mitsingen. Du bringst sie mit, oder? Ofelia, gottlob kommt Leni auch. Ofelia vergöttert sie. Ist sie da? Ich würde ihr gern Hallo sagen.«

      »Nein, nein, Leni ist gerade nicht da, aber ich richte deine Grüße aus. Auch sie wird begeistert sein, euch zu sehen.«

      Sie plauderten noch eine Weile und er versprach sein Kommen für die nächsten Tage.

      Reverend Pearson ist ein großer Redner. Seine Predigten sind denkwürdige Ereignisse, und er genießt große Anerkennung in seiner Kirche.

      Wenn der Reverend die Szene betritt, immer urplötzlich, als hätte er gerade noch in den Soffitten mit dem Leibhaftigen darum gerungen, auf die Bühne zu gelangen, verstummt alles.

      Der Reverend senkt den Kopf, hebt ein wenig die Arme, erst mit den Handflächen nach vorn, dann nach oben. So verharrt er einen Moment und zeigt den Gläubigen seinen kahlen Scheitel, auf dem Schweißperlen funkeln. Wenn er dann den Kopf hebt, macht er zwei Schritte nach vorn und richtet den Blick auf seine Zuhörer. Er schaut so, dass man selbst als jemand, der in der letzten Reihe sitzt, weiß, der Reverend schaut einen an. (Es ist Christus, der dich anschaut!) Er beginnt zu sprechen. (Es ist Christi Zunge, die sich in seinem Mund bewegt!) Die Arme beginnen ihr Gebärdenspiel, wobei sich anfangs nur langsam die Hände bewegen, als würden sie die mühsalbeladenen Stirnen streicheln. (Es sind Christi Fingerspitzen an meinen Schläfen!) Nach und nach kommt das Gestikulieren der Ober- und Unterarme hinzu. Der Oberkörper bleibt unbeweglich, aber man ahnt schon eine gewisse Regung seines Bauchs. (Es ist das Feuer Christi, das in seinen Eingeweiden lodert!) Er macht, eins, zwei, drei, ein paar geschmeidige Schritte zur Seite, die Zeigefinger nach vorn, auf alle und keinen gerichtet. Er kehrt zur Mitte zurück: vier, fünf, sechs. Sieben, acht, neun, er gleitet zur anderen Seite. Die Finger zeigen auf alle und keinen. (Es ist Christi Zeigefinger, der auf dich zielt!) Er kehrt zur Mitte zurück und läuft dann den Mittelgang hinauf. Jetzt beteiligen sich auch seine Beine an dem Tanz. Sein ganzer Körper ist in Bewegung, bis hinunter zu den Zehen in den Schuhspitzen. Er reißt sich Sakko und Krawatte vom Leib. Das alles, ohne sein Reden für eine Sekunde zu unterbrechen. Denn von dem Moment an, da der Reverend den Kopf hebt und seine Zuhörer ansieht, steht die Zunge Christi in seinem Mund nicht still. Er geht den Gang auf und ab, gelangt bis zur Eingangstür und macht kehrt, hat die Augen geschlossen und die Arme ausgebreitet, die Hände bewegen sich wie Antennen, die nach dem Erbärmlichsten unter den Anwesenden fahnden. Der Reverend muss nicht sehen. Christus wird ihm zu gegebener Zeit anzeigen, wer der Erste ist, den er auf die Bühne holen soll.

      Schwungvoll packt er eine Frau beim Handgelenk, die wie Espenlaub zittert und weint. Obwohl die Frau fühlt, dass ihr die Beine den Dienst versagen, zerrt der Reverend sie hoch und trägt sie mit sich fort wie Blätter der Wind. Am Bühnenrand setzt er sie ab. Die Frau ist sechzig und hat einen aufgeblähten Bauch, prall wie der einer Schwangeren. Der Reverend geht vor ihr in die Knie. Er lehnt die Stirn gegen ihren Wanst. Zum ersten Mal hört er auf zu reden. Der Mund öffnet sich, die Frau spürt seinen offenen Mund, und wie die Zähne des Reverends in den Stoff ihres Kleids beißen. Der Reverend windet sich, die Wirbel seines Rückgrats bewegen sich unter dem Hemd wie eine Schlange. Die Frau kann nicht aufhören zu weinen. Zu den Tränen gesellen sich Rotz und Wasser. Sie breitet die Arme aus, das Fleisch hängt schlaff herab. Die Frau schreit, und alle schreien mit. Der Reverend kommt auf die Füße und dreht sich zur Gemeinde. Er hat ein rotes, verschwitztes Gesicht und einen Stofffetzen zwischen den Zähnen. Er spuckt ein schwarzes, schleimiges Etwas aus, das stinkt wie der Teufel.

      fünf

      »Lasst uns danksagen«, sagte der Reverend.

      Tapioca und der Gringo hielten mit vollbeladenen Gabeln auf halbem Weg zwischen Mund und Teller inne.

      »Wenn Sie erlauben«, sagte der Reverend.

      Der Gringo sah ihn an und versenkte seine Gabel im Reis.

      »Dann mal los.«

      Der Reverend faltete die Hände und legte sie auf die Tischkante. Leni tat es ihm gleich und senkte den Blick. Tapioca sah nacheinander den Gringo und die Gäste an und faltete ebenfalls die Hände. Brauer ließ die seinen neben dem Teller liegen.

      »Herr, segne diese Speisen und diesen Tisch. Danke, lieber Jesus, dass du diese Freunde in unseren Weg geführt hast. Gelobt seiest du in Ewigkeit, Amen.«

      Der Reverend lächelte.

      »Jetzt schon«, sagte er.

      Die vier machten sich über das Essen her: reichlich Reis und ein paar Stücke kaltes Fleisch, die vom Vorabend übrig geblieben waren. Alle hatten Hunger, weshalb man eine Weile nur das Kratzen des Bestecks auf den emaillierten Tellern hörte. Tapioca und Brauer aßen schnell, als lieferten sie sich einen Wettkampf, wer früher fertig war. Der Reverend und Leni nahmen sich mehr Zeit. Er hatte Leni beigebracht, das Essen gut zu kauen, bevor sie es herunterschluckte: Gutes Kauen fördert eine gute Verdauung.

      »Leben Sie schon lange hier?«, fragte Pearson.

      »Ziemlich«, sagte der Gringo, während er runterschluckte und sich mit dem Handrücken den Mund wischte, bevor er einen Schluck Wein mit Eis trank. »Dieses Gelände gehörte meinem Vater. Viele Jahre habe ich mich herumgetrieben, habe in den Baumwollfabriken gearbeitet, bei der Ernte, wie es sich gerade ergab. Bin von einem Ort zum anderen gezogen. Vor rund zehn Jahren habe ich mich fest hier niedergelassen.«

      »Eine einsame Gegend.«

      »Ich mag das Alleinsein. Außerdem habe ich ja jetzt Tapioca, stimmt’s, Junge?«

      »Arbeitest du schon


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