Die Hörbigers. Georg Markus

Die Hörbigers - Georg Markus


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war der erste Direktor des Wiener Raimundtheaters, ihre Mutter – die unter dem Namen Josephine Grund auftrat – ebenfalls Schauspielerin.

      Im März 1922 zeigten »Pippa« und Paul Hörbiger die Geburt ihrer ersten Tochter Christl an. Wie die meisten Mitglieder der Familie wurde auch sie Schauspielerin, sie trat sogar am Burgtheater auf, zog sich aber nach dem Krieg von der Bühne zurück.

      1926 drang die Kunde, dass es in Prag einen überaus talentierten Schauspieler namens Paul Hörbiger gab, bis nach Berlin. Wieder war es eine berühmte Kollegin, die ihn weiter empfahl: Else Lehmann hatte ihn als Liliom gesehen und Max Reinhardt davon informiert. Reinhardt, besessen darauf, außergewöhnliche Begabungen an seine Bühnen zu binden, lud Hörbiger ein, ihn in Berlin zu besuchen. Dort angekommen, wurde der 32-jährige Schauspieler aufgefordert, Reinhardt vorzusprechen, doch dieser weigerte sich, »wie ein Anfänger Texte aufzusagen«. Der große Theatermann vertraute daraufhin Else Lehmanns Urteil und gab Paul, ohne ihn je auf einer Bühne gesehen zu haben, einen Dreijahresvertrag.

      Somit war der erste aus der Familie Mitglied des angesehensten Theaterensembles der Welt geworden. Berlin galt in den »wilden« zwanziger Jahren als Europas Kultur- und Unterhaltungsmetropole. Weltkrieg, Inflation und Rezession schienen überwunden, die Menschen wollten leben und genießen. Dies führte zu einer Periode ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwungs, das Automobil begann das Straßenbild zu beherrschen, man ging ins Kino, hörte Radio und ließ sich durch Schellacks mit Jazz, Shimmy, Foxtrott und Charleston in Stimmung bringen. Die zwanziger Jahre brachten aber auch eine Blüte für Wissenschaft und Kunst, in den Berliner Literatencafés traf man Kurt Tucholsky, Egon Erwin Kisch, Joachim Ringelnatz, Egon Friedell und Anton Kuh. Die Bühnenhäuser wurden umgebaut und durch moderne Stücke belebt, die eine neue Schauspielergeneration erforderten.

      Es war die große Zeit des Max Reinhardt. Er herrschte über ein Theaterimperium und war dessen Eigentümer: In Berlin gehörten ihm das Große Schauspielhaus, das Deutsche Theater, die Kammerspiele, die Komödie, das Theater am Kurfürstendamm und das Berliner Theater. In Wien hatte er das Theater in der Josefstadt, und in Salzburg leitete er die weltweit angesehenen Musik- und Theaterfestspiele.

      In Reinhardts Ensemble befanden sich damals Elisabeth Bergner, Helene und Hermann Thimig, Werner Krauß, Ernst Deutsch, Marlene Dietrich, Gustaf Gründgens, Heinrich George, Curt Goetz. Und unter all den Großen stand jetzt der in Berlin noch unbekannte Paul Hörbiger. Reinhardt konnte nicht ahnen, dass er mit diesem Engagement das erste Mitglied einer neuen Theaterdynastie an sich gebunden hatte. Denn ein paar Jahre später wird er auch Pauls Bruder Attila und dessen künftige Frau Paula Wessely in sein Ensemble bringen.

      In Prag war man bestürzt, den beliebten Schauspieler verloren zu haben, gleichzeitig aber auch stolz, dass Max Reinhardt einen »Prager« nach Berlin holte. Paul Hörbiger wurde einen ganzen Monat lang in seinen Glanzrollen verabschiedet und von der Presse mit seitenlangen »Nachrufen« gewürdigt.

      Am 27. Juli 1926 feierte er mit Charleys Tante seinen endgültigen Abschied von den Pragern, die ihn während seines fünfjährigen Engagements ins Herz geschlossen hatten. »Ich stand in grauen Seidenstrümpfen, gelber Stola, grünem Spitzenkleid und schwarzem Damenhut auf offener Bühne, als mich Direktor Kramer umarmte und mir unter heftigem Applaus des Publikums einen silbernen Lorbeerkranz überreichte, auf dem alle meine Prager Rollen eingraviert waren«, erinnerte sich Paul Hörbiger. In einer Loge saß Attila, der nun auch in Prag sein Nachfolger wurde.

      Und der dachte sich, angesichts des Jubels, der seinem älteren Bruder entgegenschlug: »O weh, das wird einige Mühe machen, dagegen anzuspielen.«

      Attila war – nach einer Saison in Reichenberg sowie kurzen Engagements an Josef Jarnos Wiener Lustspieltheater, am Kurtheater Bad Ischl und am Deutschen Theater Brünn – Paul nach Prag gefolgt. Und er übernahm nun auch dort wieder von diesem nebst dem Untermietzimmer so manche Rolle, darunter die des Leopold im Weißen Rössl. »Am nächsten Tag durfte ich lesen, dass ich ›ein vollwertiger Ersatz‹ für meinen Bruder gewesen sei, der den Leopold jahrelang ›zum Ergötzen selbst der anspruchsvollsten Theaterbesucher‹ gegeben habe. Ein andermal wurde mir gönnerhaft bescheinigt, ich sei ›genauso ein Tausendsassa wie der in Berlin gelandete Bruder Paul‹. Oder noch ärger: ›Solange die Bühne abgedunkelt war, glaubte man Paul zu hören, erkannte sogar einige seiner charakteristischen Gesten wieder.‹ «

      Gekränkt, erklärte Attila Hörbiger, hätten ihn derlei Vergleiche nie. »Trotzdem freute ich mich natürlich, als mir eines Tages meine Vermieterin, Frau Pospischil, das Prager Tagblatt auf den Frühstückstisch legte und triumphierend sagte: ›So, jetzt haben wir es aber geschafft, Herr Attila.‹ Frau Pospischils Zeigefinger wies auf eine mit Rotstift angekreuzte Stelle im Kulturteil. Dort wurde eine meiner Rollen gewürdigt und zum Schluss hieß es: ›Wir können überglücklich sein, nach Paul Hörbigers Abgang diesen schönen, starken, mit herzerfreuender Frische losstürmenden Attila als Thronfolger gewonnen zu haben. König Paul ist tot, es lebe König Attila!‹ «

      Und doch sollte er noch viele Jahre im Schatten stehen. War er anfangs »der Sohn eines berühmten Erfinders«, so galt er jetzt als »der Bruder eines berühmten Schauspielers«. Ja, und dann wird er auch noch »der Mann der Wessely« sein. Erst viel später ist er »kein Sohn und kein Bruder mehr«, wie es Hans Weigel formulierte, »sondern: der Hörbiger«.

      Aber so weit war er noch lange nicht. Paula Wessely ist bislang nicht in sein Leben getreten. Sie ist aber drauf und dran, dies zu tun. Am 1. September 1926 entnimmt Attila Hörbiger einer Wiener Tageszeitung, dass »Paula Wessely, Mitglied des Deutschen Volkstheaters, Wien verlässt, um ein Engagement am Deutschen Theater in Prag anzutreten«.

      Eine Neue also.

      HANS ODER ATTILA?

       Paula Wessely muss sich entscheiden

      Wenige Tage nach der Zeitungsnotiz die erste Begegnung. Attila Hörbiger wird sich daran erinnern: »Paula Wessely kam, sah und siegte. Sie konnte wirklich was. Und sympathisch war sie auch. Und kollegial noch dazu. Nie spielte sie einen Partner an die Wand, wie man bei uns in der Branche sagt, im Gegenteil: Sie riss uns derart mit, dass wir als ihre Partner besser waren als jemals zuvor. Ihr Debüt, die erste Rolle im neuen Engagement, gab sie in einer französischen Salonkomödie. Die neuen Herren hieß das Stück und stammte vom Autorenpaar Flers-Croisset. Die Paula Wessely spielte darin eine Soubrette namens Suzanne. Umworben wurde sie von einem jungen Minister, einem Emporkömmling, der neben der nötigen Rücksichtslosigkeit über eine Portion wienerischen Charme verfügte.« Der Charmeur stand unter dem Namen »Attila Hörbiger« auf dem Theaterzettel, er hatte sich mittlerweile also entschlossen, seinen Namen voll und ganz zu akzeptieren.

      »Die Neue«, erzählte er weiter, »trug ein schickes Kaschmirkleid mit einem grauen Cape. Von einem Freudenausbruch überwältigt, lief sie in unserer Liebesszene auf mich zu, sagte irgendwas Liebevoll-Unbedeutendes und rannte mich fast um. Paula hat also vom ersten Moment an einen wahrhaft umwerfenden Eindruck auf mich gemacht.«

      Er nicht ganz so sehr auf sie. Sicher, er war ein fescher Kerl, aber sie hatte jeden Tag Proben, jeden Abend Vorstellung und in der Nacht wurde Text gelernt. Dann gab’s noch den Sigi Breuer, der hin und wieder aus Wien anreiste, und außerdem war der feine Herr Hörbiger verheiratet! Also, einen weiten Bogen um ihn gemacht, was nicht schwer fiel, weil’s jetzt ohnehin viel wichtiger war, am Theater erfolgreich zu sein.

      Und erfolgreich, das war sie. »Das Stück«, stand nach der Premiere der Neuen Herren in der Zeitung, »wird verschwinden, die neue Schauspielsoubrette unseres Ensembles wird, so hoffen wir, bleiben.«

      Paula Wessely freundete sich in Prag mit ihrer Kollegin Pepi Kramer-Glöckner an, der Frau des Theaterdirektors, die die Aufgabe übernahm, sie vor hartnäckigen


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