Die Hörbigers. Georg Markus
in dem Nazi-Propagandafilm Heimkehr. Gleichzeitig belegen aber Briefe, Dokumente und Zeugenaussagen zum ersten Mal in allen Details, wie sie und ihr Mann ihre Stellung im Dritten Reich dazu verwendeten, verfolgten Menschen zu helfen – in manchen Fällen wohl auch lebensrettend. Paul Hörbiger hatte sich diesbezüglich nie zu verteidigen: Er saß in den letzten drei Monaten des »Tausendjährigen Reichs« im Gefängnis, weil er eine Widerstandsbewegung unterstützt hatte.
Das ist die eine Generation – jene, die im Mittelpunkt dieses Buches steht. Bemerkenswerte Familienmitglieder gab es auch in der Generation davor, in der es einen bedeutenden Forscher und Erfinder sowie eine berühmte Schauspielerin gab, die man auch schon »die Wessely« nannte. Dazu kommen die Kinder und Enkel, die ebenfalls außergewöhnliche Karrieren bei Bühne und Film machten. Um dem Leser den Überblick zu erleichtern, seien hier die Mitglieder der Familie genannt, die Film-, Theater- und Zeitgeschichte schrieben oder schreiben:
• Josephine Wessely (1860–1887), Schauspielerin am k.u.k. Hofburgtheater, Tante der Paula Wessely.
• Hanns Hörbiger (1860–1931), Konstrukteur, Privatgelehrter, Schöpfer der Welteislehre, Vater von Paul und Attila Hörbiger.
• Paul Hörbiger (1894–1981), Volksschauspieler (Hofrat Geiger, Hallo Dienstmann, Der alte Richter), Burgschauspieler.
• Attila Hörbiger (1896–1987), Burgschauspieler (Fast ein Poet, Nathan der Weise, Lumpazivagabundus, Jedermann).
• Paula Wessely (1907–2000), gilt als bedeutendste Schauspielerin des 20. Jahrhunderts (Rose Bernd, Liebelei, Faust, Maskerade, Der Engel mit der Posaune), Burgschauspielerin.
• Elisabeth Orth (*1936), Burgschauspielerin (Die heilige Johanna, Egmont, Don Carlos, Das Goldene Vließ, Hamlet, Mutter Courage, Maria Stuart).
• Christiane Hörbiger (*1938), einer der populärsten Film- und Fernsehstars des deutschen Sprachraums (Das Erbe der Guldenburgs, Schtonk, Donauwalzer, Alles auf Anfang, Tafelspitz, Julia – eine ungewöhnliche Frau).
• Maresa Hörbiger (*1945), Burgschauspielerin (Liebelei, Käthchen von Heilbronn, Faust, Die Katze auf dem heißen Blechdach). Gründerin und Leiterin des Kultursalons Hörbiger.
• Elisabeth Orths Sohn Cornelius Obonya (*1969), Burgschauspieler (Die See, Die Jungfrau von Orleans, Minna von Barnhelm, Das weite Land).
• Christiane Hörbigers Sohn Sascha Bigler (*1968), Filmregisseur und Drehbuchautor (Domina Lisa, Österreich ist ein bissl anders, Tom Turbo, Kurz- und Experimentalfilme).
• Maresa Hörbigers Sohn Manuel Witting (*1977), Schauspieler am Theater in der Josefstadt (Bunbury) sowie in TV-Serien (Kommissar Rex, Tatort, Das Traumhotel, Soko Donau).
• Paul Hörbigers Sohn Thommy Hörbiger (*1931), Schauspieler und Textdichter (Merci Cherie, 17 Jahr blondes Haar).
• Paul Hörbigers Enkel Christian Tramitz (*1955), populärer Film- und Fernsehschauspieler (Der Schuh des Manitu, Bullyparade, Tramitz and friends).
• Paul Hörbigers Enkel Nicolas Geremus (*1959), Erster Geiger der Wiener Symphoniker und Komponist.
• Paul Hörbigers Enkelin Mavie Hörbiger (*1979), zählt zu den großen Jungtalenten in deutschen Film- und Fernsehproduktionen (Solo für Klarinette, Liebesluder, Napoleon, Vera Brühne, Drei Schwestern Made in Germany).
Die Liste der prominenten Hörbigers ist beeindruckend – und dabei noch gar nicht vollständig, zählen doch auch der Regisseur Wolfgang Glück, die Schriftsteller Rolf Bigler und Gerhard Tötschinger sowie die Schauspieler Hanns Obonya und Dieter Witting zum »Clan«.
Die Grundlagen zur Aufarbeitung ihrer Biografien lieferten mir die »Hauptdarsteller« selbst: Paula Wessely und Attila Hörbiger erzählten mir in ihren letzten Jahren in einer Reihe ausführlicher Gespräche aus ihrem Leben. Und bei Paul Hörbiger, dessen Memoiren ich 1979 schrieb, hatte ich ein ganzes Jahr lang Gelegenheit, ihn zu befragen. Diese Nähe zu den drei Großen ihrer Generation hinderte mich jedoch nicht, mich in diesem Buch kritisch mit ihren Lebensstationen auseinanderzusetzen. Sämtliche der heute lebenden Familienmitglieder wussten das von Anfang an und unterstützten mich in meinen Recherchen dennoch tatkräftig. Auch sie empfanden es als richtig und wichtig, dass deren Lebensgeschichten aufgearbeitet werden.
Was man Paula Wessely neben der Rolle, die sie im Dritten Reich und vor allem in dem Film Heimkehr spielte, vorwarf und vorwerfen konnte, war die Tatsache, dass sie in den 55 Jahren, die sie nach dem Zusammenbruch der Naziregimes am Leben war, nie die Gelegenheit wahrnahm, klare und eindeutige Worte der Distanzierung zu finden. Einmal, ein einziges Mal, tat sie es doch – und sie können Paula Wesselys Aussage hier zum ersten Mal in einem Buch lesen (ab Seite 316). Die Schauspielerin hatte 1976 einem überaus glaubwürdigen Zeitzeugen gegenüber in mehrwöchigen Gesprächen eine Art Lebensbeichte abgelegt. Und sie scheute nicht davor zurück, die Schuld für ihr Verhalten auf sich zu nehmen, Reue zu zeigen und keinen Milderungsgrund gelten zu lassen.
Der Mann, dem sie sich anvertraute, war André Heller – der mir nun ihre diesbezüglichen Aussagen zur Verfügung stellte. Aussagen, die das Wesen und die Einstellung der Schauspielerin, dem Nationalsozialismus gegenüber, doch in einem anderen Licht erscheinen lassen, als man bisher annehmen musste. »Ich wäre der Letzte, der einen Grund hätte, eine uneinsichtige Nazikultur-Kollaborateurin zu verteidigen«, sagte André Heller, als er mir Paula Wesselys »Lebensbeichte« vorlegte. »Ich tue es ausschließlich deshalb, weil es wirklich so geschehen ist«.
Michael Heltau hat am Vorabend von Paula Wesselys 85. Geburtstag den »Clan« mit königlichem Geblüt verglichen: »Dass eine Familie, die eine Wessely und viele Hörbigers hat, sehr animierend für Storys ist, liegt auf der Hand. Das ist bei Dynastien so. Bei den Windsors ist es nicht anders.«
Auch die haben nicht nur sonnige Stunden erlebt.
GEORG MARKUS
Wien, im August 2006
NICHT LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK
Die Geburtsstunde einer Dynastie
Es war das bestgehütete Geheimnis von Wien. Zwei Schauspieler wollten heiraten und niemand sollte es erfahren. Also trafen sie zu früher Morgenstunde im Steinernen Saal des Wiener Rathauses zusammen, um sich trauen zu lassen. Man schrieb den 23. November 1935, und das ist somit der Tag, der zwei außergewöhnliche Familien miteinander verbinden und die bedeutendste Theaterdynastie des deutschen Sprachraums begründen sollte.
Jedoch, die ganze Geheimhaltung half nichts. Die Künstler waren bereits viel zu prominent, um ein solches Ereignis verbergen zu können. So konnte man schon tags darauf einem »Originalbericht« des Neuen Wiener Journals entnehmen: »Gestern Vormittag fand im Rathaus die Trauung Paula Wesselys und Attila Hörbigers statt. Die Tatsache ihrer Verlobung war längst in Künstlerkreisen bekannt geworden, doch hatten die beiden den Zeitpunkt der Trauung selbst vor dem engsten Freundeskreis geheim gehalten.«
Und so hatte sich die Eheschließung herumgesprochen: »Als die beiden Künstler aus dem Wagen stiegen, wurden sie von einigen Passanten erkannt, worauf sich vor dem Tor des Rathauses zahlreiche Menschen ansammelten, die die Rückkunft des neu vermählten Paares abwarteten. Der schlichten Feier selbst wohnten nur die Trauzeugen – Schauspieler Hans Jaray und Attila Hörbigers Bruder Alfred – bei.«
Warum, fragt man sich sieben Jahrzehnte und zwei Schauspielergenerationen später, sollte die Trauung dieses jungen und damals schon berühmten Paares geheim bleiben?
Sicher haben Paula Wessely und Attila Hörbiger nie zu jenen Künstlern gezählt, die mit ihren privaten Angelegenheiten die Öffentlichkeit suchten. Aber das war nicht der eigentliche Grund.
Vielmehr sollten dem Publikum die näheren Umstände der Heirat verborgen bleiben. Da war einmal Attila Hörbigers erste Ehe, die man nur drei Tage zuvor mit Müh und Not durch das Bundeskanzleramt der Republik Österreich für null und nichtig hatte erklären lassen.