Sweet Florida Keys. Klaus Barski
als Sergeant in der US-Army. Nachdem er und meine Mutter geschieden waren, kehrte er in seine Heimat zurück. Ab und zu schickte er mir ein Päckchen zum Geburtstag oder zu Weihnachten. Dann, als ich acht Jahre alt war, kam nichts mehr.
«Vater ist tot», sagte meine Mutter.
Das traf mich nicht. Ich hatte ihn ohnehin fast vergessen. Nur mein englischer Name, Peter Reynolds, erinnerte mich manchmal an ihn.
Damals arbeitete meine Mutter lange Stunden als Kontoristin in einem Warenhaus. Wir wohnten in der Birkumstraße, in einer Zwei-Zimmer-Dachwohnung ohne Bad, für neunzig Mark Monatsmiete. Der uralte Spülstein in der Küche diente auch als Waschzuber und Bad. Wenn ich allein zu Hause war und das Wetter war schlecht oder es war sehr spät, dann pißte ich dort auch rein. Denn das unangenehme Plumpsklo war fünfzig Meter entfernt, im Garten.
Unsere Straße war der Eiserne Vorhang zwischen Wohlstand und Armut. Die Leute, die hier wohnten, galten als «arme Leute», hauptsächlich Arbeiter bei Birkums größtem Arbeitgeber, der Rottau-Schiffswerft.
Schräg gegenüber von unserem schäbigen Mietshaus war der Aue-Fluß. An dessen Ufern standen die vornehmen Häuser der erfolgreichen Leute von Birkum.
«Die von der Aue-Allee», nannten wir sie.
Sie waren die «besseren Leute»: mittelständische Unternehmer, Ärzte, Gewerbetreibende und höhere Angestellte.
Am Sonntag zogen meine Mutter und ich oft unsere guten Sachen an. Als Sonntagsspaziergang schlenderten wir die Aue-Allee entlang und schauten uns die Häuser und Villen der Wohlhabenden an.
«Eines Tages kaufe ich hier mein Haus», versprach ich Mutter. «Wenn ich groß hin, werde ich so reich sein, daß ich hier wohnen werde. Und einen schwarzen Mercedes kaufe ich auch!»
Mutter freute das.
«Vergiß nicht, dein Vater war Akademiker. Da sind wir auch was Besseres», sagte sie.
Wenn wir dann nach Hause zurückkamen, verwöhnte sie mich oft mit meinem Lieblingsabendbrot: Spiegelei auf Brot.
Das aß ich immer mit Messer und Gabel. Ich schnitt Stück für Stück genießerisch ab. Immer um den Dotter herum, bis er nur noch ganz allein auf der kleinen Insel stand. Dann schob ich ihn vorsichtig auf die Gabel und verschlang ihn. Den ganzen, heilen, warmen, leuchtend-gelben, wohlschmeckenden Dotter. Mensch, war das ein Genuß!
Mutter lächelte dann zufrieden und sagte:
«Das mit dem Dotter, Junge, ist genauso wie im Leben: Sauber und akkurat vorgehen, Stück für Stück, in zäher Kleinarbeit. Danach kommt dann immer die Belohnung! Ohne Fleiß kein Preis.»
Ein bildhübsches Mädchen. Zierlich, schlank, runder Apfelhintern und prächtige kleine Brüste. Meta war sechzehn, als sie in unsere Klasse kam.
«Das ist Meta Wertheim, eure neue Klassenkameradin. Ihr Vater, Dr. Wertheim, arbeitet als leitender Manager in unserer Rottau-Werft», stellte sie uns unser Lehrer vor. «Neue haben es immer schwer. Da können alle mithelfen, es ihr leichter zu machen.»
«Bei der mach’ ich das gerne», flüsterte mir Willy Krawitz zu und pfiff anerkennend durch die Zähne.
«Wenn du da anfängst zu spielen, kommst du aus dem Spiel nicht mehr raus», meinte Ott leise und grinste schmierig.
Ihr hellblondes Haar, die blauen Augen und das süße Puppengesicht … Sie war das Mädchen meiner wildesten Träume!
Ich war hin- und hergerissen. Natürlich war ich nicht der einzige, der sie begehrte. Das war mir sofort klar. Mitbewerber würde es jede Menge gehen. So verschlang ich sie mit den Blicken und überlegte, mit welcher Taktik ich sie anmachen könnte.
Meta räumte ihre Sachen ein und bekam einen Platz zugewiesen. Sie ging ganz nah an mir vorbei. In ihrem adretten blauen Schulkleid.
Ich lächelte sie an, und sie erwiderte mein Lächeln.
Das hat nichts zu bedeuten, sagte ich mir realistisch. Die ersten Tage wird sie zu allen nett sein, bis sie sich sicherer fühlt. In der großen Pause gesellte sich Meta zu den anderen Mädchen.
Ich traf mich mit den anderen Jungen hinter der alten Turnhalle. Dort, in den Büschen, rauchten wir heimlich Zigaretten und sprachen paffend nur über ein Thema: Mädchen. Natürlich auch über Meta Wertheim.
«Ihr Alter ist der neue Leiter der Rechtsabteilung von Rottau. Er hat ein Haus in der Aue-Allee, drei Häuser hinter uns», sagte Krawitz, der Sohn von Birkums größtem Einrichtungshaus, Möbelhaus Krawitz.
«Du Glückspilz, da hast du den gleichen Nachhauseweg wie sie», sagte Ott, dessen Vater Zahnarzt war. «Leider wohne ich am anderen Ende der Straße.»
«Ich finde, sie ist noch hübscher als Marianne», bemerkte ich und verglich sie in Gedanken mit der bisherigen Schönheitskönigin der Schule.
«Ja, der Meinung bin ich auch», stimmte Krawitz zu. Dann sprachen wir übers Kino.
«Jetzt im Sommer, vor der Abendvorstellung, ist eine Bullenhitze drin. Sie reißen vorher alle Türen weit auf, um frische Luft reinzulassen», erklärte uns Krawitz. «Du kannst hinten reingehen und dich im Klo verstecken. Bei Beginn der Wochenschau wird der Zuschauerraum dann wieder geschlossen und abgedunkelt. Kein Mensch sieht dich, wenn du dich da reinschummelst.»
Kino zum Nulltarif! Das hatte der clevere Krawitz ausgeknobelt. Kino war für mich das Größte. Leider konnte ich mit meinem bescheidenen Taschengeld nur alle vierzehn Tage hin. Auf sowas wäre ich nie gekommen, erstens die Idee und zweitens der Mut. Typisch. Krawitz war der geborene Gewinner von der Aue-Allee.
Ich verabredete mich mit Krawitz für den Abend. Kurz vor acht Uhr standen wir hinter dem Kino. Die Türen gingen auf, und die Besucher kamen herausgeströmt. Als die letzten außer Sicht waren, meinte Krawitz:
«Peter, jetzt müssen wir rein. Komm, das muß schnell gehen.»
Wir rannten zum ersten Ausgang. Die Innenvorhänge flatterten im Durchzug der geöffneten Türen. Krawitz linste in den Zuschauerraum.
«Luft ist rein. Jetzt, ins Klo!»
Geduckt lief ich hinter Krawitz her, zur Bühne und dann in das Herrenklo rein. Gott, hatte ich Angst! Das Herz klopfte mir bis zum Hals. Als wir uns in den engen Raum zwängten, bereute ich bereits, daß ich mitmachte. Gerne hätte ich auf alle Filme der Welt verzichtet, wenn ich eine Chance gehabt hätte, es rückgängig zu machen.
Auf einmal klopfte jemand an die Tür.
«Kommt raus, ihr Lümmel!» schrie eine Männerstimme. «Hab’ ich euch endlich, ihr Betrüger! Ich werde euch der Polizei übergeben.»
Krawitz hatte natürlich eiserne Nerven. Er grinste mich an und sagte: «Pech gehabt. Aber das schmeißt einen alten Seemann noch lange nicht um.»
Er riß die Tür auf, sprang raus, schubste den alten Platzanweiser zur Seite und rannte wie ein geölter Blitz davon.
Mich aber schnappte der Mann und drehte mir den Arm auf den Rücken.
«Einen von euch Tagedieben habe ich. Das wird ein teurer Spaß für dich! Einen Mordsärger wirst du bekommen», sagte der Alte mit finsterer Miene.
«Bitte, bitte … Lassen Sie mich gehen», bettelte ich. «Zu spät, du kleiner Dieb. Dich bring’ ich zum Chef!» Er zerrte mich an den neugierig gaffenden Besuchern, die vor der Absperrung standen, vorbei, quer durch den Zuschauerraum zum Chefbüro.
Der Geschäftsführer des Lichtspieltheaters war ein kugelrunder Mann mit wenig Haaren auf dem Kopf. Er schmunzelte vergnügt, als mich der Platzanweiser triumphierend vorführte.
«Wieder ein blinder Passagier, Chef», sagte er stolz.
«Sehr tüchtig», lobte ihn der Chef. «Na, mein junger Freund. Der Spaß kostet hundert Mark, und wir benachrichtigen die Polizei nicht.» Dabei weidete er sich an meinem entsetzten Gesichtsausdruck.
«Warum so viel Geld?»
«Wir