Absolute Zero Cool. Declan Burke
»Wegen The Big O. Ein italienischer Verlag hat ein Angebot gemacht. Der Vorschuss ist mehr eine symbolische Geste, aber immerhin…«
»Macht nichts, ist doch toll, wir sagen zu. Eine italienische Ausgabe wäre hübsch.«
»Ganz bestimmt.« Er lacht vor sich hin. »Vielleicht reicht das Honorar ja für ein Wochenende in Rom.«
Vielleicht. Wenn ich hinschwimme.
»Ich melde mich dann«, sagt er und ist wieder weg.
»Weißt du«, sagt Billy, »ich glaube nicht, dass ich Schriftsteller sein möchte. Ich sehe ja, dass du was draufhast und Karlsson eine gewisse Tiefe verleihen willst. Aber jetzt…«
»Hast du deine Meinung geändert, seit du mich kennengelernt hast?«
Ich meine das scherzhaft, aber er nickt. »Ich glaube«, sagt er, »dass es nicht zusammenpasst, dass Karlsson einerseits ein Schriftsteller werden und kreativ sein will und andererseits das Krankenhaus in die Luft sprengen möchte.«
»Die Lust der Zerstörung ist gleichzeitig eine schaffende Lust.«
»Hmm«, sagt er. »Ich bin nicht sicher, ob die Leute mich mögen, wenn ich solche nihilistischen Phrasen dresche. Diese Endzeitsprüche kommen beim Publikum nicht mehr so gut an.«
»Wie wär’s dann damit«, sage ich. »Zu Anfang willst du Schriftsteller werden. Leider bekommst du nur Absagen. Also bist du enttäuscht und entschließt dich, das Krankenhaus in die Luft zu sprengen.«
»Zu narzisstisch. Nur ein Schriftsteller kann so egomanisch denken.«
»Aber ein Krankenhaus in die Luft zu sprengen ist doch nicht narzisstisch.«
»Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen, oder? Du hast mich doch in die Situation gebracht, dass ich etwas Drastisches tun muss.«
»Lass mich da raus, Billy. Das mit dem Krankenhaus war deine Idee.«
»Ich war doch nicht immer so, Mann. Wenn du mich vorher gefragt hättest, dann hätte ich dir erzählt, dass ich davon geträumt habe, als Kapitän einer Charteryacht zwischen den griechischen Inseln herumzusegeln.«
»Ein Hilfsarbeiter, der auf einer Yacht durch die Ägäis schippert?«
Er kneift die Augen zusammen. »Soll das etwa heißen, dass die Unterschicht kein Recht auf Träume hat?«
»Die Unterschicht kann träumen, was sie will, Billy, aber wir reden hier nicht über irgendwelche bescheuerten Groschenromane. Wenn dein Traum plausibel gewesen wäre, dann…«
»Ein plausibler Traum?«
»Du kannst es auch realisierbare Phantasie nennen. Jeder darf sich wünschen, was er will, viel Glück dabei, aber wenn es nicht zur Logik der Geschichte passt, dann geht’s halt nicht.«
»Das schränkt aber ganz schön ein, oder?«
»Es gibt nun mal keine Einhörner im Weltraum, Billy.«
Er grinst. »Könnte es aber geben, wenn sie speziell für sie entworfene Helme tragen würden.«
»Na schön. Wenn du gern Einhörner auf dem Mars hast und Aushilfen, die mit Yachten herumschippern, soll es mir Recht sein. Aber niemand wird so was kaufen.«
»Damit gibst du nur zu, dass du nicht gut genug bist, um es überzeugend zu schreiben.« Leichtes Achselzucken. »Vielleicht ist das ja der Grund, warum du immer noch neben deinem normalen Job schreibst und dir spezielle Auszeiten fürs Überarbeiten nehmen musst.«
»Kann schon sein. Vielleicht sollten wir das Ganze einfach vergessen, damit ich mich wieder mit dem beschäftigen kann, was mir beim Schreiben Spaß macht.«
Er steht auf. »Lass uns mal eine Pause machen. Wir kriegen heute ganz eindeutig nichts Konstruktives mehr auf die Reihe.« Er dreht sich eine Zigarette von meinem Tabak und zündet sie an. »Eine Sache noch«, er bläst den Rauch aus. »Man kann nicht einfach so drohen, den Stecker zu ziehen. Entweder man tut es oder nicht. Wenn man nicht vollkommen davon überzeugt ist, dann funktioniert es nicht. Der Anfang ist das Einfachste. Wenn es dir jetzt schon schwerfällt, dann wird es ein Albtraum, wenn wir in die Endphase kommen.«
Er hat recht, aber sich jetzt zu entschuldigen ginge einfach zu weit.
»Übrigens«, sage ich, »bin ich morgen nicht hier. Wir fahren mit Rosie zu Debs Eltern.«
»Kein Problem.«
»Ich bin bestimmt nicht vor Sonntagabend zurück.«
»Dann sehen wir uns also Montagmorgen.«
»Montag, ja.«
Debs steht im Durchgang zum Patio des kleinen Häuschens, hat Rosie über die Schulter gelegt und klopft ihr auf den Rücken, damit sie ihr Bäuerchen macht. Ich lege das Manuskript auf den Tresen, stelle die Kaffeebecher daneben und gehe in die Hocke, um Rosie ins Gesicht zu sehen, aber sie hat glasige Augen und döst, nachdem sie sich satt getrunken hat.
»Weißt du«, sagt Debs, »es ist ganz gut, dass niemand sonst das sehen kann, was ich sehe. Mir würde nämlich gar nicht gefallen, dass andere Leute meinen Mann für einen Geisteskranken halten, der stundenlang mit seinen erfundenen Figuren reden muss, um mit seinem Alltag klarzukommen.«
»Soll ich die Kleine nehmen?«
»Das passt gut.« Sie reicht mir Rosie rüber und riecht dabei an ihr. »Ich glaube, sie braucht eine frische Windel. Bei der Gelegenheit kannst du auch ihren Strampler wechseln. Zieh ihr diesen kleinen Kimono an.«
»Den weißen?«
»Nein, den rosafarbenen, den deine Mutter ihr gekauft hat. In Rosa sieht sie besonders hübsch aus.«
»Komm her zu mir«, singe ich und streichle Rosies Rücken. Sie rülpst, und eine weiße, cremige Flüssigkeit rinnt über meine Schulter. »Bist ein gutes Mädchen.«
Ich hege große Sympathie für Orpheus. Vielleicht fühle ich mich deshalb so zu Kellern, Untergeschossen, Höhlen und Katakomben hingezogen. Bestimmt hängt das mit diesem Freud’schen Schauder zusammen, der mit meiner Faszination für Gewölbe, Grabstätten und Bunker einhergeht. Während meiner regelmäßigen Besichtigungsgänge durch den höhlenartigen Untergrund der Tiefgarage frage ich mich allerdings manchmal, ob solche pseudogynäkologischen Erkundungen nur meine Sehnsucht nach einer Rückkehr in den Mutterleib kaschieren oder eher von einem bösartigen Drang zum Penetrieren und Eindringen zeugen. Steige ich in die Unterwelt hinab, um Eurydike zu befreien oder um sicherzustellen, dass mein absehbarer Blick zurück ihre Hoffnungen für immer zerstört?
Orpheus hatte das Glück, von einem feinsinnigen und hochtalentierten Künstler wie Apollonios von Rhodos erschaffen zu werden. In der ursprünglichen Mythologie ist er ein angesehenes Mitglied der Argonauten, die seine geliebte Frau vor dem Vergessen retten.
Leider hatte er das Pech, dass seine Geschichte später von Virgil, Plato und Ovid bearbeitet wurde, die daraus nicht nur eine Tragödie machten, in der der Held sich mit den Schrecken der Hölle herumschlagen muss, sondern ihn auch noch als Feigling darstellten, der an Eurydikes Auslöschung schuld ist. Weil seine Liebe nicht wahrhaftig war, wurde Orpheus von den unberechenbaren Göttern bestraft.
In meiner Unterwelt durchstreife ich die Schatten und düsteren Ecken der Katakomben des Krankenhauses und frage mich, ob je ein Sterblicher mutig die Urteile der Götter ertrug, die ja die Ewigkeit auf ihrer Seite haben, um ausgiebig das Für und Wider einer endgültigen Selbstaufopferung zu diskutieren.
Später beim Abendessen mit einem guten Glas Rotwein bemühe ich mich, die Feinheiten herauszukitzeln.
»Du möchtest also wissen«, sagt Cassie, »ob es mir lieber wäre, wenn du mich aus der Hölle rettest oder wenn du mir dort Gesellschaft leistest?«
»So ungefähr, ja.«