Alles nur Zufall?. Georg Markus
Augen zum ersten Mal die Züge eines Greises trägt. Mit erstickter Stimme sagt Franz Joseph, dass der Burgpfarrer hier gewesen sei und ihn vorbereitet habe.
Marie Valerie küsst die Hand ihres Vaters und verlässt den Raum. Zwei Kammerdiener erscheinen und wollen den Kaiser zur Nachtruhe betten. »Ich habe noch viel zu tun«, wehrt Franz Joseph ab, lässt es dann aber zu, als er merkt, dass er zur Arbeit nicht fähig ist.
Es ist sieben Uhr abends. Das Bewusstsein des alten Herrn beginnt sich zu trüben, er findet das Kopfende des Bettes nicht; die Kammerdiener helfen ihm. Die beiden Ärzte stellen fest, dass die Entzündung beide Lungenflügel erfasst habe, das Herz aber noch verhältnismäßig kräftig sei.
Eugen Ketterl * 7. 10. 1859 Wien, † 11. 10. 1928 Wien. Beginnt seine Laufbahn als Servierkraft am kaiserlichen Hof, ab 1895 bis zu dessen Tod Leibkammerdiener Kaiser Franz Josephs.
Als der Kopf des Monarchen auf seinem Polster ruht, fragt ihn Kammerdiener Eugen Ketterl wie jeden Abend: »Haben Eure Majestät noch Befehle?«, worauf Franz Joseph, lauter als zuletzt, sagt: »Morgen früh um halb vier wecken wie immer.«
Während der Kaiser einschläft, füllt sich sein Schlafgemach mit Menschen. Das Thronfolgerpaar, die nahen Familienmitglieder, seine engsten Mitarbeiter Montenuovo, Paar, die Flügeladjutanten, hohe Würdenträger, die Kammerdiener – sie alle wissen, dass die letzte Stunde Seiner Apostolischen Majestät geschlagen hat.
Einmal noch erwacht er, ohne zu erfassen, dass sein Zimmer voll mit Menschen ist, und verlangt mit leiser Stimme zu trinken. Franz Joseph ist nicht mehr in der Lage, den ihm gereichten Tee einzunehmen. Da richtet ihn Kammerdiener Ketterl auf, und es glückt, dem Kaiser einige Tropfen einzuflößen. »Na«, flüstert Franz Joseph, »warum geht’s denn jetzt?«
Dies sind seine letzten Worte.
Er fällt in eine Ohnmacht, aus der er nicht mehr erwachen wird. »Es war ergreifend zu sehen«, erinnerte sich Kaiserin Zita, »mit welcher Ruhe und mit welchem Frieden der Kaiser hinüberging.«
Um halb neun Uhr erscheint der Hofkaplan, um dem Sterbenden das Sakrament der Letzten Ölung zu spenden. Nach einem kurzen Hustenanfall wird der Atem leiser, Dr. Kerzl tritt an das einfache Soldatenbett des Kaisers, Marie Valerie fragt: »Atmet er noch?« Als der Leibarzt verneint, nähert sie sich ihrem Vater und drückt ihm als letzte Geste ihrer Liebe die Augen zu.
In Wien hat sich bereits im Lauf dieses Tages herumgesprochen, dass der Kaiser im Sterben liegt. Als sich abends die Nachricht von seinem Ableben verbreitet, ist der Schönbrunner Schlosspark voll mit Menschen. Gleichzeitig füllt sich der Vorraum seines Schlafgemachs mit weiteren, telefonisch herbeigerufenen Personen, die Franz Joseph nahestanden, unter ihnen seine langjährige Seelenfreundin Katharina Schratt. Man hat sie in seinen letzten Lebenstagen nicht zu ihm gelassen, jetzt setzt Karl – der neue Kaiser Karl – ein Zeichen des Respekts. Er reicht der Hofschauspielerin den Arm und führt sie an das Bett seines eben verstorbenen Großonkels. Stumm legt Frau Schratt zwei weiße Rosen auf die Brust des Kaisers.
Viele Bewohner Österreich-Ungarns befürchten, dass mit Franz Josephs Tod an diesem 21. November 1916 auch die altehrwürdige Monarchie im Sterben liegt. Sie wird ihn tatsächlich um nur zwei Jahre überleben.
IN DIE FALSCHE FRAU VERLIEBT
Wolfgang Amadeus Mozart heiratet Constanze statt Aloisia, 4. August 1782
Wolfgang Amadeus Mozart * 27. 1. 1756 Salzburg, † 5. 12. 1791 Wien. Bedeutende Werke: Le nozze di Figaro (1786), Don Giovanni (1787), Così fan tutte (1790), Die Zauberflöte (1791) u. v. a.
Dass sich Mozart stets in Geldnöten befand, weiß man, dass er in seinem letzten Lebensjahr sogar seine Orgel verkaufen musste, kann hier erstmals im Faksimile dokumentiert werden. In der Wiener Zeitung vom 22. Jänner 1791 ist das von ihm geschaltete Inserat zu finden: »Orgel zu verkaufen. In der Rauhensteingasse Nr. 970* im ersten Stock auf der hintern Stiege ist eine gute Orgel von einen (sic!) berühmten Meister zu verkaufen.«
Zunächst meldet sich niemand, erst als die Zeitungsannonce zum vierten Mal erschienen ist, findet die Orgel einen Abnehmer, und das Ehepaar Mozart ist von seinen Geldsorgen befreit. Aber wie so oft wieder nur für ein paar Wochen.
Auch das Kennenlernen seiner Frau Constanze ist schon die Folge finanzieller Engpässe gewesen. Als der 22-jährige Musiker aus seiner Stellung als Konzertmeister vom Salzburger Fürsterzbischof Colloredo nach langwierigen Streitereien entlassen wird, geht er auf Reisen, um Geldgeber und eine neue Anstellung zu finden. Über München und Augsburg gelangt Wolfgang Amadeus nach Mannheim, wo er beim Kurfürsten Karl Theodor vorspricht, jedoch einen negativen Bescheid erhält. Mannheim wird dennoch zur wichtigen Station Mozarts, weil er hier seine künftige Frau Constanze Weber kennenlernt.
Mozart hat während dieser Reise – begleitet von seiner Mutter – mehrere Kompositionsaufträge angenommen, und so begibt er sich in Mannheim auf Suche nach einem Musiker, der seine neuen Werke kopieren soll. Man empfiehlt ihm den Bassisten und Theatersouffleur Fridolin Weber, der mit seiner Familie in beengten Verhältnissen lebt und deshalb glücklich ist, sein Einkommen durch Vervielfältigungen auf Notenpapier aufbessern zu können.
»Orgel zu verkaufen«: Mozart schaltet am 22. Jänner 1791 ein Inserat
Weber und seine Frau Maria Cäcilia haben zwei Söhne und vier Töchter. Als Mozart am 17. Jänner 1778 zum ersten Mal das Haus der Familie Weber betritt, würdigt er seine spätere Frau Constanze kaum eines Blickes, sondern hat nur Augen für deren um ein Jahr ältere Schwester Aloisia. Sie ist bildhübsch und noch dazu eine äußerst begabte Sopranistin. Mozart musiziert mit ihr, gibt der Sechzehnjährigen Unterricht, tritt mit Aloisia während seines fünfmonatigen Mannheim-Aufenthalts in mehreren Konzerten auf. Und verliebt sich in sie. Aber auch sie zeigt, dass sie für ihn zumindest Sympathien empfindet.
Der in Salzburg gebliebene Vater Leopold ist entsetzt, als er durch Briefe seiner Frau von Wolfgangs Zuneigung für eine Sängerin erfährt, deren Familie ebenso arm ist, wie die Mozarts selbst es sind. Allerdings ist Wolfgang schon als Wunderkind aufgefallen, hat Opern, Sinfonien, Streichquartette, Messen, Lieder und Klavierstücke komponiert – und wer dagegen sind diese Weberischen?
Leopold Mozart * 14. 11. 1719 Augsburg, † 28. 5. 1787 Salzburg. Er widmet, sobald er dessen Genie erkennt, sein Leben der Laufbahn seines Sohnes Wolfgang Amadeus Mozart.
»Frauenzimmer«, schreibt Leopold seinem Sohn, »die Versorgung suchen, stellen jungen Leuten von großem Talent erstaunlich nach, um sie ums Geld zu bringen oder gar in die Falle und zum Manne zu bekommen. Gott und Deine Vernunft wird Dich bewahren.« Mit den nun folgenden, letzten Worten seines Briefes greift Leopold zum schärfsten Mittel der Abschreckung für den Fall der befürchteten Eheschließung: »Das würde wohl mein Tod sein!«
Aloisia Weber * um 1760 Zell/Baden-Württemberg, † 8. 6. 1839 Salzburg. Als Sopranistin eine der wichtigsten Interpretinnen Mozarts, den sie 1778 in Mannheim kennenlernt.
Doch selbst diese Drohung kann Wolfgang nicht von seiner Liebe zu Aloisia abhalten, er will mit ihr nach Italien, ins Land des Belcanto, fahren, für sie Opern komponieren und sie »zur Primadonna machen«. Mutter Anna Maria Mozart, die ebenso gegen die Verbindung mit Aloisia ist wie ihr Mann, drängt hingegen auf die geplante Weiterfahrt nach Paris, um dem eigentlichen Zweck der Reise, eine Anstellung für Amadeus zu finden, nachzukommen. Mozart gehorcht den Eltern, fährt gegen seinen eigenen Willen nach Paris – und nimmt seinen Liebeskummer mit. »Wie ich (von der Familie Weber, Anm.) wegging, so weinten sie alle«, schreibt er dem Vater aus Paris. »Ich bitte um Verzeihung, aber mir kommen die Tränen in die Augen, wenn ich daran denke.«
Mutter und Sohn Mozart wohnen in einem armseligen Pariser Quartier, und der verliebte Wolfgang hat nichts anderes im Kopf als seine Aloisia.