Als der Bär am Zelt anklopfte. Florian Prüller

Als der Bär am Zelt anklopfte - Florian Prüller


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und das Zelt einfach im Nirgendwo aufzubauen, weil wir keine Kraft mehr haben. Als wir am Straßenrand unsere letzten Reserven verkochen, setzt nach einer kurzen Trockenphase auch noch starker Regen ein. Es ist kalt, es ist nass und wir fragen uns ernsthaft, was wir uns hier eingebrockt haben. Eigentlich reicht es uns jetzt endgültig, denn wir sind körperlich und nervlich fertig und können kaum noch klar denken. Doch uns bleibt keine Wahl: Das Wissen um die Wasserknappheit treibt uns voran. Und auch die Aussicht auf ein wärmendes Bad kann uns noch ein letztes Mal motivieren. Wir legen den Schalter im Kopf um, stellen auf Automatikmodus und wissen nicht mehr, was unser Körper eigentlich genau macht. So nehme ich auch die Vollkörperdusche eines durch eine riesige Pfütze vorbeifahrenden Geländewagens gelassen hin. Nach elf Stunden Anstrengung kostet mich das nur noch einen kurzen Seufzer (na ja, genug Kraft, um ihm den Mittelfinger zu zeigen, ist dann doch noch vorhanden).

      Mittlerweile tut mir Klara schon leid. Für sie ist dieser Beginn der Reise ja noch viel anstrengender als für mich, schließlich haben wir ja eine etwas unterschiedliche sportliche Vergangenheit. Lief ich zuvor als semiprofessioneller Läufer an die 200 Kilometer wöchentlich, begnügte sich Klaras Training mit dem geradelten Arbeitsweg und sporadischen Laufeinheiten entlang der Donau. Wie sie die konditionelle Herausforderung während der ganzen Reise meistert, ist mir sowieso ein Rätsel. Zu Beginn frage ich mich des Öfteren, ob ich etwas falsch gemacht habe, da sie so locker mithält – wenn auch meist im Windschatten (diesen auszunutzen hat sie perfektioniert). Jetzt leidet sie aber und erste Tränen fließen. Ich merke, wie sie sich anstrengt und sich zusammenreißt – wie gerne würde ich ihr jetzt helfen und kann doch nichts für sie tun.

      Endlich mache ich im seichten Licht die Silhouetten der dampfenden Quellen aus und versuche, sie damit zu trösten. Und tatsächlich: Mit etwas Verspätung (es ist jetzt ein Uhr nachts) erreichen wir den Campingplatz von Hveravellir. Die längsten und härtesten 70 Kilometer, die wir jemals gefahren sind, liegen hinter uns! Nach einem ausgiebigen Bad in den heißen Quellen fallen wir in einen komaähnlichen Tiefschlaf und hoffen unsere Lektion gelernt zu haben.

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       Der mächtige Gullfoss, eine der Hauptsehenswürdigkeiten Islands

      Am nächsten Morgen müssen wir hurtig weiter, uns würde sonst das Essen ausgehen, denn weit und breit ist keine Siedlung zu sehen. Zudem treibt uns die Sturmwarnung eines Jeeptouristen voran. Die Straße ist nun etwas leichter befahrbar und der Rückenwind enorm. Der wirkliche Sturm beginnt zum Glück erst, als wir uns mit Nudeln im Zelt verbarrikadiert haben. In der Nacht fragen wir uns mehrmals, ob wir samt Zelt schon abgehoben haben. Die Straße wird tags darauf zunehmend besser, und als wir dann Asphalt unter unseren Rädern haben, ist die Welt wieder in Ordnung. Bei der anschließenden heißen Tasse Kaffee in einer Tankstelle ist sie sogar wieder perfekt und wir denken uns: „Ach, so schlimm war das Ganze doch eigentlich gar nicht. Irgendwie hat es sich sogar gelohnt, etwas chaotisch zu sein, denn hätten wir gewusst, was da auf uns zukommt, hätten wir dieses Abenteuer sicher nicht gewagt.“

      DU BIST EIN ISLÄNDER!

      Klara: Nach drei Tagen treffen wir wieder auf Zivilisation. In Island ist nämlich eines klar: Hier ist die Einsamkeit zu Hause, verdammt viel Einsamkeit! Außerhalb der Ringstraße gibt es nur einige wenige, meist geschotterte Straßen, die im Winter häufig nicht passierbar sind. Für Menschen, die dort ihre Höfe betreiben, bedeutet dies oft monatelange Abgeschiedenheit von der Außenwelt.

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       In Island hat die Natur das Sagen: im Süden der Kjölur-Hochlandpiste

      Nach ein paar Tagen wissen wir: Das gemeinschaftliche Leben am Land spielt sich in den Tankstellen ab! Nicht nur wir flüchten bei starkem Regen in Blönduós in eine Tankstelle, dem ersten und einzigen öffentlichen Treffpunkt weit und breit, sondern hier scheint das tatsächlich eine ganz normale Sonntagnachmittagsbeschäftigung zu sein: sich an der Tankstelle treffen, um dort Hotdogs zu essen. Der Aufenthaltsraum ist größer als bei einem McDonald’s, es geht geschäftig zu. Viele kommen mit bis zu den Knöcheln nassen Jogginghosen, triefenden Haaren, drei Kindern im Schlepptau und verbringen dort den halben Nachmittag. Da fallen Flo und ich gar nicht so auf, wie wir etwas unschlüssig einen Kaffee nach dem anderen schlürfen und nicht sicher sind, wie wir die kommenden, mit noch schlechterem Wetter prognostizierten Tage verbringen sollen. Letztendlich entscheiden wir uns, beim Campingplatz gegenüber, schön neben einem Fluss gelegen, unser Lager aufzubauen. Das erweist sich als wunderbare Entscheidung: Es gibt eine Waschmaschine, einen Wäschetrockner und einen herrlich warmen Duschbereich. Wir decken uns schnell mit Lebensmitteln ein, um die nächsten zwei Tage nur noch in Notfällen das Zelt verlassen zu müssen. Während wir dies alles erledigen, ermitteln wir nebenbei zwei ausschlaggebende Merkmale echter Isländer:

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       Langjökull: Gletscher zum Greifen nahe

       Merkmal Nummer 1: Einem Isländer wird so schnell nicht kalt

      Am Campingplatz kommen per Autostopp zwei Mädchen im Teenageralter an. Übermütig stellen sie ein klappriges Siebzigerjahre-Zelt (Stil Hundehütte) auf und spazieren dann – während wir in Fleecepullovern und mit Primaloft-Jacken frösteln – in Bikini und Handtuch zum Fluss, um dort ein bisschen zu baden. „Ihr seid von hier, oder?!“, fragen wir sie und bekommen ein erstauntes Ja als Antwort. „Wie habt ihr das bloß so schnell gesehen?“

       Merkmal Nummer 2: Das bisschen Regen stört hier niemanden

      Es regnet in Strömen und kann nicht mehr als ein paar Grad über null haben. Flo und ich stehen in voller Regenmontur unter dem Dach eines Supermarktes. In dem Moment rollt gemächlich ein radfahrender Vater mit Baby im Kindersitz an. Das Kind trägt ein Shirt und außer dem Helm keine Kopfbedeckung. Ungeachtet der riesigen Wassermassen, die die Wolken auslassen, herzt der Vater das Kind, fast so als wäre diese Regentaufe eine Art Aufnahmeritual in die Gemeinschaft der Inselbewohner. Dem Baby scheint’s zu gefallen. „Duuu bist ein echter Isländer!“, denken wir uns und müssen lachen. Wir aber sind eindeutig keine Isländer. Deshalb verziehen wir uns mit jeder Menge Fressalien in unser kuscheliges Zelt, um die nächsten 48 Stunden mit einem Hörspielkrimi und jeder Menge Schokomilch zu verbringen.

      Irgendwann sind sogar wir ausgeschlafen und die Enge im Zelt wird uns dann doch zu bunt – mit eisernem Willen strampeln wir noch ein paar Tage im Gegenwind Richtung Reykjavik. In windgeschützten Straßengräben kochen wir unser Essen und Flo stellt dabei sinnig fest: „Sehr praktisch: Bei der Kälte kann man sich nie den Mund verbrennen, denn das Essen wird schon auf dem Weg dorthin kalt.“

      Eine Tagesetappe von der Hauptstadt entfernt lesen wir durchnässt die Erklärung auf einem Fahrverbotsschild für Radfahrer, dass uns davon abhält, die Landstraße weiterzufahren: „Hvalfjord-Untertunnelung: Durchfahrt nur für Autos“. Wir haben genug. So durchnässt, wie wir sind, wollen wir keine 100 Kilometer Umweg fahren. Daher machen wir etwas, das wir sonst auf Radurlauben nie tun, ja, eine Ehrenkodex-Übertretung sozusagen: Wir strecken den Daumen raus, und ehe wir uns ganz sicher sind, ob wir wirklich schummeln möchten, sind wir schon in, beziehungsweise die Räder auf einem Pick-up. Die Wärme im Auto und das lustige Gespräch mit dem pensionierten isländischen Paar machen uns ganz selig und nachdem wir uns vor unserer USA-Reise noch ordentlich ausruhen wollen, können wir wohl unmöglich das Angebot abschlagen, direkt bis Reykjavik gefahren zu werden. Dort genießen wir die hübsche Stadt und unerwartete zwei Tage Schönwetter. Die Zeit auf Island ist vorbei, die Reise ist in vollem Gang, auf zu neuen Ländern!

       USA

      MIT SCHWEREM BALLAST DURCH DIE VEREINIGTEN STAATEN

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