Eight Ball Boogie. Declan Burke
Schimmer. Wenn sie die Augen aufschlug, würden sie groß und braun sein. Sie meinte, sie hätte ein paar Kilo zu viel auf den Hüften, aber ich mochte ihre Kurven und hatte lieber ein bisschen mehr als ein bisschen weniger von ihr.
Sie roch das Dope, und ihre Lider flatterten. Sie schaute mich träge an, rieb sich ein Auge und gähnte. Dann murmelte sie emotionslos: »Raus.«
»Ene, mene, muh und raus bist du.«
Ich zog an meinem Joint und kicherte.
»Raus, Harry. Geh nach Hause.«
»Weißt du überhaupt, wie spät es ist?«
»Nein, aber ich würde sagen, es ist so kurz nach Hauendlich-ab.« Sie lächelte müde, in ihrem Blick lagen Bedauern und etwas, das ich noch nie vorher gesehen hatte. »Komm schon, Harry. Du weißt, dass du gehen musst.«
»Na schön, wenn’s sein muss.«
Ich drückte die Kippe aus und griff fröstelnd nach meinem T-Shirt. Schneeregen klatschte gegen das Fenster.
»Willst du mir unter der Dusche Gesellschaft leisten?«
»Keine Dusche, Harry. Es gibt kein warmes Wasser.«
»Verfluchte Scheiße, Dee.«
Offiziell waren wir auseinander. Offiziell schlief ich im Hinterzimmer meines Büros im Old Quarter. Bei unseren ständigen Streitereien war viel von Bens Spielzeug zu Bruch gegangen, und mein Geld war dafür draufgegangen, es zu ersetzen. Miete zu zahlen war nicht drin.
Nebenbei bemerkt, Denise probierte gerade aus, ob sie wohl auch mit einem Kind an den Hacken noch einen abkriegen würde. Ich tat so, als würde ich es nicht bemerken, die Wahrheit ist wie eine kaum verheilte Wunde, an der man besser nicht zu viel rumfummelt. Gestern Abend waren wir zur selben Zeit am selben Ort gewesen und hatten die gleiche Menge Alkohol konsumiert. Das war alles, und das reichte einfach nicht.
Sie setzte sich auf, warf sich einen dünnen weißen Baumwollbademantel über und sagte müde: »Zieh dich einfach an und geh, Harry. Bitte.«
Sie zeigte mir, wie man das macht, indem sie das Zimmer verließ.
Ich zog mich an und ging nach unten. Sie stand im Flur und schaute das Telefon an, als wäre es eine tickende Zeitbombe. Ben lag im Wohnzimmer auf dem Boden und schaute sich einen Zeichentrickfilm an, den Ton irre laut gestellt. Er trug Dinosaurier-Hausschuhe und hatte eine »Action Man«-Fliegerbrille um den Hals. Ich schwafelte irgendwas, wir könnten ja einen Schneemann bauen, wenn der Schnee liegen bleibt, und ihm Mums Mantel überziehen, aber Ben hörte gar nicht zu, und dann rief sie mich in die Küche.
Sie stellte den Wasserkocher an und drehte mir den Rücken zu.
»Gonzo hat eine Nachricht hinterlassen. Er kommt Weihnachten nach Hause.«
Das sagte sie ganz ruhig, als würde Gonzo jede Woche mal anrufen, und klang überhaupt nicht aufgeregt oder angewidert dabei, obwohl wir seit vier Jahren nichts mehr von ihm gehört hatten.
»Hat er gesagt, welche Weihnachten?«
Sie drehte sich um und zog den Bademantel enger. Ihr Gesicht war blass, ihre Augen so groß und dunkel wie die eines Pandabären.
»Er ist dein Bruder, Harry.«
»Dafür kann ich doch nichts, Dee. Das kann mir echt keiner anhängen.«
Sie schüttelte den Kopf, als wäre sie enttäuscht, weil ihr nichts dazu einfiel.
»Du gehst jetzt besser.«
Sie schob mich durch den Flur und blieb fröstelnd in der Tür stehen, mit verschränkten Armen und ohne mich anzusehen. Ich blieb zwei Stufen weiter unten stehen, um den Moment hinauszuzögern, in dem ich zugeben musste, dass ich das Auto in der Stadt stehen gelassen hatte.
»Ben sollte sich langsam mal anziehen. Sonst kommt er noch zu spät zur Schule.«
»Jetzt sind Ferien, Harry. Kinder kriegen Weihnachtsferien. Das ist anders als bei den Erwachsenen, die kriegen einen Scheiß. Wir haben übrigens bald Weihnachten.«
»Ich weiß, dass wir bald Weihnachten haben, verdammt.« Ich trat mit dem Fuß gegen die Treppenstufe. Ich hatte einen üblen Kater, das Dope half da auch nicht weiter. Der Wind wehte mir den nassen Schnee ins Gesicht. Sie schob sich eine Strähne hinters Ohr und sagte: »Harry …«
»Was?«
»Denk bloß nicht, dass das, was passiert ist …«
»Bild dir bloß nichts ein!«
»Ganz bestimmt nicht«, gab sie bissig zurück. »Nicht nach dem, was du mir letzte Nacht gesagt hast.«
Ich suchte nach einer rettenden Entgegnung, aber sie schloss bereits die Tür, schlug sie immerhin nicht zu. Ich wandte mich dem Schneeregen zu und entschied, mich im Büro zu rasieren. Als ich das Päckchen mit dem Tabak rausholte, stellte ich fest, dass mir die Blättchen ausgegangen waren. Was für eine Woche, dabei war es gerade mal Montag Morgen um halb zehn.
Die Einwohnerzahl wurde auf ungefähr neunzigtausend geschätzt, und selbst wenn man die Sinn-Féin-Aktivisten, die doppelt zur Wahl gingen, abzog, war es immer noch eine ganz ansehnliche Stadt. Und genau darum ging es ihnen ja: Sie suchten sich eine kleine verträumte Stadt aus, in der es keine großen Probleme gab, und rissen ihr die Gedärme aus dem Leib. Siedelten die Bewohner um, pferchten sie in Vorstadtsiedlungen aus Fertigbausteinen, die sich auf beiden Seiten des Flusses ausdehnten, südlich vom See und ein Stück weit in die Berge. Sie hätten sogar die Bucht zugeschüttet, wenn sie die Leute für blöd genug gehalten hätten, sich am feuchten Sand zwischen den Zehen zu erfreuen. Sie zogen eine neue Innenstadt hoch, einen Hochhaus-Dschungel für Kreditunternehmen, internationale Callcenter, mehrstöckige Shopping Malls und Software-Entwicklungsunternehmen, die sich als Universitäten tarnten. Das meiste davon war von amerikanischen Unternehmen finanziert worden, die das Geld mit Hilfe einheimischer Subventionen, Niedrigzinskrediten und zurückgeführten Auslandsgewinnen aufgebracht hatten. Die Innenstadt bestand jetzt aus breiten Straßen, von Bäumen gesäumt, und sah aus wie der manifestierte feuchte Traum eines Norman Rockwell, einfach über der Atlantikküste abgeworfen. Es hatte ungefähr fünf Jahre gedauert, bis alles fertig war, und keiner hatte gelacht, nicht ein einziges Mal.
Mein Büro befand sich auf der Nordseite des Flusses im Old Quarter, wo die Innenstadt in die Hafengegend überging, die sich Richtung Westen erstreckte. Das Viertel bestand aus fünf oder sechs belebten Straßenzügen, durchzogen von Eisenbahntrassen, Straßen voller Schlaglöcher und kleinen Gassen, die allesamt zum Hafen führten. Die Gegend war zu laut für eine Wohngegend, und die Laufkundschaft war zu sporadisch, um ein Einkaufszentrum am Leben zu erhalten, also durfte das Old Quarter seine bröckelnden Fassaden, seinen rissigen Asphalt und seine marode Kanalisation behalten.
Das Old Quarter zog eine recht gemischte Bevölkerung an. Crusties lachten über Kids auf Skateboards, die kichernd an ihnen vorbeiflitzten. Trinker, Penner und Straßenmusiker bettelten Passanten um ihr knappes Kleingeld an. Studenten mischten sich unter Tunten, Taugenichtse und Kleinganoven und fanden das total aufregend.
Ich schlief schon seit ein paar Monaten auf dem Sofa im Hinterzimmer meines Büros, hatte mich daran gewöhnt und sah den Verlierern draußen auf der Straße schon ziemlich ähnlich. Die meisten davon mochte ich und fand ihren Mangel an Ehrgeiz und Zurückhaltung in Ordnung. Die Leute hier im Viertel waren auf ein Pfandhaus in ihrer Nähe angewiesen, sie brauchten einen Laden mit Army-Klamotten und ein Tattoostudio. Die Kneipen hatten getönte Scheiben, die Sexshops nicht, und die Imbisscafés sollten vielleicht mal darüber nachdenken. Es gab Antiquitätenläden und sogar ein Geschäft für biologische Lebensmittel aus Thailand und eindeutig zu viele antiquarische Buchhandlungen. In der zweiten Reihe, näher am Flussufer, gab es ein paar Autowerkstätten, die die Dinge schwarz und geschmiert am Laufen zu halten wussten. In den Bars wurden Jazz, Folk und Drum’n’Bass gespielt, und im Sommer hing der schwere Duft von Patschuli und geschmolzenem Teer in der Luft. Nachts genügte es,