Schwarzes Glas - Die Reise in die Zwischenwelt. Hendrik Lambertus

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abzulöschen. Aber das war es nicht, was Shaka meinte. Niniane hatte sich verändert. Auf dem Display trug sie einen Umhang aus funkelnden Schleiern, die in allen Regenbogenfarben schimmerten. Mit jeder Bewegung wechselten sie ihr Farbe: von Korallenrot zu Aquamarinblau, von Smaragdgrün zu Bernstein-Orange, von Perlmutt-Weiß zu Amethyst-Lila.

      »Wow«, murmelte Elias. Er blickte vom Display auf. So sah Niniane ganz normal aus, blass und etwas verhuscht. Er schaute wieder auf das Handy. Bunt schillernde Schleier umgaben sie. Nun bemerkte Elias, dass das gar keine Kleidung war. Sie hatte auch auf dem Display Jeans und Pulli an, ihre gewöhnlichen Klamotten. Die bunten Schleier wuchsen aus ihren Ärmeln, ihren Hosenbeinen und ihrem Ausschnitt hervor, um sich dann rund um sie zu ergießen. Sie bewegten sich zum Rhythmus ihrer Schritte. Wie ein Schleierfisch im Aquarium, dachte Elias.

      Plötzlich blieb Niniane abrupt stehen und wandte sich um. Sie warf Elias einen ernsten, fragenden Blick zu. Dann ging sie schnell weiter. Shaka klickte ihr aufgeregt einige Fotos hinterher.

      »So ein Bockmist!«, raunte sie. »Das Ding funktioniert nicht. Keine Hörner, keine Schleier.«

      Frustriert zeigte sie Elias mehrere banale Bilder von Ninianes Rücken.

      »Achtung!«, zischte Elias plötzlich, als er eine Gestalt mit dicker Hornbrille im Getümmel ausmachte. »Die Meyer-Greinbaum!«

      Shaka ließ ihr Handy rasch verschwinden, ehe es von der Pausenaufsicht konfisziert werden konnte. Unschuldig schlenderten die beiden in Richtung F-Trakt. Als ob Elias jetzt den Kopf frei für Säuren und Basen gehabt hätte! In seinen Gedanken purzelten Häuser und Hörner durcheinander. Und eine App, die sich »In-Between« nannte.

      »Ich werde mal schauen, was sich im Web darüber finden lässt«, murmelte Shaka. »So ein abstruses Teil ist bestimmt irgendwo beschrieben. Vielleicht gibt es sogar einen Patch, damit es richtig funktioniert.«

      Elias nickte halb überzeugt. »Mach das. Aber am liebsten wäre mir, wenn du dir auch mal das Haus mit den tanzenden Lichtern ansiehst. Hast du heute Abend schon was vor?«

      »Du meinst, etwas anderes, als über irgendwelche Dächer zu kriechen?«, erwiderte Shaka. »Da fällt mir bestimmt etwas ein. Mein Zimmer aufräumen, Staubflusen ordnen, die Wand anstarren …«

      »Als ob du jemals etwas aufräumst, was nicht deine Festplatte ist«, meinte Elias ungeduldig. »Du musst dir diese Lichter anschauen, Shaka! Wenn du sie nicht selber siehst, glaubst du mir doch eh kein Wort.«

      »Falsche Reihenfolge«, versetzte sie. »Ich müsste dir jetzt schon glauben, wenn ich die Mühe auf mich nehmen soll, auf irgendein Dach zu kraxeln. Aber warum sollte ich?«

      »Warum sollte ich glauben, dass deine App mir Hörner macht?«

      »Das ist nicht meine App«, entgegnete sie. Und seufzte in sich hinein. »Aber es stimmt schon. Das ist beides irgendwie gleich merkwürdig. Vielleicht hängt es ja wirklich zusammen.«

      »Also?«, fragte Elias erwartungsvoll.

      »Also komme ich mit dir auf dieses Dach und du zeigst mir deine Lichter«, seufzte Shaka wenig begeistert.

      »Brave Shaka.« Elias grinste erleichtert.

      »Ich kann immer noch Nein sagen«, drohte sie.

      »Nee, kannste nicht. Die Sache hat dich neugierig gemacht.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Da hast du wohl recht. Aber gewöhn dich besser nicht dran.«

      Elias nickte zufrieden. Zu zweit würden sie bestimmt etwas herausfinden. Es gab irgendeine naheliegende Erklärung. Er konnte nur keine finden.

       3

       Im Labyrinth

      Irgendwie war es eigentümlich, zusammen mit Shaka auf dem Dach zu sein. Eigentlich hatte Elias diesen Ort nur für sich selbst entdeckt. Um seine Ruhe zu haben und den Kopf klarzukriegen. Aber nun waren sie zu zweit hier oben und dadurch fühlte sich alles anders an. Als würde das Dach ihm nicht mehr wirklich gehören. Egal. Heute war er ja auch nicht zum Nachdenken hier heraufgekommen.

      »Das nennst du einfach«, hatte Shaka sich beschwert, als sie sich die Feuerleiter hinaufgezogen hatte. Er hatte es verwundert zur Kenntnis genommen.

      Nun rutschte seine Freundin nervös auf dem Kies hin und her, der das Flachdach bedeckte. Erst jetzt fiel Elias auf, wie hoch es hier war. Und Höhe war offenbar nicht Shakas Ding.

      »Du hast wirklich nichts gefunden?«, fragte er, während er darauf wartete, dass es endlich dunkel wurde.

      »Nicht das Geringste«, brummte Shaka missmutig. »Niemand scheint diese App zu kennen! Man kann sie nirgendwo herunterladen, sie wird in keinem Forum besprochen, es gibt keine Fotos im Netz, die damit erstellt wurden.«

      »Vielleicht hast du nicht gründlich genug gesucht?«

      Sie warf ihm einen giftigen Seitenblick zu und verzichtete auf eine Antwort.

      »Na ja, jedenfalls wird das Haus bald auftauchen. Du musst dann da rüber schauen, links von diesem Schornstein, und …«

      Elias’ Handy gab einen leisen Glockenton von sich. Das war ihm lieber als Shakas extravagante Tiergeräusche, nach denen sich immer die halbe U-Bahn umdrehte. Er zog das Gerät aus der Tasche und checkte kurz, was los war.

      »Ein Download«, murmelte er mit einem flauen Gefühl im Bauch. »Aber ich habe doch gar nichts …«

      Tatsächlich. Eine neue App war auf dem Display erschienen. Ein neonblauer Bogen. In-Between.

      »Jetzt habe ich sie auch«, sagte er matt. »Die App, meine ich.«

      »Das wird echt langsam komisch«, erwiderte Shaka. »Wenn das irgendein Massen-Spam wäre, den alle kriegen, müsste man doch etwas davon mitbekommen!«

      »Ja, allerdings.« Elias tippte das neonblaue Icon an, und das Kamera-Display öffnete sich. Alles genau wie bei Shakas Handy. Er richtete das Gerät auf sie. Shaka winkte gelangweilt in die Kamera. Sie sah aus wie immer – keine Hörner oder sonstigen Veränderungen.

      »Hmm … Mal sehen.«

      Elias schwenkte das Handy entschlossen herum und fixierte den Horizont jenseits der Dächer, die Stelle, wo abends immer die Lichter erschienen waren. Ein Hochhaus war im Display zu sehen. Es stand weit hinten, auf der anderen Seite des Bahndammes, und sah heruntergekommen aus. Seine Außenwände bestanden aus grauem Beton. Die oberen drei Stockwerke hatte man mit dunkelbraunen Platten verkleidet, die fast noch hässlicher waren als die nackte Wand. Ganz oben, auf seinem flachen Dach, erhob sich ein Sendemast. Es gab offenbar ein zentrales Treppenhaus in der Mitte, von dem aus in beide Richtungen Balkone abgingen, die zu den einzelnen Wohnungen führten. Genau wie Elias aufgrund der Lichter vermutet hatte. Über dem obersten Treppenhaus-Fenster war ein blauer Torbogen aus Neonröhren an der Fassade angebracht. Sie leuchteten noch nicht, waren aber klar zu erkennen. Nun war sich Elias endgültig sicher: Das Zeichen sah exakt so aus wie das Icon der In-Between-App.

      Am Haus tat sich etwas. Ein schimmernder Umriss flatterte von einem der Balkone auf, umkreiste einmal den Sendemast, wobei er rötliche Lichtschleier hinter sich herzog, und verschwand durch ein Fenster nach drinnen. Elias zoomte das Ding näher heran – und blinzelte perplex. Hatte er gerade wirklich eine kleine, menschenähnliche Gestalt mit schwirrenden Flügeln gesehen?

      »Da. Schau selbst«, sagte er betreten und reichte das Handy an Shaka.

      »Ich glaub’s ja nicht«, flüsterte diese. Ihr Blick wanderte immer wieder hin und her: vom Handy, auf dem eindeutig ein Haus zu sehen war, zum Horizont, wo es ebenso eindeutig kein Haus gab, und wieder zurück. Normalerweise hätte Elias jetzt triumphierend gegrinst und irgendeinen coolen Spruch abgelassen. Aber er war viel zu aufgeregt dafür.

      »Das ist das Haus«, sagte er. »Ganz sicher. Die Fenster liegen genauso wie die Lichter. Das wirst du ja gleich sehen, wenn es dunkel wird.«


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