Der Reporter. Jacques Berndorf

Der Reporter - Jacques Berndorf


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warb. Zuletzt gab er es auf, denn er wollte sie zu einfach. Und sie wollte es über irgendwelche Diskussionen um irgendwelche Probleme. Ihre Wege waren zu verschieden. Aber dass sie es wollte, sah man.

      Es war nach Mitternacht, als wir das »Lion d’or« verließen, und der Nebel war sehr dicht, dichter noch als bei unserer Ankunft. Bernhold sprach von einer Bar in einem der großen Hotels, aber ich musste mich von ihnen trennen und sagte: »Geht, wenn ihr wollt. Ich brauche Schlaf.« Zu Kohler sagte ich: »Ich wecke dich um sieben. Sauft nicht zu viel.«

      Das war eine unserer Absprachen: Wenn ich sagte: »Sauft nicht zu viel«, musste er versuchen, den jeweiligen Begleiter fortzulocken. Also sagte er fröhlich: »Poggemann, du Heilsarmist! Du kannst uns mal.« Er schob Bernhold vor sich her. »Lass uns einen trinken gehen!« Aber Bernhold drehte sich herum und sagte: »Ellen, kommen Sie.«

      Das Mädchen sagte: »Nein danke.« Sie sagte es sanft und endgültig, sodass Bernhold den Kopf schüttelte und mit Kohler davonging.

      »Sie sind nicht müde«, sagte das Mädchen eifrig, »nicht wahr, Sie sind nicht müde?« Ihre Stimme war dunkel. Sie war das Kontra zu ihrem langen, hellen Haar, zu ihrer Jungmädchenhaut.

      »Doch«, sagte ich, »sogar sehr. Kommen Sie.« Sie reichte mir bis zur Schulter, und jedes Mal, wenn sie ausrutschte, hielt sie sich an mir fest, sodass wir den ganzen Weg über wie alberne Kinder lachten.

      »Wie alt sind Sie?«

      »Zweiunddreißig. Und Sie?«

      »Dreiundzwanzig. Haben Sie Kinder?«

      »Und wie. Eins, ein Mädchen.«

      »Bringen Sie Ihrer Frau wirklich von jeder Reportage ein Geschenk mit?«

      »Wenn ich es hübsch genug finde«, sagte ich. »Sind Sie fest gebunden?«

      »Was heißt schon fest?« Sie machte ein paar trippelnde Schritte. »Man hat hin und wieder etwas.«

      So flach ging es weiter, bis wir in die Pension kamen und im Speisezimmer die Wirtin sitzen sahen. Sie las in einem Buch. Wir sagten ihr beide gute Nacht und verabschiedeten uns voneinander. Das Mädchen Ellen ging die Treppe hinauf. Sie war hübsch und ganz jung, ein heiterer Klecks.

      Ich ließ mir einen Weißwein geben und bat um einen Hausschlüssel.

      »Wollen Sie noch fort?«, fragte die Wirtin.

      »Ich weiß es noch nicht«, sagte ich.

      »Ihr Leute von der Presse!«, sagte sie. Aber es lag kein Vorwurf darin, eher ein wenig Neid.

      »Na ja«, sagte ich und ging die Treppe hinauf. »Schließlich muss man etwas tun.«

      »Ich lese in der Bibel«, sagte sie und stand dort unten breit und viereckig und war traurig, weil sie irgendetwas in ihrem Leben nicht bekommen hatte. Und nun war es zu spät, es sich zu nehmen.

      Es ist merkwürdig, aber ich arbeitete in Chamonix weniger für das Blatt als für Braumann. Er war der beste Produktionschef, den ich je erlebt habe, und immer empfand ich ihm gegenüber eine Art kindlich-hastiger Dankbarkeit. Er besaß die Gabe, wenig zu sprechen und sofort zu verstehen, wenn Schwierigkeiten auftauchten. Niemals erlebte ich bei ihm das sinnlose Geschwätz so vieler Chefredakteure oder Ressortleiter, die sich in dümmlichen Sentenzen verlieren, um ihre Wichtigkeit zu beweisen. Das erwähne ich nur, um die Intensität zu erklären, mit der ich in jener Zeit arbeitete. Es wäre dumm anzunehmen, dass mich irgendetwas Verpflichtendes an meinen Verleger band. Ich kannte ihn nicht einmal. Der Verleger war für uns Reporter eine Gruppe von sehr feinen Leuten, die allesamt versuchten, sich gegenseitig die Schreibtische und ihre Bedeutung zu stehlen. Einige von ihnen hatten den Mut, sich als Journalisten zu bezeichnen, obwohl sie nie etwas anderes waren als zu hoch bezahlte Bürovorsteher. Und Braumann war nicht so.

      Nach einer Viertelstunde verließ ich mein Zimmer wieder, und das Mädchen wartete unten im Speiseraum auf mich. Sie sagte fröhlich: »Ich habe es gewusst. Was wollen Sie jetzt in der Nacht noch unternehmen?« Sie war stolz.

      Ich bin heute nicht mehr sicher, was ich in jenen Sekunden dachte. Vielleicht ekelte ich mich vor der keuschen Behutsamkeit von Eichhörnchen. Vielleicht ist es auch natürlich, dass man nach sieben Jahren Ehe ausbricht. Möglicherweise sah ich die Brüste dieses Mädchens und hatte einfach Lust.

      Aber ich weiß, dass ich sagte: »Wir sind Konkurrenz!« Aber ich sagte es nicht ernsthaft.

      Sie war sehr eifrig. »Aber ich werde Herrn Bernhold nichts sagen. Ich will etwas lernen.«

      »Schön«, sagte ich, »trinken wir erst einen Kognak.«

      »Die Wirtin ist schon schlafen gegangen.«

      »Das macht nichts. Da drüben steht die Flasche. Ich werde einen Zwanzig-Franc-Schein hinlegen, und sie wird glücklich sein.«

      Das Mädchen kicherte, und ich ging die Flasche holen. Ich war mir durchaus der Notwendigkeit bewusst, von diesem Augenblick an so schnell wie möglich nach Hause zu kommen. Jörg hatte gesagt: »Wenn du anfängst, Schnaps zu saufen, kann es sein, dass du schnell besinnungslos wirst. Du musst dich mit deinem ganzen Willen darauf konzentrieren, sofort nach Hause zu gehen. Du musst in den wenigen Minuten, die dir bleiben, sofort ein Taxi rufen. Dann musst du einsteigen.« Das war damals zwei Jahre her, und irgendwie hatte ich es immer geschafft. Immer hatte Eichhörnchen mir geholfen, plötzlich zu sagen: »Ich will nicht mehr«, und dann war es immer nach zwei oder drei Tagen gut gewesen, und ich hatte monatelang arbeiten können, ein Glas Wein getrunken und manchmal sogar einen Liter, ohne nach Schnaps zu verlangen. Ich war kein Säufer, ich war nur jemand, der in angemessenen Perioden all den Schmutz, den er gesehen hatte und in sich trug, fortwaschen wollte.

      Ich goss uns den Kognak in Weingläser. »Passen Sie auf. Vielleicht ist das, was ich sage, Unsinn, aber ich glaube daran. Zweimal ist ein Hubschrauber in den Berg geflogen, immer waren nur Gebirgsjäger an Bord. Aber was geschieht denn eigentlich nach einem Verbrechen oder einem solch schweren Unglücksfall?«

      Sie sah mich an. Sie hatte ihren Kopf auf eine Hand gestützt. Sie war voller Interesse, sie war ganz für mich da, und ihr Mund war ein wenig geöffnet, als warte sie auf einen Salto mortale in der Zirkuskuppel.

      »Na, Mädchen. Das ist doch ganz einfach: Man sichert Spuren. Und wie, glaubst du, konnte man die in diesem Fall sichern?« Ich lachte und spürte den Kognak wie einen warmen Ball im Bauch.

      »Ich weiß es nicht«, sagte das Mädchen.

      »Man bringt die Spuren mit herunter«, murmelte ich. »Oder?« Es war theatralisch, es war widerlich, aber ich konnte nicht widerstehen.

      »Aber was sollen die denn runtergebracht haben?« Sie strich die Haare aus dem Gesicht, ihre Hände waren sehr lang und schmal, und sie trug an jeder Hand drei Ringe.

      »Leichen oder Leichenteile oder Wrackteile oder irgendetwas. Und das Zeug muss irgendwo hier sein.«

      Sie begann zu lächeln. »Wie soll man das in der Nacht finden?«

      »Hier findet heute keine Nacht statt«, sagte ich. »Das ist immer so, wenn etwas wie dies passiert ist.«

      »Wo könnte das Zeug sein?«, fragte sie schnell.

      »Überall. Ich suche. Wenn du willst, kannst du mitkommen. Aber du musst den Mund halten.«

      »Sicherlich«, sagte sie.

      Wir zogen die Mäntel an, und ich trank noch einmal von dem Kognak, ehe wir das Haus verließen. Wir nahmen uns einfach an der Hand und liefen die Straße entlang, als hätten wir ein ganz bestimmtes Ziel. Ich kam mir dümmlich vor, aber der Kognak begann das bald zu überdecken.

      »Bernhold ist so aufdringlich«, sagte das Mädchen.

      »Er ist ein guter Kerl«, sagte ich. »In diesem Beruf sind viele ein bisschen angeknackst.«

      »Aber er ist so schnell und so eindeutig.«

      Wir erreichten nach einer Weile die Kneipe am Parkplatz, und sie war immer noch voller Lärm. »Bernhold und Kohler werden


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