Love Crash - Der Traum vom Neubeginn. Andreas Suchanek
Luca. Er stand am Rand des Spielfeldes und diskutierte eifrig mit einem Mann in dunklen Anzug.
»Er scheint gerne andere Leute anzuschreien«, schloss Melissa. »Und schau mal, seine Wangen sind ganz rot.«
»Das ist niemand aus der Administration«, überlegte Julie. »Der Anzug ist maßgeschneidert.«
»Sieh an, Nancy Drew, nicht schlecht. Wieso kennst du dich so gut damit aus?«
»Josh hat uns seinen stolz präsentiert, als er für diese große Consulting-Firma zu arbeiten begann«, erklärte Julie. »Die sind richtig teuer. Wer immer der Kerl auch ist, es ist kein Professor.«
Der Sportbereich war für externe Besucher nicht zugänglich. Um sich hier aufzuhalten, musste man einen Studentenausweis besitzen. An den Eingängen zum Campus gab es Sicherheitspersonal, das sorgfältig darauf achtete, wer hier ein- und ausging. Natürlich konnte sich jeder anmelden und Angehörige hatten keine Probleme damit, einen Besucherausweis zu bekommen. Hierher verirrte sich jedoch meist niemand.
»Er hat sich hier mit ihm getroffen, weil es keinem auffällt«, vermutete Julie.
»Außer den Sportlern, aber die tratschen nicht«, ergänzte Melissa. »Das sind typische Jungs, die essen den ganzen Tag, reden über Sport und sind einsilbig. Lass uns nachsehen gehen.«
»Wir können doch nicht einfach …«
Doch Melissa befand sich schon auf dem Weg. »Wir schleichen uns an den Umkleiden vorbei.«
»War ja klar.«
Sie stiegen über die Reihen vor ihnen, umrundeten die Tribüne und schlichen dicht an der Wand entlang zum anderen Ende des Platzes. Melissa lugte um die Ecke. Von hier nutzten sie den bepflanzten Grünstreifen, um sich aus dem toten Winkel anzuschleichen. Julie fühlte sich miserabel. Man belauschte doch niemanden! Andererseits musste ja irgendwer Melissa aufhalten, weshalb sie ihr folgte.
»Melissa«, rief sie in einer Mischung aus gezischtem Flüstern.
»Pst, du bist zu laut«, kam es prompt zurück.
Bevor Julie noch mehr sagen konnte, drangen die Stimmen von Luca und dem unbekannten Mann an ihr Ohr.
»… keinen Fall!«, rief Luca.
Sie nutzten einen Baum als Deckung. Damit waren sie zumindest nahe genug, um Wortfetzen aufzuschnappen.
»… Auftrag, Sie …«, erwiderte der Mann, ohne die Stimme zu erheben.
»Können die sich nicht so richtig anbrüllen«, murmelte Melissa. »Dann könnten wir jetzt jedes Wort verstehen.«
»Ist mir egal!« Wenigstens brüllte Luca konstant. »Ich bin hier und bleibe hier!«
»… wann?«
»Niemals! Damit das ein für allemal klar ist, niemals!« Luca brüllte noch immer, doch seine Stimme zitterte.
Vorsichtig lugte Julie um die Ecke.
Mit verschränkten Armen und glänzenden Augen stand Luca dem unbekannten Mann gegenüber. Von der Arroganz des Morgens war nichts geblieben. Was sie in seinem Blick las, war purer Schmerz, wie sie ihn erst ein einziges Mal zuvor gesehen hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich elend.
»Lass uns gehen.«
»Aber wir haben noch nichts Spannendes erfahren«, begehrte Melissa auf.
»Bitte.«
Ohne abzuwarten, trottete Julie davon. Tatsächlich schloss sich Melissa an. Sie achteten darauf, unsichtbar zu bleiben und nach wenigen Schritten waren die Stimmen von Luca und dem unbekannten Mann nicht mehr zu hören.
»Jules …«
»Ich will nach Hause.«
»Was hast du gesehen?«, fragte Melissa.
»Luca geht es nicht gut«, erwiderte sie.
Es musste etwas in ihrer Stimme gewesen sein, denn zum ersten Mal, seit sie Melissa kannte, verzichtete diese auf eine Diskussion. Hunger machte sich bemerkbar. Doch Julie wollte nur nach Hause. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt, überrollt von den Geschehnissen des Tages und verloren im Sturm.
Schweigend erreichten sie die Cafeteria.
Julie atmete den vertrauten Geruch der WG ein und genoss das Gefühl der Sicherheit, das diese Wände ihr boten. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Sie steuerte auf direktem Weg zu ihrem Zimmer und strich sich über den vollen Bauch. Melissa hatte darauf bestanden, dass Julie wenigstens eine Kleinigkeit in der Mensa aß.
Neben der Spüle stapelten sich die Teller und Tassen vom Frühstück, Krümel lagen auf dem Tisch verstreut.
In ihrem Zimmer stellte sie die Tasche auf den Sessel, zog den Laptop heraus und setzte sich an den Schreibtisch. Es stand außer Frage, dass sie die verpassten Vorlesungen der letzten Tage aufarbeiten würde.
In einigen Minuten.
Sie war plötzlich so müde und die Hämatome pochten schmerzhaft auf ihrem Körper.
Kurzerhand legte sich Julie aufs Bett, den Laptop auf ihrem Schoß. Schließlich konnte sie Vorlesungen auch problemlos im Liegen durchgehen. Die Haltung war jedoch unbequem, sie stellte den Laptop neben sich und sank auf die Handfläche des angewinkelten Arms.
Vereinzelte Lichtstrahlen fielen durch das Fenster herein, der Schein ruhte warm auf ihrem Gesicht. Julies Gedanken trieben ab, ihr Bewusstsein sank in einen wohligen Halbschlaf.
Sie schlenderte durch die Straßen von New York, vorbei an der 22., wo Luca vor dem Café stand und eingehend eine Fliege betrachtete.
»Was machst du da?«, fragte Julie.
»Stör mich nicht«, fuhr er sie an. »Ich beobachte.«
Erst jetzt sah sie Melissa, die drei Schritte entfernt auf dem Bordstein stand. Sie trug eine Sherlock-Holmes-Mütze und hielt eine Lupe in die Höhe, durch die sie Luca betrachtete.
»Ich krieg schon raus, was er verheimlicht«, stellte Melissa klar, als Julie näherkam.
»Bestimmt.«
»Hilfst du mir?«
»Ich muss noch die Scheiben putzen.«
Im nächsten Augenblick stand Julie im Café, sprühte Putzmittel auf das Glas und wischte die Schlieren mit einem Tuch ab, auf dem ›Doktor Zimmerman‹ aufgestickt war.
Hinter der Theke alberten Cullen und Simon herum. Auf der großen Kreidetafel an der Wand, auf der normalerweise Sonderangebote und Tagespreise geschrieben standen, war eine ›Liebes-Tabelle‹ aufgemalt.
Eine Spalte enthielt Argumente, weshalb Julie total in Luca verliebt war. In der anderen Gegenargumente. Während sie die Worte betrachtete, erschienen weitere Zeilen auf beiden Seiten, wodurch der Punktestand immer ausgeglichen blieb.
Dabei hätte sie so gerne das Ergebnis gesehen.
»Alles klar, Jules?«, fragte Cullen.
»Ich muss noch das Fenster putzen«, fuhr sie ihn an.
Der Traum nahm eine seltsame Wendung, als ein Uber vor dem Café hielt und ihre Mum ausstieg.
»Kindchen, ich wusste doch, dass man dich nicht allein nach New York lassen kann«, flötete sie. »Ich bleibe so lange hier, bis du wieder mit nach Hause kommst.«
Panisch versuchte Julie, die Tür abzusperren, doch ihre Mum glitt wie ein Geist hindurch. Sie beachtete Julie gar nicht, hielt plötzlich einen Kreidestift in der Hand und begann, auf die Tafel zu schreiben. Diese war wieder leer. Ihre Mum begann damit, alle Peinlichkeiten zu notieren, die Julie im Verlauf ihres Erwachsenwerdens erlebt hatte.
»Nein!«, brüllte Julie.
Ruckartig fuhr sie auf.
Der