HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH. Eva Adam

HEIßE NÄCHTE IN UNTERFILZBACH - Eva Adam


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erfand gar Neues hinzu. Er war ein fleißiger, sympathischer und angenehm ruhiger Mann, der aber seinen Wohlstand nicht zur Schau stellen musste, so wie manch andere es getan hätte. Hansi mochte ihn. Verheiratet war der Alfons mit Margarethe – genannt Gretl – Brandl. Soviel Hansi wusste, ging es der Gretl aber nicht sonderlich gut. Gerüchteweise war sie schwer krank und konnte seit Kurzem das Bett nicht mehr verlassen. Sie stand nicht mit am Grab, bemerkte Hansi, als er sich ein wenig neugierig streckte, um nachzuschauen. Neben dem Alfons stand lediglich der einzige Sohn des Paares, der Karl. Der Brandl-Sprössling war allerdings im Gegensatz zu seinem Vater nicht unbedingt bescheiden oder gar fleißig. Karl trug seinen Wohlstand nur zu gerne zur Schau. Er fuhr die größten und teuersten Autos, trug die angesagtesten – dafür aber geschmacklosesten – Designerklamotten und war neben seinem Pro-forma-Beruf in der BBB die meiste Zeit über als Playboy unterwegs. Der Mittvierziger war deswegen auch immer noch unverheiratet. Wie man so schön sagt, »ließ er die Sau raus« wo es nur ging.

      Als Hansi die Brandls so beobachtete, wurde ihm wieder einmal klar, dass Geld nicht glücklich machte, denn so sahen weder Karl noch Alfons aus. Sicher lag es aber hauptsächlich an der Sorge um die kranke Gretl, vermutete er.

      Nach weiteren Analysen der Personen an den umliegenden Gräbern stieg nun ein freudiges Gefühl in Hansi auf, denn er erblickte den Unterfilzbacher Pfarrer, der mit einer »vatikangroßen« Heerschar von Ministranten durch die Reihen zog und die Gräber segnete. Scharnagl freute sich nun nicht unbedingt so sehr, weil er Pfarrer Birnböck so gerne mochte, aber das »Gesegne« war sozusagen das Finale, der Endspurt und gleich war es vorbei. Hansi konnte sich dann endlich auf Bettinas Kuchen stürzen, denn ein Mittagessen gab es an Allerheiligen aus Stressgründen auch nicht im Hause Scharnagl und Hansi war regelmäßige Nahrungsaufnahme sehr wichtig. Nach kurzem Small Talk auf und um den Friedhof herum löste sich die katholische Freiluft-Versammlung auch recht zügig auf und alle zog es nach Hause zu frischem Kaffee und Kuchen.

      Eine illustre Runde aus Scharnagls und Schlessingers aller Altersgruppen traf nun nach und nach im Partykeller des Hauses in der Birkenstraße ein. Aus München, Passau oder auch nur aus dem Nachbardorf Fichtenberg kamen sie jetzt angereist. Hansi freute sich jedes Jahr wieder, dass er mit all seinen Verwandten gut auskam, auch wenn man sich das Jahr über nicht oft sah. Außerdem war diese Runde immer äußerst informativ, wenn es um soziale Neuigkeiten aus der Region ging. Die Hinkhofer Berta hätte ihre wahre Freude daran gehabt.

      Zuerst einmal wurden die neuen Freunde beziehungsweise Freundinnen der Teenager-Neffen und -nichten ausdiskutiert und deren familiäre Herkunft genau recherchiert.

      »Das ist doch der Bub von der Gschwendtner Erika ihrer Schwester ihrem zweiten Mann. Der mit der großen Nase, der erst mit der Loibl Hildegard zusammen war. Weißt schon, der, der dann beim Schwarzarbeiten vom Dankesreiter Paul anzeigt worden ist.«

      »Ach ja, genau der. Ich hab‘s mir eh fast schon gedacht, wegen der Mordstrumm Nasen.«

      Dann kam man auch schon wieder auf die internen Unterfilzbacher Dorfgeschichten zurück. Da wusste zum Beispiel Bettinas Cousine Emma, die als Krankenschwester im Kreiskrankenhaus arbeitete, zu berichten, dass beim Weiderer Erwin tatsächlich ein komplizierter Oberschenkelhalsbruch diagnostiziert worden war, den der »Friedhofswegerl-Unfall« verursacht hatte. Hansi empfand natürlich gleich männliches Mitgefühl für den armen Erwin, aber auch wiederum Schadenfreude wegen der Berta, der Bissgurken, der oberschlauen. Ein schlechtes Gewissen sollte sie plagen, die ganze Nacht lang. Da der Weiderer ja ohne familiären Anhang war, war es ein Glück, dass der pensionierte Postbotenbeamte einen fürsorglichen Nachbarn namens Sepp Müller hatte. Der würde sich schon um den Erwin kümmern, so wie er es halt immer tat, da waren sich alle Anwesenden einig.

      Außerdem wusste die redselige Emma – der die Schweigepflicht offenbar am Arsch vorbeiging – dass die arme Brandl Gretl schon austherapiert war. Was leider nicht bedeutete, dass sie geheilt war, sondern dass die Mediziner sie aufgegeben hatten und man ihr nur noch die letzte Zeit so angenehm wie möglich gestalten konnte. Sie hatte wohl Krebs im Endstadium und es war nur noch eine Frage von Tagen.

      »Mei, die arme Gretl. Ihr ganzes Leben lang haben sie und ihr Fonsi gearbeitet und jetzt, wo sie sich ein schönes Leben machen hätten können … wirklich tragisch«, war Bettina voller Empathie.

      »Ja schon, aber wer hätte sich dann um die Firma gekümmert, wenn der Fonsi und die Gretl das Leben genossen hätten? Der Berufssohn Karl vielleicht?«, sprach Onkel Hubert zynisch mit hochgezogener Augenbraue in die Lästerrunde.

      Der Onkel Hubert musste es ja wissen, dachte sich der Hansi, er hatte ja jahrelang bei der BBB als Betriebshausmeister gearbeitet, aber zur Sicherheit fragte Hansi doch noch mal nach. »Ja, ist er denn wirklich so stinkert faul, wie alle immer erzählen?«

      »Ha, der ist nicht nur stinkert faul, sondern auch ein aufgeblasenes, eingebildetes Arschloch. Wenn der Fonsi einmal nimmer ist, dann geht die Firma sowieso den Bach runter. Das sag ich euch«, empörte sich Onkel Hubert über seinen ehemaligen Juniorchef. Er war ganz offensichtlich kein Fan vom Brandl Karl.

      Tante Silvia interessierte sich hingegen eher für die zwischenmenschlichen Dinge des Lebens. »Du, Hansi, was ist denn jetzt eigentlich mit dem Sepp und der Aschenbrenner Maria?«

      »Pfffff«, antwortete Hansi ein wenig überfragt.

      Er wusste überhaupt nicht, was er anderes darauf hätte sagen sollen, so verfahren war die Sache inzwischen schon. Zum einen war vom Sepp zu diesem Thema nicht viel zu erfahren, zum anderen gab es wohl immer wieder einmal große Kommunikationsprobleme zwischen dem potenziellen Pärchen. Wenn der Beziehungsstatus »es ist kompliziert« irgendwo passte, dann sicher bei Sepp und Maria.

      Der Bauhofangestellte und Erste Feuerwehrkommandant hatte seit geraumer Zeit schon eine »Beziehung in der Anbahnung« mit seiner Jugendliebe am Laufen, der getrennt lebenden Metzgereibesitzerin Maria Aschenbrenner. Aber es ging irgendwie nicht vorwärts. »Do geht nix« – hätte der Bayer die Situation vielleicht kurz und treffend beschrieben. Seit Monaten schon war es ein ewiges Hin und Her und ein Auf und Ab. Hansi und Bettina, die das ganze Drama als jeweils beste Freunde der zwei quasi begleiteten, gaben die Hoffnung langsam auf, denn die Verliebten stellten sich an wie hochgradig pubertierende Teenager. Und als Eltern von drei fast erwachsenen Kindern wussten die leidgeplagten Scharnagls, was das bedeutete.

      Hansi wusste aber inzwischen sicher, dass es wohl wirklich die große Liebe gewesen sein musste beziehungsweise wohl auch immer noch war. Denn als der Sepp vor über fünfundzwanzig Jahren in München studierte und die Maria dort gleichzeitig einen Kurs für Buchführung absolvierte, war es wohl passiert. Die große Explosion der Gefühle. Fast drei Monate schwebten die zwei auf Wolke sieben, bis Maria sehr überraschend feststellte, dass sie schwanger war. Allerdings nicht von Sepp, sondern vom Vorgänger Reiner. Reiner Aschenbrenner, der Unterfilzbacher Metzgersohn, war mit Maria zuvor liiert gewesen. Das Ganze war natürlich beendet und Maria wusste eigentlich, dass sie ihr weiteres Leben mit dem Sepp verbringen wollte, bis sich eben ihr Sohn Emil mit zwei Strichen auf dem Schwangerschaftstest ankündigte. Das warf die Maria wohl ziemlich aus der Bahn. Sie war regelrecht verzweifelt und mit gerade einmal neunzehn Jahren auch mit der Situation völlig überfordert. In einer Art Kurzschlussreaktion brach sie dann jeden Kontakt zum Sepp ab und ging zurück zum Reiner. Marias Verschwinden war dann für Sepp wiederum eine Art »seelischer Genickbruch« und auch er ging wohl andere Wege.

      Erst letzten Sommer gab es eine Aussprache zwischen den beiden, die sich bis dahin ignorierten und taten, als kannten sie sich nicht. Allerdings schwieg Sepp sich ausgiebig darüber aus, welche Wege er nach dem dramatischen Liebesaus gegangen war und wohin diese geführt hatten. Hansi fehlten ein paar Jahre in Sepps Lebenslauf. Irgendwann vor circa zehn Jahren war der Müller dann einfach wieder da gewesen, in Unterfilzbach, und eigentlich zählte für Hansi auch nur das.

      Das alles ging ihm nun gerade durch den Kopf, als er über Tante Silvias Frage sinnierte. Er entschloss sich aber dann doch zu antworten. »Mei, ich weiß es eigentlich auch nicht, Silvia.«

      Das Verwandtentreffen ging dann später von Bettinas üppiger Kuchenauswahl zum kleinen kalten Büfett mit Wurstsalat, Obazdem und Sülze über. Der harte Kern löste sich erst


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