Sieh nichts Böses. Kayla Gabriel
sagte Echo.
„Selbstverständlich“, erwiderte er, trat einige Schritte nach hinten und bedeutete Echo mit einer Hand, sie solle an ihm vorbeigehen.
Echos Herz sprang ihr in die Brust, als eine bleiche Gestalt neben dem fremden Mann erschien. Ein sehr junges ehemaliges Sklavenmädchen, dem Echo schon mal im Laden begegnet war. Ada lautete der Name des Mädchens, wenn sich Echo richtig erinnerte. Es war eine Weile her, seit Ada ihr zuletzt erschienen war. Ada schüttelte verdrossen den Kopf, wobei ihre dunklen Zöpfe hüpften. Sie stemmte ihre Fäuste in die Hüften und warf Echo einen strengen Blick zu.
„Böser, böser Mann“, verkündete Ada und ließ ihre Augen nach links zu dem Fremden schweifen. „Er nimmt Geld. Er ist kein Neffe oder irgendjemand, Ma’am.“
Echo biss auf ihre Lippe. Der Fremde warf ihr einen ungeduldigen Blick zu, denn er konnte den Geist direkt neben sich nicht sehen. Das war ein perfektes Beispiel für Echos gesamtes Leben: sie hörte Dinge, die die meisten Menschen nicht hören konnten, und wirkte dabei wie eine Verrückte. Normalerweise versuchten die Geister allerdings nicht, Echos Leben zu retten. Normalerweise versuchten sie nur, mit ihr über ihre längst verstorbenen Verwandten zu reden, während sie mit der Straßenbahn fuhr, oder sie baten sie, sich um ihre ebenfalls toten Haustiere zu kümmern, während sie im French Quarter ihrem Job als Verkäuferin nachging und bereits eine ungeduldige Schlange an Kunden fast bis zur Tür stand.
„Wenn ich nochmal darüber nachdenke…“, sagte Echo. „Denken Sie, Sie könnten mich rüber zur, äh… Wolfswurz bringen? Auf der anderen Seite? Ich brauche sie für einen Zauberspruch, aber bin mir nicht sicher, wonach genau ich suche.“
Echo deutete mit der Hand und betete, der Kerl möge ihre Lüge nicht durchschauen. Er hielt inne, dann zuckte er mit den Achseln. Er drehte sich um und lief zur anderen Ladenseite. Daraufhin stürzte Echo davon und ließ im Rennen die Tüte mit den Kräutern fallen.
Sie war aus der Tür, bevor der Mann auch nur bemerkte, dass sie geflohen war. Doch im Nu folgte er ihr dicht auf den Fersen.
„Hilfe“, schrie Echo. Ihr Schrei hallte von der fast verlassenen Straße wider.
Eine grauhaarige, alte Frau drehte sich, um zu ihr zu schauen. Ihr dunkler Mantel blähte sich, als sie sich auf ihrem Gehstock nach vorne beugte und dabei fast vornüberfiel. Das alte Weib zog einen silbernen Zauberstab aus ihrem Mantel, aber es war zu spät. Der Fremde im Anzug packte Echos Ellbogen und riss sie von der Straße in eine Gasse und direkt zu einer geschlossenen Tür.
Allerdings war es natürlich keine Tür. Es war einfach nur einer der vielen Überraschungsausgänge des Marktes und Echos Angreifer schubste sie durch das Portal in die helle New Orleans Sonne. Sie ließ ihren Kopf herumschnellen und fand sich selbst auf der Türschwelle eines melonenfarbenen Shotgun-Hauses wider. Ihr Angreifer folgte und Echo rannte die Stufen hinab, wobei sie verzweifelt nach irgendeiner Art von Hilfe Ausschau hielt.
Auf der gegenüberliegenden Straßenseite rannten drei gigantische Männer direkt auf sie zu. Ihr Gehirn erfasste die kleinen Bruchstücke der Szene und setzte sie langsam zusammen: ein mürrisch dreinschauender blonder Mann, ein dunkelhaariger Kerl mit einer besorgten Miene, die Tatsache, dass alle drei Männer Waffen bei sich führten. Nicht einfach nur Waffen, sondern Pistolen und Schwerter. Tatsächlich waren sie auch in einen Kampfanzug gekleidet wie eine Art SWAT-Team.
Echos Gedanken stolperten über dieses letzte Detail und sie bemerkte, dass der letzte Mann gerade nach seinem Schwert griff. Erst da sah sie ihn an und konzentrierte sich ausschließlich auf ihn. Rotbraunes Haar, ein umwerfender roter Bart, breite Schultern und…
Gott, das mussten die grünsten Augen der Welt sein. So lebhaft wie ein Dschungel, so hell wie smaragdfarbene Feuer bohrten sich diese Augen in ihre. Ihr Gehirn erlitt einen Kurzschluss, wurde von dem Gefühl einer Verbindung überrumpelt und überwältigt von dem Verlangen, ihm näher zu sein…
Als ihr Gehirn aussetzte, taten das auch Echos Füße. Ihr Verfolger, der Mann im dunklen Anzug, den sie vorübergehend vergessen hatte, fing sie in der nächsten Sekunde auf. Er schlang von hinten seine Arme um sie, drückte sie fest an sich und dann verschwand die ganze Welt.
„Was zum Donnerwetter…“, schimpfte Echo vor sich hin. Ihr Angreifer stieß sie von sich und sie hatte einen Moment, um ihre Umgebung zu betrachten.
Sie stand an einem äußerst abgelegenen schwarzen Sandstrand und starrte über viele Meter ununterbrochene Küste. Es sah aus wie der Strand in Hawaii, den sie einmal auf National Geographic gesehen hatte, doch die Luft hier war kalt. Feucht und salzig, aber es mangelte definitiv an Wärme. Echo sah hoch und stellte fest, dass am Himmel keine Sonne stand, sondern nur ein vages Licht von oben herabschien. Das war typisch für Kith-Konstrukte, genauso wie das diesige Dämmerlicht des Marktes.
Das war also eine Art Schlupfwinkel, ein Versteck, das aus einer Tasche zwischen den Welten geschaffen worden war, irgendwo und nirgendwo gleichzeitig. Sie hatte von ihnen gehört, aber nie einen besucht.
Das Geräusch einer Pistole, die entsichert wurde, ließ sie zusammenzucken. Echo schluckte und drehte den Kopf, um zu ihrem Angreifer zu schauen, der schwer atmete und ziemlich verärgert wirkte.
„Warum bin ich hier?“, fragte sie.
„Halt’s Maul. Gib mir deine Handtasche“, befahl er und krümmte auffordernd die Finger. „Du hast nicht noch mehr von diesem Kräuter Mist bei dir, oder?“
Echo runzelte die Stirn und reichte ihm ihre Handtasche. Ihr wurde ganz schlecht, als sie ihn dabei beobachtete, wie er sie durchwühlte. Er beschlagnahmte ihr Schweizer Taschenmesser und untersuchte den alten Handspiegel, den Echo mit sich herumtrug, vielleicht weil er einen Hauch von Magie an dem Spiegel wahrnahm. Er musterte sie ein weiteres Mal und ließ dann den Spiegel wieder in ihre Handtasche fallen. Anschließend schleuderte er sie einige Meter entfernt auf den Boden.
„Du kannst es dir genauso gut bequem machen“, schlug er vor. „Es könnte eine Weile dauern.“
„Was könnte eine Weile dauern?“, wollte Echo wissen, deren Frust zunahm, obwohl ihr Puls wie verrückt hämmerte.
„Das wirst du schon noch sehen.“
Sie standen gefühlte Ewigkeiten an dem Strand. Um ihre Langweile und Anspannung zu zerstreuen, betrachtete Echo die eigentümlich simulierte Landschaft. Gerade, als sie dachte, sie würde vielleicht für immer auf einer Insel festsitzen, tauchten ein paar Männer in Anzügen mit einem deutlich vernehmbaren Plopp in ihrem Sichtfeld auf. Einer war fast identisch mit ihrem Angreifer, der gleiche schwarze Anzug und fahle Teint. Der andere jedoch…
Der andere Mann war riesig, über zwei Meter groß. Er verfügte über das stattliche Aussehen eines Hispanos mit einer karamellfarbenen Haut und dunklen Haaren, das mit einem furchterregenden weißen Grinsen einherging. Er trug einen perfekt gearbeiteten Smoking, der sehr gut zu seiner gigantischen Statur passte. Er richtete seinen Blick auf sie und ihr Mund klappte auf, als sie sah, dass seine Augen orange waren.
Nicht haselnussfarben in einem wärmeren Farbton. Ein richtiges Orange wie zwei Feuerbälle, die dort schwebten, wo eigentlich Augäpfel sein sollten. Echo verspürte den plötzlichen Drang, die Flucht zu ergreifen und sich gleichzeitig zu übergeben, aber ihr idiotisches Gehirn unternahm rein gar nichts.
„Boss“, sagte ihr Angreifer, der den Neuankömmlingen seine Aufmerksamkeit gewidmet hatte.
Echo flippte für einen Augenblick aus und ließ sich von ihrer Panik überwältigen. Ihre Hand schnellte nach vorne, um die Pistole aus der Hand ihres Angreifers zu schlagen, womit sie die Gruppe völlig überraschte. Sie stürzte sich auf ihre Handtasche und es gelang ihr sogar sich flach auf ihre Tasche zu werfen, während sie ihren Handspiegel herausfischte.
„Zurück“, flüsterte sie, während sie ihre Finger auf die Spiegeloberfläche presste und ihre Augen schloss.
Mehrere lange Herzschläge brachte sie es nicht über sich, nachzuschauen. Sie nutzte nur selten Zaubersprüche. Tatsächlich nutzte sie nur selten irgendeine Form der Magie. Es war gut möglich,