Schwarzes Schaf. Ascanio Celestini

Schwarzes Schaf - Ascanio Celestini


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helfen, du brauchst nicht mal eine Ehrenrunde. Ich werde dich wohl doch versetzen. Sag deiner Großmutter, dass ich dich versetze, sag, sie soll mir Eier bringen.« Und am Tag der Zeugnisse zog meine Großmutter die festen Strümpfe aus der Apotheke an und ihre Schuhe. Wir gingen in die Schule, wir bekamen das Zeugnis und ich war versetzt. Da ging meine Großmutter mit mir zur Lehrerin und bedankte sich und gab ihr Eier, und den anderen Lehrern gab sie auch Eier. Auch dem Pfarrer, der den Katechismus lehrte, und auch dem Turnlehrer und sogar dem Direktor. Sie bohrte ihnen mit dem langen Fingernagel ein Loch hinein und alle tranken. Meine Großmutter zeigte mir diese Lehrer der sechziger Jahre und sagte »die Lehrer sind alles Heilige. Genau wie die Heiligen in der Kirche. Und der Direktor ist der heiligste von allen, er ist der Oberheilige, er ist Jesus Christus.« Ich sagte »nein, das ist doch ein Witz, Großmutter …« Doch der Direktor sah nicht aus wie ein Witz. Er schlürfte sein frisches Ei wie das Abendmahl. Dieses Ei war die Heilige Hostie und er kam mir vor wie Christus, der die Kommunion abhält, Christus, der selbst seinen eigenen Leib verspeist.

      Und meine Großmutter sagte »trinkt, ihr Herren Lehrer, das ist frisch, das Ei. Es riecht noch nach Hühnerarsch.«

       Zwei

      In den sechziger Jahren gingen wir immer in die Irrenanstalt.

      Meine Großmutter ging dorthin und brachte frische Eier.

      Ich ging mit und sie belud meine Arme mit Plastiktüten voll eingewickelter Eier und ging so mit mir zum Tor. Die Schwester machte uns auf und führte uns in die Küche. Jemand kackte auf den Boden und die Schwester sagte »ihr müsst entschuldigen, dass er gekackt hat, aber er ist wie eine Pflanze. Eine Pflanze, die auf die Erde kackt.« Die Schwester sagte »da kann man nichts machen, manche Irre sind wie Esel, die Iah schreien und austreten, wenn man Eseln etwas Gutes tut, erntet man nur Tritte.« Sie sagte, das ist normal, dass sie auf den Boden kacken. Es ist leichter, die Kacke wegzuwischen, als ihnen beizubringen, aufs Klo zu gehen. Leichter als ihnen beizubringen, sich mit Klopapier abzuputzen, sich den Hintern im Bidet zu waschen und so weiter …

      Und ich sah all diese armen Irren, die kackten und an die Wand spuckten. Und die Wände waren voll mit Schleim, der langsam wie eine Schnecke unter Drogen den Putz hinabkroch. Er kroch so lange, bis die trockene Luft ihn an der Mauer festklebte. Die ausgetrocknete Spucke blieb als Stickmuster an der Wand haften, bis der Pfleger mit einem Schaber vorbeikam und sie ablöste wie Miesmuscheln. Und dann gab es Irre, die sich in die Hose machten. Sie pissten sich in die Hose, die war immer entweder zu eng oder zu weit, weil die Pfleger sie morgens nackig aus dem Bett holten. Dann zogen sie aus einem Plastiksack die Kleider hervor und verteilten sie auf gut Glück. Und die Kleider gab es nur in zwei Größen, nicht etwa wie im Kaufhaus, wo es alle Größen gibt. In der Anstalt … da hatte vielleicht einer eine Plauze und bekam eine enge Hose, während ein ganz dünner Irrer sich die weite Hose anzog. Die Schwester sagte »das ist nicht wichtig, ob den armen Kerlen die Hose runterrutscht. Wichtig ist nur, dass sie schnell aufstehen und pünktlich zum Frühstück erscheinen. Die Anstalt achtet darauf, dass der Zeitplan eingehalten wird.« Aufwachen, waschen, kacken, pissen, anziehen, essen, schlafen. Alles nach Plan. Und das Leben geht weiter.

      Die Schwester sagt, das nennt man Pflege der Moral. Die Unordnung im Gehirn wird durch die Ordnung in der Anstalt kuriert. Die Pfleger stellen alle Betten in einer Reihe auf. Die Kleider haben alle dieselbe Farbe, denn in der Waschmaschine wird eh alles bei neunzig Grad gewaschen zum Desinfizieren, die Farben mischen sich und heraus kommt ein Irrenhausgrau, das haben dann alle Kleider. Die Schwester sagt, dass man die Pflege der Moral auch daran erkennt, dass alle dasselbe essen. Nun essen wir eine schöne gekochte Birne! Die Birne, ein bisschen Wasser, keinen Wein, keinen Kaffee. Messer und Gabel nein, nur Holzlöffel und Aluminiumgeschirr. Manches Besteck ist eben gefährlich.

      Und ich sah immer all diese armen, von der Schwester dressierten Irren, wie sie aus dem Bett sprangen und sich die falschen Kleider anzogen. Die Schwester zählte sie und schickte sie in den Speisesaal. Die Irren setzten sich in Bewegung wie die Clowns im Zirkus, die am Ende der Nummer eine Runde durch die Manege drehen und winken. Nur dass den dressierten Irren niemand zuschaute. Dass niemand ihnen am Ende der Nummer applaudierte. Nur ich und meine Großmutter sahen die Vorstellung mit unseren Plastiktüten voll mit Eiern, aber wir lachten kein bisschen und klatschten auch nicht.

      Dann gibt es noch einen speziellen Typ von Irren, und das sind die Katatoniker.

      Sie liegen still im Bett. Einige werden morgens geweckt und auf eine Bank gesetzt, wo sie bis zum Abend bleiben, dann packt man sie wieder unter das Bettlaken. Ein paar können alleine ins Bad gehen, brauchen aber den lieben langen Tag dafür.

      Sie wachen auf, gehen los, kommen an, kacken, gehen zurück und legen sich schlafen. Und das Leben geht weiter.

      Die Schwester sagt »es ist gut, dass es in der Anstalt auch die Katatoniker gibt und nicht nur die, die schreien und alles kaputtmachen. Außerdem, wenn die Betten knapp werden, können wir auch mal drei davon in eins legen … das spart Platz.«

      Die Katatoniker sehen wie Tote aus und meine Großmutter lässt mich oft bei ihnen zurück, weil sie mir nichts tun können. Sie sagt »das ist wie im Leichenschauhaus mit diesen armen reglosen Irren. Die sind ganz lieb. Sie sind wie Pflanzen.«

       Drei

      Ich erinnere mich, dass ich als Kaninchen verkleidet war.

      Ich erinnere mich, dass es Karneval in den sechziger Jahren war.

      Ich erinnere mich, dass ich lange Ohren mit Draht drin hatte, damit sie hochstanden, aber eines war zerrissen und man sah den rostigen Draht. Ich hasste dieses alberne Kaninchenkostüm. Den ganzen Tag war ich ganz still vor lauter Wut auf das Kostüm, und meine Großmutter hat zu mir gesagt »es ist besser, wenn du eine Weile hierbleibst bei der Schwester auf der Station der Katatoniker-Irren. Bleib hier bei der Schwester.« Ich setzte mich neben die Schwester, die auf einem Stuhl saß und den Rosenkranz betete. Sie sah aus, als führte sie Selbstgespräche … dabei redete sie mit Gott! Aber sie redete so leise, dass ich glaube, selbst Gott muss gedacht haben, sie führt Selbstgespräche.

      Dann hat meine Großmutter ein frisches Ei aus dem Kittel gezogen, hat mit dem langen Nagel von ihrem kleinen Finger ein Loch hineingebohrt und es mir zum Trinken gegeben. Meine Großmutter war angezogen wie eine alte Frau, mit den Omaschuhen und den Strümpfen aus der Apotheke und sie hat mich mit der Schwester allein gelassen, die betend zwischen all den Betten voll mit Irren saß, die aussahen wie Kinderleichen. Ich habe das Ei getrunken und dann gedacht »wenn nun der Tod persönlich vorbeikommt und diese halbtoten Irren sieht, und die Schwester, die wie eine lebende Leiche aussieht und mich, wie ich hier so still sitze wie der Tod. Dann bringt der uns am Ende noch alle ins Jenseits.« Da habe ich angefangen zu reden.

      Ich habe auf die Schwester eingeredet, die mir nicht zuhörte.

      Wie einer, der den Inhalt einer Plastiktüte auf dem Boden ausleert, eine Tüte voll mit so Zeug aus dem Supermarkt. Eine Tüte voll mit Nesquik, Spüli und Halspastillen und alles landet auf dem Boden und die Bonbons schwimmen im Spüli und das Pulver fliegt durch die Luft und es riecht überall nach Kakao und Kinderfrühstück … Ich habe den Mund aufgemacht und ihr gesagt, was mir durch den Kopf geht. Ich habe mein Gehirn über ihr entleert.

      Ich habe gesagt »ich hasse dieses Kaninchenkostüm. Das Kostüm wandert durch unser ganzes Haus, ich bin der Jüngste im Haus und dieses Kostüm ist für Neunjährige wie mich. Aber dieses Kaninchenkostüm wandert seit fast zwanzig Jahren durch unser Haus und alle ziehen es an. Es ist ein Kostüm aus den fünfziger Jahren. Ein fades Kostüm. Es ist so doof wie die fünfziger Jahre. Und ich bin bestimmt der hundertste Doofmann, der dieses doofe Kostüm anzieht. Und außerdem ist ein Drahtohr verrostet.

      Ich wollte ein Tarzankostüm. Kennst du Tarzan? Das ist der Held aus so einem Dschungelfilm. Das ist so einer, der kann kein einziges Wort sagen außer Ich, Du, seinen Namen und den von dem Affen, der heißt Tschita. Und im Film lernt er noch den Namen von einer schönen weißen Frau, die heißt Dschäin. Und sein ganzes Leben kann er nur Sätze mit diesen Wörtern sagen, so wie ›ich Tarzan, du Tschita‹ oder ›ich Tarzan,


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