Seewölfe - Piraten der Weltmeere 667. Jan J. Moreno

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 667 - Jan J. Moreno


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sage Dan. „Wie Ratten hocken sie in ihren Löchern und warten auf uns.“

      „Ein Scheißspiel“, verkündete der Profos. Er hatte die Hände ineinander verschränkt und zog sie nun langsam auseinander, daß die Finger vernehmlich knackten. „Wir sollten an Land gehen.“

      „Um ein Mißverständnis zu klären, aber nicht, um ein neues zu provozieren.“ Hasard schob den Kieker zusammen und wandte sich zu seiner Mannschaft um: „Die Zolleintreiber lassen diesmal lange auf sich warten. Natürlich haben uns die Inder erkannt.“

      „Wie schön, wenn sich keiner dieser Hyänen an Bord wagt.“ Old Donegal Daniel O’Flynn kicherte verhalten. „Die sind imstande und verlangen auch noch Geld für die Luft, die wir atmen.“

      Einige Männer lachten. Aber dieses Lachen klang nicht so ungezwungen wie sonst.

      „Wenn der Berg nicht beim Propheten erscheint, muß der Prophet eben zum Berg gehen“, verkündete der Profos.

      „Sehr richtig, Mister.“ Old Donegal nickte eifrig. „Einer von uns sollte an Land gehen und mit den Indern reden. Einer, der absolut vertrauenswürdig wirkt.“

      Carberry reckte sein gewaltiges Kinn. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf seinem Narbengesicht.

      „Endlich siehst du die Dinge im rechten Licht“, sagte er. „Kein anderer wäre besser geeignet, die Interessen unserer Lissy mit größerem Nachdruck zu vertreten. Vertrauen wecken und Stärke zeigen, das ist genau die richtige Mischung.“ Er klatschte in die Hände. „Los, Kerls, fiert die kleine Jolle ab!“

      „Nicht so hastig, Ed“, mahnte Old Donegal. „Ich will mich vorher noch landfein herausputzen.“

      „Moment mal.“ Carberry hielt den Alten zurück, ehe er unter Deck verschwinden konnte. Seine Stirn umwölkte sich. „Dir ist doch sonst egal, wie du an Deck herumläufst. Was ist los, Mister?“

      „Hast du immer noch nicht begriffen, daß ich an Land gehe, um mit den Behörden zu verhandeln?“

      „Du?“

      „Wer sonst? Nur eine wirklich vertrauenswürdige Persönlichkeit …“

      „Eben. Schon Francis Drake setzte sein volles Vertrauen in mich, als ich unter seinem Befehl Profos war.“

      „Wenn ihr noch lange streitet, erledigt sich das Problem von selbst.“ Hasard unterbrach den Disput mit einer schroffen Handbewegung und deutete zum Kai, wo die ersten Soldaten aufmarschierten. „Ich werde an Land gehen.“

      „Das wäre sehr unklug“, sagte Don Juan de Alcazar, der bislang schweigend zugehört hatte. Er lehnte an der Querbalustrade und genoß den Vorteil, daß die Männer von der Kuhl aus zu ihm aufsehen mußten. „Du giltst als der Mörder des Zolleinnehmers und würdest sofort festgenommen werden.“

      „Sehr richtig“, pflichtete Carberry bei.

      „Ed …“

      „Aye, Sir.“

      „Du bleibst an Bord! Das ist ein Befehl.“

      „Aye, aye, Sir.“ Das Zähneknirschen war unüberhörbar. Es geschah selten, daß sich der Seewolf auf diese Weise durchsetzen mußte. Aber damit erstickte er jeden Widerspruch schon im Keim.

      Hasard ließ seinen Blick über die nahezu vollzählig versammelte Mannschaft schweifen. Jeder wollte an Land – trotz der Ungewißheit, die sie erwartete. Also mußte er eine Wahl treffen: „Ich brauche Leute, die sich nicht provozieren lassen und keine Prügel anfangen. Ist das klar?“

      „Mäh“, sagte Carberry. „Natürlich.“

      Hasard kniff die Augen zusammen und musterte den Profos durchdringend.

      „Was soll das schon wieder?“ fragte er.

      „Ich bin ein Lamm“, entgegnete Carberry. „Sanft, gutmütig und liebevoll.“

      „Du bist ein Schaf“, verkündete Old Donegal. „Ein schwarzes obendrein.“

      „Neidhammel!“ erwiderte der Profos. Er dachte nicht daran, auch nur einen Finger gegen den alten Zausel zu erheben. Im Gegenteil. Er lächelte und summte eine leise Melodie, ein englisches Liebeslied, das so gar nicht zu seinem Äußeren paßte.

      „Keine unsinnigen Reden mehr“, sagte der Seewolf. „Es wird Zeit, daß wir die Jolle abfieren und den ersten Schritt zu einer vernünftigen Verständigung tun. Don Juan und Donegal, ihr übernehmt die Gespräche mit den Indern.“

      Paddy Rogers und Mac O’Higgins pullten das kleine Boot. Don Juan de Alcazar saß an der Pinne, Old Donegal kauerte im Bug und fixierte den Kai.

      Etwa zwei Dutzend Soldaten hatten inzwischen den Anlegeplatz weiträumig abgesperrt. Nun standen sie wie Statuen, und nur ihre farbenprächtigen Uniformen und das gelegentliche Aufblitzen ihrer Blankwaffen verrieten, daß sie nicht aus dunklem Stein gehauen waren.

      Old Donegal gab die Kommandos. Langsam glitt die Jolle an den Kai. Paddy Rogers sprang hinaus und belegte das Boot mit ein paar blitzschnellen Schlägen am nächsten Poller. Danach streckte er die Arme aus, um O’Flynn an Land zu helfen.

      „Ich kann das noch gut allein“, schnaubte Old Donegal. „Oder sollen die Kerle hier denken, daß sie mit einem alten Mann verhandeln?“

      Statt einer Erwiderung trat Paddy einen Schritt zurück, kreuzte die Arme vor der Brust, wie er es irgendwo von den Indern abgeschaut hatte, und verbeugte sich. Ein flüchtiger Seitenblick zeigte ihm, daß Mac krampfhaft bemüht war, sich ein Grinsen zu verbeißen.

      Old Donegals sehnige Gestalt streckte sich, und wie durch Zauberei verschwanden etliche Falten aus seinem runzligen Gesicht. Er hatte Mühe, mit seinem Holzbein voran die schmalen, von Algen überwucherten Tritte in der Kaimauer zu erklimmen, aber er ließ sich nichts anmerken.

      Dicht vor Paddy Rogers blieb er stehen und vollführte eine flüchtige Handbewegung.

      „Es ist gut. Du bewachst zusammen mit Higgy das Boot.“

      Paddy verbeugte sich abermals. Die Geste wirkte maßlos übertrieben, deshalb stieß Don Juan der ebenfalls an Land gestiegen war, den dicklichen, gutmütigen Mann an und schüttelte kaum merklich den Kopf, als Paddy ihn ansah.

      Der „Admiral“ merkte nichts davon. Er stiefelte schon auf die Soldaten zu.

      „Wir sind Engländer“, sagte er in akzentbehaftetem Portugiesisch, als sei damit alles erklärt, was es zu klären gab. „Na, dann eben nicht“, murmelte er, als eine Antwort ausblieb, und schickte sich an, zwischen den Kerlen hindurchzugehen. In den in Kainähe liegenden Gebäuden würde er zweifellos Hafenbeamte antreffen.

      Old Donegal war gerade richtig schön in Fahrt, da zuckten langschäftige Waffen hoch und versperrten ihm den Weg. Er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

      „Laßt mich durch!“ befahl er.

      Aber entweder verstanden ihn die Inder nicht, oder sie wollten ihn nicht verstehen.

      Er trat vor den nächstbesten Kerl hin und stemmte herausfordernd die Fäuste in die Hüfte.

      „Es ist ja schön, daß ihr so besorgt seid, aber mir passiert schon nichts. Ich will lediglich mit eurem Obersten sprechen, dem Hauptmann, dem Hafenkommandanten, oder wie immer er sich nennt. Also, laß mich durch! Welches Haus ist das richtige? Das mit den Säulen und den vielen Fenstern? He, hat es dir die Sprache verschlagen?“

      Als der Soldat immer noch keine Regung zeigte, legte Old Donegal die Stirn in Falten und bleckte dazu die Zähne. Der Anblick war furchterregend, konnte den tapferen indischen Krieger aber nicht erschüttern. Der Kerl blickte stur geradeaus, geradewegs durch Old O’Flynn hindurch, als sei er Luft für ihn.

      Old Donegal schnitt weitere Grimassen, doch erst als er mit beiden Händen nach dem Speer griff, wachte der Soldat urplötzlich aus seiner Starre auf und versetzte ihm einen heftigen Stoß zwischen die Rippen. Der alte Zausel wurde davon völlig überrascht.


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