Dombey und Sohn. Charles Dickens

Dombey und Sohn - Charles Dickens


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sei leicht begreiflich; und in der Tat, so dachte er auch.

      »Dein Vater ist notorisch reich, nicht wahr?« fragte Mr. Toots.

      »Ja, Sir«, antwortete Paul. »Er ist Dombey und Sohn.«

      »Und wer?« fragte Toots.

      »Und Sohn, Sir«, versetzte Paul.

      Mr. Toots machte in gedämpfter Stimme einige Versuche, die Firma seinem Gedächtnis einzuprägen, da ihm übrigens dies nicht gelang, so bemerkte er gegen Paul, er möchte ihm den Namen morgen früh wieder sagen, da er einigen Wert darauf lege. Und in der Tat sann er auf nichts Geringeres, als augenblicklich ein vertrauliches Privatschreiben von Dombey und Sohn an sich selbst abzufassen.

      Mittlerweile hatten sich die übrigen Zöglinge – den steinernen Knaben stets ausgenommen – um ihn versammelt. Sie waren sehr höflich, aber alle blassen Aussehens, sprachen nur in gedämpften Lauten und schienen geistig so niedergedrückt zu sein, daß im Vergleich mit dem allgemeinen Ton dieser Gesellschaft Master Bitherstone ein wahrer Eulenspiegel genannt werden konnte. Und doch wußte Bitherstone, wie hart man mit ihm umging.

      »Nicht wahr, du schläfst in meinem Zimmer?« fragte ein feierlicher junger Gentleman, dessen Hemdkragen bis über die Ohrläppchen hinaufstieg.

      »Master Briggs?« fragte Paul.

      »Tozer«, sagte der junge Gentleman.

      Paul antwortete mit Ja, und Tozer deutete auf den steinernen Zögling mit der Bemerkung, daß dieser Briggs sei. Paul hatte bereits die Überzeugung in sich getragen, daß derselbe entweder Briggs oder Tozer sein müsse, obschon er sich für die Stimme in seinem Innern keine Rechenschaft zu geben vermochte.

      »Hast du eine starke Konstitution?« fragte Tozer.

      Paul entgegnete, er glaube kaum. Tozer erwiderte hierauf, es komme ihm gleichfalls so vor, wenn er Paul ansah; es sei übrigens schade, denn man könne sie hier brauchen. Er fragte sodann Paul, ob Cornelia mit ihm den Anfang machen werde, und als dieser mit Ja antwortete, brachen alle jungen Gentlemen, Briggs ausgenommen, in dumpfes Stöhnen aus.

      Es wurde jedoch erstickt durch das Klingen der Metallplatte, welche jetzt ganz wütend erdröhnte, und nun fand ein allgemeiner Aufbruch nach dem Speisezimmer statt – mit Ausnahme des steinernen Knaben Briggs, welcher blieb, wo er war und wie er war. Paul bemerkte noch, wie demselben eine Schnitte Brot vornehm samt Teller und Serviette nebst einer silbernen Gabel, die quer darüber lag, vorgelegt wurde.

      Doktor Blimber befand sich bereits an seinem Platz im Speisezimmer; er saß oben an dem Tisch, während Miß Blimber und Mrs. Blimber rechts und links von ihm ihre Plätze einnahmen. Mr. Feeder in einem blauen Rocke befand sich zu unterst. Paul hatte seinen Stuhl zunächst der Miß Blimber; als er jedoch hinaufgestiegen war, zeigte sich, daß seine Augenbrauen nicht viel über dem Niveau des Tafeltuchs standen. Es wurde daher aus dem Studierzimmer des Doktors eine Anzahl Bücher herbeigeholt und er fortan stets auf diese Weise erhoben, obschon er das Material bei späteren Gelegenheiten selbst herbeischleppen mußte, wie ein Elefant seinen Turm.

      Nachdem der Doktor das Gebet gesprochen hatte, begann die Mahlzeit. Sie bestand aus etwas Suppe, gebratenem Fleisch, gesottenem Fleisch, Gemüse, einer Pastete und Käse. Jeder junge Gentleman hatte eine schwere silberne Gabel und eine Serviette; auch im übrigen waren die Einrichtungen stattlich und schön. Namentlich servierte ein Diener in blauer Livree mit blanken Knöpfen, welcher dem Tafelbier durch die stolze Art, wie er es einschenkte, eine wahrhafte Weinblume verlieh.

      Niemand sprach, ohne angeredet zu werden. Doktor Blimber, Mrs. Blimber und Miß Blimber ausgenommen, welche gelegentlich eine Unterhaltung anknüpften. So oft übrigens einer der jungen Gentlemen nicht tatsächlich mit seinem Messer, seiner Gabel oder seinem Löffel beschäftigt war, suchte sein Blick, wie infolge unwiderstehlicher Anziehung, das Auge von Doktor Blimber, Mrs. Blimber oder Miß Blimber, wo er bescheiden haften blieb. Nur Toots schien eine Ausnahme von dieser Regel zu machen. Er hatte auf der Seite, wo Paul saß, seinen Platz zunächst neben Mr. Feeder und schaute oft hinter oder vor der dazwischenliegenden Knabenreihe hin, um sich unsern Paul zu betrachten.

      Nur einmal während der Mahlzeit fand eine Unterhaltung statt, an der sich auch die jungen Gentlemen beteiligen konnten. Sie fiel in die Epoche des Käses; denn nachdem der Doktor ein Glas Portwein genommen hatte, räusperte er sich etlichemal und begann:

      »Es ist merkwürdig, Mr. Feeder, daß die Römer –«

      Bei Erwähnung dieses schrecklichen Volks, ihrer unversöhnlichen Feinde, hefteten sämtliche jungen Gentlemen mit dem Anschein des tiefsten Interesses ihre Blicke auf den Doktor. Einer darunter, welcher eben trank und durch die Wandung des Glases das Auge des Doktors sah, welches ihn scharf fixierte, hörte so plötzlich auf, daß er für einige Augenblicke zu ersticken drohte und in der Folge den Faden von Doktor Blimbers Vortrag völlig verwirrte.

      »Es ist merkwürdig, Mr. Feeder«, nahm der Doktor langsam wieder auf, »daß die Römer bei jenen prunkvollen und schlemmerischen Mahlzeiten, von denen wir aus den Tagen der Kaiser lesen, als die Üppigkeit eine vor- oder nachher nie mehr bekannte Höhe erreicht hatte, und als ganze Provinzen verwüstet wurden, um ein einziges kaiserliches Bankett mit allem nur erdenklichen gaumenkitzelnden Material zu versehen – –«

      Hier brach der kleine Verbrecher, welcher fortwährend den Krampf hinunterzuwürgen versucht hatte, in ein ungestümes Husten aus.

      »Johnson«, sagte Feeder mit gedämpfter vorwurfsvoller Stimme, »nehmt etwas Wasser.«

      Der Doktor machte eine finstere Miene, hielt inne, bis das Wasser gebracht wurde, und hub dann wieder an:

      »Und als, Mr. Feeder –«

      Aber Mr. Feeder, welcher bemerkte, daß Johnson mit einem neuen Ausbruch bedroht war, wußte wohl, daß der Doktor wegen des jungen Gentleman nicht zum Schluß seiner Rede kommen konnte, und verwandte deshalb seine Blicke nicht von dem letzteren. So fügte sich's dann, daß der Doktor seinen Gehilfen über der Tat ertappte, wie er ihn nicht ansah, und hielt deshalb inne.

      »Ich bitte um Verzeihung, Sir«, sagte Mr. Feeder errötend. »Ich bitte um Verzeihung, Doktor Blimber.«

      »Und als«, fuhr der Doktor mit erhöhter Stimme fort, »als, Sir, wie wir lesen, ohne daß wir einen Grund zum Zweifeln dafür fänden, so unglaublich es auch unsern ordinären Zeiten erscheinen mag – der Bruder des Vitellius demselben ein Fest bereitete, bei welchem Fische aufgetragen wurden in zweitausend Gerichten – –«

      »Nehmt etwas Wasser, Johnson – Gerichten, Sir«, sagte Mr. Feeder.

      »Fünftausend Schüsseln mit den verschiedenartigsten Vögeln –«

      »Oder versucht's mit einem Bissen Brot«, sagte Mr. Feeder.

      »Und eine Schüssel«, fuhr Doktor Blimber fort, indem er seine Stimme noch mehr erhob und sich am ganzen Tisch umsah, »die wegen ihres ungeheuern Umfangs den Namen Schild der Minerva führte, angefüllt unter andern kostbaren Ingredienzen mit dem Gehirn von Fasanen –«

      »Kwh, kwh, kwh«, ertönte es von Johnson.

      »Schnepfen –«

      »Kwh, kwh, kwh.«

      »Den Schwimmblasen der Fische, Scari genannt –«

      »Es wird Euch in Eurem Kopf eine Ader springen«, sagte Mr. Feeder. »Tut Euch lieber keinen Zwang an.«

      »Und dem Rogen der Lamprete, von dem karpathischen Meer hergeholt«, fuhr der Doktor in seiner strengsten Stimme fort; »wenn wir von solchen kostbaren Mahlzeiten lesen und uns dabei erinnern, daß wir einen Titus haben –«

      »Wie würde Eure Mutter jammern, wenn Ihr an einem Schlagfluß stürbet!« sagte Mr. Feeder.

      »Einen Domitian –«

      »Ihr seid ja ganz blau«, sagte Mr. Feeder.

      »Einen Nero, einen Tiberius, einen Caligula, einen Heliogabalus und noch viele andere«, fügte der Doktor hinzu, »so ist es, Mr. Feeder – wenn Ihr mir die Ehre


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