Theorie U - Von der Zukunft her führen. C. Otto Scharmer
Strom vereinen und dass ein Bauer seinen Pflug einsetzt, um den Boden unseres Planeten zu kultivieren (was ich bei meinen Eltern ihr Leben lang beobachtet habe).
Im Zentrum der Zeichnung liegt das soziale Feld. Mein Job (und der Job aller Führenden, »Movement-Builder« und Erdenbürger) besteht darin, den Boden des sozialen Feldes zu kultivieren. Doch wie stellen wir das an? Was ist das funktionale Gegenstück zum Pflug des Landwirts?
Der Acker des Bauernhofs wird mit dem Pflug bestellt. Doch was kultiviert den Boden des sozialen Feldes? Es ist die Fähigkeit, die Kamera umzudrehen und in den Spiegel der Gemeinschaft zu schauen – die Fähigkeit, sich selbst aus der Perspektive des Ganzen zu sehen. Dieser entscheidende Einstiegspunkt ist zwischen dem Bauern und dem Anfang der U-Form wiedergegeben.
Auf der rechten Seite des Bildes sieht man einen Pfeil mit der Beschriftung »unfolding future«, im Entstehen begriffene Zukunft. Die Existenz eines Zukunftsfeldes ist nicht nur eine Erweiterung unserer früheren Handlungen. Tatsächlich hat sie nichts mit einer Erweiterung der Vergangenheit zu tun. Es ist ein Feld des künftig Möglichen, das Möglichkeiten im Hier und Jetzt eröffnet. So jedenfalls fühlt es sich an, und deshalb lautet der Untertitel dieses Buches im englischen Original Leading from the Future as It Emerges: Von der (im Entstehen begriffenen) Zukunft her führen.
Erdaufgang
Unser Gefühl für künftige Möglichkeiten ist sehr häufig vage und amorph. Wir können die Zukunft spüren, aber wir können sie nicht sehen und nicht genau beschreiben. Dennoch ist die Echtzeitverbindung zu diesem Raum die Lebensader, die uns den Weg weist. Bild 7, das eine globale U.School Ecology-Versammlung im Sommer 2015 in Berlin einfängt, stellt diese Situation wunderbar dar. Wir nutzten dieses Treffen, um den U.Lab-MOOC-Prototyp zu verstehen und um die Intention für das weitere Vorgehen zu bestimmen.
Ich bin auf einem Bauernhof groß geworden und erinnere mich noch immer daran, wie sich der Frühling anfühlte. An einem Tag schaust du auf ein Feld und siehst nichts, und am nächsten Tag ist dasselbe Feld plötzlich mit Keimlingen bedeckt, die gerade durch den Boden gebrochen sind. So hat sich der Start des U.Lab-MOOC für mich angefühlt. Vor 2015 war ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen emsig mit einer Vielzahl von Projekten und Programmen auf der ganzen Welt beschäftigt. Doch waren sie auch miteinander verbunden? Nicht wirklich.
Dann, während des Starts des U.Lab-MOOC, geschah etwas. Katie, eine U.Lab-Hub-Veranstalterin aus Australien, drückte es folgendermaßen aus: »Es fühlte sich an, als ob etwas umgestülpt würde. Etwas, das vorher nicht sichtbar war, tauchte plötzlich auf und wurde für alle sichtbar, ein vibrierendes Feld von Verbindungen zwischen Menschen, Zirkeln und Initiativen – von Kopf zu Herz, Herz zu Kopf und Herz zu Hand, es war alles da!«
Wir lernten, dass es möglich ist, zwei Elemente auf neue Weise zu verbinden: a) eine massive Demokratisierung des Zugangs zu freier Bildung, Methoden und Tools und b) die Aktivierung eines tiefen Lernzyklus, der einen Bewusstseinswandel durch konkrete Projekte und lokale Arbeit kombiniert. Da MOOCs fast keine Kosten verursachen, bietet diese Mischung beispiellose Möglichkeiten, um weltweit an vielen Orten zugleich zu wirken und einen kollektiven Wandel anzustoßen, der auf der Kultivierung der inneren Quellorte beruht, von denen aus wir handeln.
Bild 8 zeigt die »Fußabdrücke« und die Essenz dieser U.School Ecology-Versammlung in Berlin:
Links:Woher wir kommen.
Mitte:Unsere derzeitige Arbeit der Kultivierung des sozialen Bodens.
Rechts: Wohin wir gehen, eine Sphäre des Möglichen – Erdaufgang.
Social-Presencing-Theater
Während Bild 1 den Abgrund zeigt, vor dem wir gemeinsam stehen, bevor wir ihn überqueren, gewähren Bild 6 und Bild 8 einen Blick auf den laufenden Prozess – und auf das, was jetzt im Entstehen begriffen ist, auf eine Welt im Werden – die aufgehende Erde …
Der Unterschied zwischen diesen Perspektiven fasst den Wandel zusammen, der sich zwischen damals (1996, als ich anfing, dieses Buch zu schreiben) und jetzt (2020) vollzogen hat. Dieser Wandel betrifft nicht nur den Aufstieg von Achtsamkeit, Disruption, Absencing, Inversion und sozialen Feldern – diese ganzen Beobachtungen sind lediglich Hinweise. Worauf weisen sie hin?
Sie verweisen auf eine größere Fähigkeit, sich mit den tieferen Quellen unseres Wissens zu verbinden, nicht nur auf individueller, sondern auch auf kollektiver Ebene. Der Beitrag dieses Buches besteht darin, dass es
•mit der Matrix der sozialen Evolution (Tabelle V.1) den Bezugsrahmen eines im Bewusstsein gründenden systemischen Wandels beschreibt und
•einen Weg eröffnet oder eine »soziale Technik« vorstellt, die uns ermöglicht, über die Grenzen einzelner Teilbereiche hinauszugehen und vom gesamten Spektrum der Matrix aus zu handeln.
Diese Methode und die Tools in Form von Prinzipien und Übungen werden im abschließenden Teil III besprochen und aktualisiert.
Einer der wichtigsten Fortschritte, die wir in Bezug auf die Methoden gemacht haben, betrifft das Social-Presencing-Theater. Unter der Leitung meiner Kollegin und Mitbegründerin des Presencing Institute, Arawana Hayashi, haben wir das Social-Presencing-Theater von einer reinen Idee zu einer wirkungsvollen Methodik entwickelt, die von immer mehr Praktikern in vielen unterschiedlichen Formen und zu verschiedensten Zwecken genutzt wird. Sie können mehr darüber erfahren, wenn Sie sich dem U.Lab anschließen2 oder die Website des Presencing Institute3 besuchen.
Das Social-Presencing-Theater ist sehr wichtig für unsere praktische Arbeit (siehe zum Beispiel die neueren Fallstudien, die weiter unten in diesem Vorwort zusammengefasst sind), da es das System dazu bringt, sich selbst schnell und tief auf vielfältige Weise zu spüren und zu sehen, und eine konkrete Sprache für die tiefere, evolutionäre Dynamik des Feldes bietet.
Reintegration von Geist und Materie
Drei Metanarrative durchziehen dieses Buch – und mein Leben:
•Das erste ist der Feldgang: Als ich aufwuchs, machten meine Eltern sonntags häufig einen Spaziergang mit mir und meinen Geschwistern über die Felder und Äcker unseres Hofes. Dieses Buch handelt von einem Gang durch das soziale Feld, bei dem wir – wie damals auf dem Bauernhof – den Zustand des Bodens erforschen.
•Das zweite Metanarrativ ist die Wiedervereinigung von Geist und Materie: In Kapitel 3 erzähle ich eine Geschichte über Meister Nan in China, der behauptete, dass es nur ein wirkliches Problem in der Welt gebe: die Wiedervereinigung von Geist und Materie. Dieses Buch untersucht diese Frage: Wenn die Probleme, die wir auf der Oberfläche sehen können (die drei Klüfte), das Ergebnis einer Spaltung auf einer wesentlich tieferen Ebene sind, wie können wir sie wieder zusammenbringen? Können wir tatsächlich »Geist« und »Materie« im Kontext kollektiver sozialer Felder wieder miteinander verbinden?
•Das dritte Metanarrativ ist die Geschichte des Feuers in Kapitel 1: Es ist die Geschichte eines einschneidenden