Andreas Dresen. Hans-Dieter Schütt
Leipzig, eine beeindruckende Freilichtbühne, waren zweitausend Tickets verkauft, draußen saßen weitere zweihundert Leute auf dem Erdboden, die nicht mehr reingekommen waren, und ich spürte irgendwie den Umschlag: Bisher waren wir ein paar Typen, die gern Musik machten – nun sind wir tatsächlich eine Band. Wir spielen nicht mehr einfach nur die Songs – wir leben die Musik zusammen. Das Publikum nimmt uns an, es bringt uns nicht um, und die Aufregung, die freilich nie nachlässt, gehört selbstverständlich dazu. Ich selber bleibe freilich Dilettant, und dieses Eingeständnis ist jetzt hoffentlich keine Antiwerbung.
Im Gegenteil! Im Dilettanten, so schrieb der Feuilletonist Egon Friedell, vereinen sich Mensch und Künstler.
Schön! Denn ich bin kein Sänger, ein professioneller Musiker schon gar nicht. Jürgen Ehle von »Pankow« ist neben unserem Schlagzeuger der einzige erfahrene Profi. Er ist wirklich ein musikalisches Genie. Ich bin schon immer zu vielen Pankow-Konzerten gepilgert und jetzt darf ich mit ihm auf der Bühne stehen. Wahnsinn! Bei uns anderen gibt es die Liebe zur Musik, die Freude an Probe oder Auftritt, den Spaß miteinander. Wir spielen, aber es gibt nichts Gespieltes. Es ist so diese Eins-zu-eins-Wirkung. Auch wenn die Eintrittskarten Geld kosten: Wir haben hauptsächlich was zu verschenken, diese Liebe, diese Freude, diesen Spaß. Und alles strahlt – das merken wir bei den Konzerten – aus dem Publikum zurück auf die Bühne.
Sie sprechen darüber, als seien Sie noch immer etwas ungläubig, ja erschrocken über diesen Erfolg.
Bin ich auch. Ich denke an den Festsaal in Berlin-Kreuzberg, ein wunderbarer großer Konzertsaal, aber die Bühne einladend intim, da spielen gewöhnlich die Angesagten der Szene, und plötzlich tauchen wir da auf, das ehemalige Westberlin ist ja schließlich nicht das Kesselhaus in der heimischen Kulturbrauerei. Vor Beginn schauten wir heimlich hinunter in den Saal – o Gott, tausend Leute. Oder Köln-Bonn – volle Hütte! Das Hamburger Schauspielhaus, das größte deutsche Sprechtheater – volles Haus! Natürlich spielte da auch eine Rolle, dass Alex auf dieser Bühne als Schauspieler gleichsam zu Hause ist. Die einen reisen uns inzwischen nach, die anderen haben Lust auf eine Überraschung, sie haben noch nie etwas von Gundermann gehört. Perspektivisch ist es natürlich an der Zeit, dass wir nicht mehr nur eine Cover-Band sind. Gundermann-Lieder bleiben zwar die Basis, das ist unsere Wurzel, aus der heraus wir »grünen«, aber es soll auch eigene Songs geben. Der Zeitpunkt ist der richtige, denn wir haben durch »Gundermann« ein Publikum, also fangen wir nicht bei Null an, wenn wir das Programm aufmischen und verändern. Es ist, als führe man ein zweites Leben.
Und wer schreibt die Lieder? Sie?
Kann sein, so richtig rangetraut habe ich mich bisher allerdings noch nicht, gerade bei Poesie steht man doch ganz schön nackt da. Aber Jürgen Ehle kann das natürlich, und Alexander kokettiert immer: Er sei Schauspieler, er könne nur mit fremden Texten umgehen – ich glaube ihm das nicht, mal sehen. Außerdem haben wir Freunde, die vielleicht helfen könnten, Gisbert zu Knyphausen oder Hans-Eckardt Wenzel. Auch von Lutz Kerschowski weiß ich, dass er noch einiges in der Schublade hat. Diese Poesie-Profis frage ich immer, wenn wir uns treffen: Wie macht ihr das? Das Songschreiben ist für mich ein Mysterium.
Der Regisseur plötzlich in besonderer Weise im Rampenlicht – wie ist das?
Das Ganze hat auch seine Härte: Du stehst hinterm Vorhang und weißt: Jetzt geht’s raus!, du musst liefern!
Das heißt, Sie müssen eine Schamgrenze überwinden, ehe Sie ins Scheinwerferlicht gehen?
Ja.
Der Mann hinter der Kamera erfühlt plötzlich, wie es einem Schauspieler ergeht. Der unmittelbar vor Beginn einer Theateraufführung vielleicht denkt: Ich kann nicht! Es geht nicht! Weil ihm blitzartig das Widernatürliche des nächsten Schritts bewusst wird, nämlich: wie er mit dem Exhibitionismus des Spiels die eigene Scham vergewaltigt und alle natürliche Hemmung missachtet, zerstört.
Genau. Ein unglaublicher Moment der Erregung. Man denkt: Noch kannst du weglaufen! Du kannst natürlich überhaupt nicht weglaufen. Irgendwie bist du supernervös und starr zugleich. Es gibt einen Satz von Alex über seine Theaterarbeit: Das Stück muss mich spielen, nicht ich das Stück. Das heißt: Man bereitet sich vor, um zu vergessen; man baut sich Halterungen in den Stoff und in den Text hinein, um dann aber, beim Spiel, alle Haltegriffe loszulassen. Die Physis geht in Automatik über. Das geht einem im besten Fall auch bei Konzerten so: Du bist plötzlich im Modus des Autopiloten.
Dies Ungeheuerliche ist einem Nicht-Schauspieler wahrscheinlich nur mit einem absurden Vergleich nahezubringen: Es ist, als springe unsereins nachts halb zwölf auf den Tisch einer voll besetzten Kneipe und brülle laut: He, hört mal alle her! Diese anmaßende Sekunde muss man sich vorstellen: auf den Tisch zu springen und um Gehör zu bitten – und womöglich gar nichts sagen zu wollen! Plötzlich stehst du auf dem Tisch, weltallseelenallein …
Das ist tatsächlich der gefährliche Schwellenpunkt des Schauspielerberufes. Ja, es gibt diesen Sekundenbruchteil vorm ersten Schritt auf die Bühne oder auch beim Gang vor die Kamera, da man von schrecklicher Wahrheit angeweht werden kann: dem Bewusstsein für diese Blöße vor vielen fremden Blicken. Dieses: Was machst du hier eigentlich?! Aber so plötzlich, wie der Schreck kam, geht er wieder: Das Spiel beginnt.
Und wenn der Schreck irgendwann mal, auf offener Szene gar, wiederkehrt?
Müssen Hirn und Nervensystem des Schauspielers eine Hochleistung der sofortigen Verdrängung vollbringen. Und natürlich muss beim Schauspieler letztlich das andere Gen gut ausgebildet sein und zu jeder Zeit verlässlich siegen: jenes Gen, das selbstbewusst an die Rampe drängt und das dafür sorgt, die eigene Körperlichkeit auch als etwas Kostbares zu empfinden – etwas Kostbares, das Öffentlichkeit nicht nur aushält, sondern Öffentlichkeit geradezu bildet.
Am Ende bleibt dein Schicksal des nackte Gesicht, und dafür darfst du doch wenigstens ein bisschen Liebe erwarten. So sagt es Henry Hübchen als seelenbrüchiger, alkoholporöser Schauspieler in »Whisky mit Wodka«.
Das ist nun freilich, um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen, überhaupt nicht mit meinen kleinen Auftritten in der Band zu vergleichen. Außerdem bin ich – wie ein Schauspieler meist auch – nicht allein auf der Bühne. Man trägt seinen Teil – und wird getragen.
Etwa von Alexander Scheer.
Alex ist in der Band der Anziehungspunkt, wie es vorher lange Zeit Axel war.
Axel Prahl spielt nicht mehr mit?
Er hat sein Inselorchester und ist damit ausgelastet. Es wurde ihm einfach alles zu viel.
Scheer ist der Unverblümte, der Überdosierte.
Alex rast am liebsten auf das Publikum zu, wie Mick Jagger. Wir spielen auch einen Song von David Bowie, da geht Alex auch ungeheuer auf, es ist seine Rolle in »Lazarus« am Hamburger Schauspielhaus. Er ist wirklich das, was man einen Frontmann nennt. Axel Prahl war auch zentral, aber er saß ruhig wie ein Seebär. Das war auf seine Weise auch wunderbar. Alex ist ganz anders, er geht auf Jagd, er holt ab. Ich selber stehe links außen, bin der Stille, kontrolliere ein bisschen die Abläufe, kann in Momenten geringerer Beschäftigung auch mal entspannt in den Saal schauen und mich daran erfreuen, wie jung das Publikum teilweise ist.
Andreas Dresen am roten Teppich in Hollywood, 2019
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