David Copperfield. Charles Dickens

David Copperfield - Charles Dickens


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das sein müss­te, und was das für eine fei­ne Fes­tung ab­ge­ben wür­de, wenn ein an­de­rer Jun­ge die Trep­pen her­auf­käme zum An­griff, und man könn­te ihm das Samt­kis­sen mit den Trod­deln auf den Kopf schmei­ßen. Und wenn sich nach und nach mei­ne Au­gen schlie­ßen, und ich an­fangs den Geist­li­chen in der Hit­ze noch ein schläf­ri­ges Lied sin­gen höre, ver­neh­me ich bald gar nichts mehr. Dann fal­le ich mit ei­nem Krach vom Sit­ze und wer­de mehr tot als le­ben­dig von Peg­got­ty hin­aus­ge­tra­gen.

      Und dann wie­der sehe ich die Au­ßen­sei­te un­se­res Hau­ses, und die Fens­ter­lä­den des Schlaf­zim­mers ste­hen of­fen, da­mit die wür­zi­ge Luft hin­ein­strö­men kann, und im Hin­ter­grund des Haupt­gar­tens hän­gen in den ho­hen Ul­men die zer­zaus­ten Krä­hen­nes­ter. Jetzt bin ich in dem Gar­ten hin­ter dem Hof mit dem lee­ren Tau­ben­schlag und der Hun­de­hüt­te – ein wah­rer Park für Schmet­ter­lin­ge – mit sei­nem ho­hen Zaun und sei­ner Türe mit Vor­häng­sch­lös­sern, und das Obst hängt dick an den Bäu­men, rei­fer und rei­cher als in ir­gend­ei­nem an­de­ren Gar­ten, und mei­ne Mut­ter pflückt die Früch­te in ein Körb­chen, wäh­rend ich da­bei­ste­he und heim­lich ein paar ab­ge­zwick­te Sta­chel­bee­ren rasch in den Mund ste­cke und mich be­mü­he, un­be­tei­ligt aus­zu­se­hen.

      Ein star­ker Wind er­hebt sich, und im Handum­dre­hen ist der Som­mer weg. Wir spie­len im Win­ter­zwie­licht und tan­zen in der Stu­be her­um. Wenn mei­ne Mut­ter au­ßer Atem ist und im Lehn­stuhl aus­ruht, sehe ich ihr zu, wie sie ihre glän­zen­den Lo­cken um die Fin­ger wi­ckelt und sich das Leib­chen glatt zieht, und nie­mand weiß so gut wie ich, dass sie sich freut, so gut aus­zu­se­hen, und stolz ist, so hübsch zu sein.

      Das sind so ei­ni­ge von mei­nen frü­he­s­ten Ein­drücken. Das und ein Ge­fühl, dass wir bei­de ein biss­chen Angst hat­ten vor Peg­got­ty und uns in den meis­ten Fäl­len ih­ren An­ord­nun­gen füg­ten, ge­hört zu den ers­ten Schlüs­sen, – wenn ich so sa­gen darf, – die ich aus dem zog, was ich sah.

      Peg­got­ty und ich sa­ßen ei­nes Abends al­lein in der Wohn­stu­be vor dem Ka­min. Ich hat­te Peg­got­ty von Kro­ko­di­len vor­ge­le­sen. Ich muss wohl kaum sehr deut­lich ge­le­sen ha­ben, oder die arme See­le muss in tie­fen Ge­dan­ken ge­we­sen sein, denn ich er­in­ne­re mich, als ich fer­tig war, hat­te sie so eine Idee, Kro­ko­di­le wä­ren eine Art Ge­mü­se. Ich war vom Le­sen müde und sehr schläf­rig, aber da ich die be­son­de­re Er­laub­nis be­kom­men hat­te, auf­zu­blei­ben, bis mei­ne Mut­ter von ei­nem Be­such nach Hau­se käme, wäre ich na­tür­lich lie­ber auf mei­nem Pos­ten ge­stor­ben als zu Bett ge­gan­gen. Ich war be­reits auf ei­nem Sta­di­um von Schläf­rig­keit an­ge­kom­men, wo Peg­got­ty mir im­mer grö­ßer und grö­ßer zu wer­den schi­en. Ich hielt mei­ne Au­gen mit den bei­den Zei­ge­fin­gern of­fen und sah sie un­un­ter­bro­chen an, wie sie auf ih­rem Stuh­le saß und ar­bei­te­te, be­trach­te­te dann das klei­ne Stück­chen Wachs­licht, mit dem sie ih­ren Zwirn wichs­te – wie alt es aus­sah mit sei­nen Run­zeln kreuz und quer –, das Hütt­chen mit dem Stroh­dach, worin das El­len­maß wohn­te, das Ar­beits­käst­chen mit dem Schie­be­de­ckel und ei­ner An­sicht dar­auf von der St.-Pauls-Kir­che mit ei­ner pur­pur­ro­ten Kup­pel, den mes­sing­nen Fin­ger­hut und sie selbst, die mir un­ge­mein schön vor­kam. Ich war so müde, dass ich fühl­te, ich wür­de ein­schla­fen, wenn ich nur einen Au­gen­blick mei­ne Au­gen ab­wen­de­te.

      »Peg­got­ty«, sag­te ich dann plötz­lich: »Bist du ein­mal ver­hei­ra­tet ge­we­sen?«

      »Herr Gott, Mas­ter Davy!« er­wi­der­te Peg­got­ty, »wie kommst du nur aufs Hei­ra­ten?«

      Sie ant­wor­te­te so über­rascht, dass ich ganz wach wur­de. Dann hielt sie inne in ih­rer Ar­beit und sah mich an, den Fa­den in sei­ner gan­zen Län­ge straff­ge­zo­gen.

      »Aber du warst doch ein­mal ver­hei­ra­tet, Peg­got­ty?« frag­te ich. »Du bist doch wun­der­schön, nicht wahr?« Ich hielt sie al­ler­dings für eine an­de­re Stilart als mei­ne Mut­ter, aber nach ei­ner an­de­ren Schu­le von Schön­heits­be­griff ge­se­hen, kam sie mir als voll­kom­me­nes Mus­ter vor. In un­serm Empfangs­zim­mer war ein rot­sam­te­nes Fuß­bänk­chen, auf das mei­ne Mut­ter einen Blu­men­strauß ge­malt hat­te. Die­ser Samt und Peg­got­tys Haut schie­nen mir ganz gleich. Die Fuß­bank war glatt und weich und Peg­got­ty rau, aber das mach­te kei­nen Un­ter­schied.

      »Ich, schön, Davy!« sag­te Peg­got­ty. »O Gott, nein, mein lie­bes Kind. Aber wie kommst du aufs Hei­ra­ten?«

      »Ich weiß nicht. – Du darfst nicht mehr als einen auf ein­mal hei­ra­ten, nicht wahr, Peg­got­ty?«

      »Ge­wiss nicht«, sag­te Peg­got­ty mit größ­ter Ent­schie­den­heit.

      »Aber wenn du einen Mann hei­ra­test und er stirbt, dann geht’s, nicht wahr, Peg­got­ty?«

      »Es geht schon, wenn man will, lie­bes Kind«, sag­te Peg­got­ty. »Das ist dann eben mei­ne Sa­che.«

      »Aber was ist dei­ne Mei­nung«, frag­te ich.

      Bei die­ser Fra­ge blick­te ich sie neu­gie­rig an, weil sie mich so selt­sam mus­ter­te.

      »Mei­ne Mei­nung ist«, sag­te Peg­got­ty, als sie nach kur­z­em Zö­gern ihre Au­gen von mir ab­ge­wen­det und wie­der zu ar­bei­ten be­gon­nen hat­te, »dass ich selbst nie­mals ver­hei­ra­tet ge­we­sen bin, Mas­ter Davy, und dass ich auch nicht dar­an den­ke. Das ist al­les, was ich von der Sa­che weiß.«

      »Du bist doch nicht böse, Peg­got­ty?« frag­te ich, nach­dem ich eine Wei­le still ge­we­sen.

      Ich glaub­te es wirk­lich, so kurz hat­te sie mich ab­ge­fer­tigt, muss­te aber wohl im Irr­tum sein, denn sie leg­te ihr Strick­zeug weg, öff­ne­te ihre Arme, nahm mei­nen lo­cki­gen Kopf und drück­te mich fest an sich. Dass sie mich derb an sich press­te, wuss­te ich, denn da sie sehr be­leibt war, so pfleg­ten stets, wenn sie an­ge­klei­det war, bei je­der klei­nen An­stren­gung ein paar Knöp­fe hin­ten an ih­rem Kleid ab­zu­sprin­gen. Und ich er­in­ne­re mich, dass zwei Stück in die ent­ge­gen­ge­setz­te Zim­me­r­e­cke flo­gen, als sie mich um­arm­te.

      »Nun lies mir noch et­was von den Kror­king­di­len vor«, sag­te Peg­got­ty, die in die­sem Na­men noch nicht recht sat­tel­fest war, »ich habe noch lan­ge nicht ge­nug von ih­nen ge­hört.«

      Ich konn­te nicht be­grei­fen, warum Peg­got­ty so wun­der­li­che Au­gen mach­te und durch­aus wie­der von den Kro­ko­di­len hö­ren woll­te. Mit großem Ei­fer mei­ner­seits kehr­ten wir je­doch wie­der zu den Un­ge­heu­ern zu­rück und lie­ßen die Son­ne ihre Eier im San­de aus­brü­ten, ris­sen vor ih­nen aus und ent­ran­nen ih­nen durch plötz­li­ches Um­keh­ren, was sie ih­res un­ge­schlach­ten Bau­es we­gen nicht so rasch nach­ma­chen konn­ten, ver­folg­ten sie als Ein­ge­bo­re­ne ins Was­ser und steck­ten ih­nen scharf­ge­spitz­te Holz­stücke in den Ra­chen, kurz, lie­ßen sie förm­lich Spieß­ru­ten lau­fen. Ich we­nigs­tens tat es, hat­te aber be­treffs Peg­got­tys so mei­ne Zwei­fel, denn ich sah, wie sie sich die gan­ze Zeit über in Ge­dan­ken ver­sun­ken mit der Na­del in ver­schie­de­ne Tei­le ih­res Ge­sichts und ih­rer Arme stach. Wir hat­ten end­lich die Kro­ko­di­le er­schöpft und be­gan­nen eben mit den Al­li­ga­to­ren, als die Gar­ten­glo­cke läu­te­te. Wir gin­gen hin­aus und fan­den da mei­ne Mut­ter, die mir un­ge­wöhn­lich hübsch vor­kam, und bei ihr stand ein Herr mit schö­nem, schwar­zem Haar und Ba­cken­bart, der


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