Genossen!. Jodi Dean
sein wollen, und eben kein Ich-Ideal beziehungsweise Blickwinkel, aus dem heraus wir uns einschätzen. In dieser Hinsicht spiegelt allyship den Rückzug oder Niedergang des Politischen. Der Raum für Politik ist geschrumpft, doch der Unterstützer verspürt das Bedürfnis zu handeln, unbedingt, dringend und sofort. Unterstützer beeinflussen das, was greifbar ist, dort, wo es greifbar ist: sich selbst, in den sozialen Medien.
Dieser Bewusstwerdungsprozess übernimmt eine zentrale Forderung des kommunikativen Kapitalismus: Bilde dich. Google es. Behellige die Benachteiligten nicht mit deinen Fragen. Das Online-Magazin Everyday Feminism listet zehn Dinge auf, die Unterstützer wissen müssten. Der fünfte Punkt auf dieser Liste lautet: »Unterstützer bilden sich kontinuierlich fort.« Zur Erläuterung heißt es:
Eine der wichtigsten Bildungsarten ist das Zuhören […] aber es gibt unendlich viele Hilfsmittel, die Sie beim Lernen unterstützen (Bücher, Blogs, Fernseh- und Radiosender, Veranstaltungen, YouTube-Videos usw.). Erwarten Sie aber bitte nicht, dass diejenigen, die Sie unterstützen wollen, Ihnen etwas beibringen. Das liegt nicht in ihrer Verantwortung. Natürlich sollten Sie ihnen zuhören, wenn sie einen Teil ihrer Erfahrungen oder Ansichten teilen, aber glauben Sie nicht, sie müssten Ihnen die Mechanismen ihrer Benachteiligung erklären.41
Dieser eigenverantwortliche Bildungsprozess isoliert und individualisiert. Lernen wird begriffen als Konsumption von Informationen – anstatt als Diskussion, als Erarbeitung eines gemeinsamen Verständnisses, als Auseinandersetzung mit den Texten und Dokumenten einer politischen Tradition. Das eigenverantwortliche Lernen hat keinen Bezug zu kollektiv geübter Kritik und ist losgelöst von politischen Positionen oder Zielen. Kriterien, mit denen man Bücher und Blogs, Veranstaltungen und Videos beurteilen könnte, fehlen. Solche Kriterien zu entwickeln obliegt allein dem einzelnen Unterstützer. Das heißt im Grunde: Strafe ohne Disziplin. Der Möchtegern-Unterstützer kann gescholten und bloßgestellt werden, wobei der Kritiker jeder Verantwortung enthoben ist, eine konkrete Anleitung und Unterweisung zu liefern. (Jemandem einfach »Google es doch!« an den Kopf zu knallen, nützt gar nichts.) Bedenkt man zudem, dass »Unterstützer« keine Anrede ist und nicht an die Stelle von »Herr«, »Frau«, »Dr.« oder »Prof.« treten kann, dann scheint das Wort »Unterstützer« weniger Solidarität auszudrücken, als vielmehr eine Grenze zu ziehen, die besagt, dass man nie dazugehören wird. Die Beziehung zwischen Unterstützern und den Menschen, die sie unterstützen, ist ein Verhältnis zwischen Menschen mit verschiedenen Interessen, Erfahrungen und Praktiken.
Der achte Punkt der Liste dessen, was Unterstützer wissen müssen, lautet: »Unterstützer wenden sich an Menschen ihrer Identität«, ihrer Gruppe. »Neben dem Zuhören kann ich mich am besten solidarisch zeigen, indem ich die Menschen meiner Identitätsgruppe sensibilisiere.«42 Identität erscheint hier als klar und feststehend, unzweideutig und unveränderbar. Individuen sind demnach wie kleine souveräne Staaten, die ihr Territorium verteidigen und sich nur unter der Maßgabe höchster Vorsicht und Eigennützigkeit zusammenschließen. Wer einer gemeinsamen Identität zugeordnet ist, dem wird eine gemeinsame Politik unterstellt – als läge die Identität auf der Hand und als müsste Politik nicht erst hergestellt werden. Wer für eine Politik eintritt, deren Grundlage nicht leichthin der eigenen Identität zugeordnet werden kann, erscheint verdächtig, wird wegen seiner mutmaßlichen Privilegien misstrauisch beäugt und erntet von vornherein Kritik an den zahlreichen Missständen, auf denen diese Privilegien fußen. Das Konzept der allyship selbst bietet Grund für dieses Misstrauen, gegen das Ratgeber à la »Wie werde ich ein besserer Mensch« angeblich anschreiben: Tatsächlich ist es sinnvoll, Menschen zu misstrauen, die Politik lediglich als unmittelbare Genugtuung begreifen, als individualisierten Notbehelf für sehr alte Formen struktureller Benachteiligung und Unterdrückung. Weil Unterstützer sich unter eigennützigen Maßgaben zusammenschließen, können sie sich jederzeit einfach zurückziehen und aussteigen, uns im Stich lassen. Wir können ihrer nicht sicher sein, denn ihr Engagement steht und fällt mit individuellen Einsichten und Befindlichkeiten. Punkt acht in dem Artikel (»Unterstützer wenden sich an Menschen ihrer Identität«) verrät uns, warum das Unterstützerkonzept in linksliberalen Kreisen so gut ankommt. Das Misstrauen gegenüber anderen Identitäten gilt nun auf einmal als funktional und vorteilhaft, und zwar namens einer Politik, die unser ganz besonderes und angreifbares Eigentum – die Identität – aufrechterhält und reguliert und dessen ebenso schwache wie poröse Grenzbereiche aufpoliert. Das Unterstützungskonzept lenkt ab: von der furchteinflößenden Prüfung, sich für eine Seite zu entscheiden; vom Hinnehmen der Disziplin, die mit kollektiver Arbeit einhergeht; von den Organisationsbestrebungen zur Abschaffung des rassistisch-patriarchalen Kapitalismus und eines Staates, der zu dessen Schutze konzipiert ist.
Anstatt also politische Identitäten zu verbinden oder eine Politik auf die Beine zu stellen, die Identität hinter sich lässt, ist allyship ein Symptom der Politikverdrängung zugunsten individualistischer Selbsthilfe-Techniken und moralinsaurer sozialer Medien im kommunikativen Kapitalismus. Zu ihren Grundannahmen zählen: selbstbezogene Individuen, Politik als Besitzgegenstand, eine auf die Haltung reduzierte Transformation und ein unumstößliches, naturalisiertes Zusammenspiel von Privileg und Unterdrückung. Die Akzentuierung des Unterstützens wurzelt in der Auffassung, Identität sei der primäre politische Faktor, und verlagert mithin die Aufmerksamkeit von strategisch-organisatorischen und taktischen Fragen hin zu verhaltenstechnischen Lackmustests, die von vornherein jene Kollektivität ausschließen, auf die eine revolutionäre linke Politik angewiesen ist. Natürlich braucht die Linke Unterstützer und Bündnispartner. Wer Fortschritte machen will, muss mitunter befristete Bündnisse schließen. Ein Kampf mit dem Kommunismus als Horizont wird eine Reihe taktischer Bündnisse zwischen verschiedenen Klassen, Sektoren und Strömungen erfordern. Aber zeitweilige Unterstützer, die auf ihre Eigeninteressen konzentriert sind, sind nicht dasselbe wie Genossen – obwohl sie Genossen werden können. Insofern sollte meine Kritik am Unterstützer als Symptom und Beschränkung der aktuellen Identitätspolitik nicht missverstanden werden als Ablehnung praktischer Bündnispolitik im Rahmen politischer Auseinandersetzungen. Das wäre absurd. Meine Ablehnung gilt dem Unterstützungskonzept als Form und Modell der Kämpfe gegen Benachteiligung, Verelendung, Enteignung und Ausbeutung.
Der kommunikative Kapitalismus fordert Einmaligkeit. Wir sollen wir selbst sein, für uns selbst sprechen und alles selbst machen. Sich einzufügen, nachzumachen und anderen das Wort zu überlassen wird weithin als schlecht angesehen, als Zeichen für Schwäche, Unwissenheit oder Unfreiheit. Die Unmöglichkeit individueller Politik, die Tatsache, dass politischer Wandel immer nur kollektiv stattfinden kann, wird ausgeblendet und verdrängt zugunsten der unausgegorenen Überzeugung, wir würden von Systemen und Kräften bestimmt, die jenseits unseres Handlungsspielraums liegen. Das Klima verändert sich. Wir nicht.
Mit der Erkenntnis, dass die Fixierung auf individuelle Identität der Grund unserer politischen Ohnmacht ist, können wir neue Handlungsspielräume erlangen durch die kollektiven Kräfte derjenigen, die in einem Kampf auf derselben Seite stehen. Wir können mehr sein als Unterstützer, denen es um die Verteidigung ihrer individuellen Identität geht und um die Belehrung Anderer, was diese für sie zu tun haben. Wir können Genossen sein, die zusammen für die Veränderung der Welt kämpfen. Ich stimme Mark Fishers wichtigem Memo zu: »Wir müssen lernen, oder: wieder lernen, wie man Kameradschaftlichkeit und Solidarität herstellt, anstatt das Geschäft des Kapitals zu besorgen und uns gegenseitig zu verurteilen und zu beschimpfen.«43
Während der Unterstützer hierarchisch, spezifisch und nachgiebig ist, ist der Genosse egalitär, generisch und utopisch; deshalb vermag das Verhältnis unter Genossen die Beschränkungen des Alltags (sprich: der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse) zu durchbrechen. Im folgenden Kapitel greife ich mögliche Einwände gegen diese Idee des generischen Genossen auf. Meine Beispiele in Kapitel zwei wie im gesamten Buch speisen sich weitgehend, aber nicht ausschließlich aus der Geschichte der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten, der CPUSA. Da es in quasi jedem Land der Welt kommunistische Parteien und Organisationen gegeben hat, könnten die Beispiele aber von fast überallher stammen. Die meisten Parteien standen irgendwann einmal vor ähnlichen Problemen. Ich verwende Beispiele aus den USA, weil sie belegen, dass selbst eine äußerst individualistische, kapitalistische, rassistische, vom Kalten Krieg durchdrungene politische Kultur wie die US-amerikanische