Feindbild werden. Wolfgang Ullrich

Feindbild werden - Wolfgang Ullrich


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mehr von progressiven Milieus, sondern verstärkt von Rechten reklamiert wird. Denn vor allem sie sind es, die ihre Schwierigkeiten mit Minderheiten, Fremden und Feminismus haben. Für sie gehört die Freiheit der Kunst auf einmal wie Weihnachten oder der Bikini zur Identität jener westlich-modernen Kultur, die sie vor zu viel Globalisierung, Multikulturalismus und Islamisierung schützen wollen.

      In meinem ZEIT-Artikel mutmaßte ich, dass das Freiheitsprivileg autonomer Kunst manchen umso unsympathischer wird, je mehr es in die Nähe rechten Denkens gerät, wohingegen andere, denen diese Idee wirklich wichtig ist, auf einmal dazu neigen, rechten Topoi gegenüber insgesamt aufgeschlossener zu werden. Plötzlich fragen sie sich vielleicht, ob doch etwas dran sein könnte an der Diagnose einer »linksgrünen Kulturhegemonie«, wenn schöne Bilder in den Museen nicht mehr sicher sind vor aggressiven Tugendwächtern, die allenthalben Sexismus, Rassismus, Unrecht wittern.4 Und wo soll das überhaupt noch hinführen? Wer wird nach Balthus der nächste sein, dessen Abhängung gefordert wird? Wird die Kunstfreiheit nicht längst der sogenannten political correctness geopfert?

      In den beliebten Untergangsszenarien, die ausgehend von wenigen Fällen entwickelt werden, verbinden sich oft kulturpessimistische und reaktionäre Motive – und die Idee der Kunstfreiheit gerät zum tagespolitischen Kampfbegriff. Mit meinem Artikel wollte ich eigentlich eine Debatte darüber anstoßen, ob es wirklich im Sinne der Kritiker dieser Idee sein kann, dass sie eine Aneignung von rechts erfährt. Man kann sie damit zwar umso leichter als diskreditiert erachten und noch heftiger gegen sie ins Feld ziehen, was aber nur wieder zu Eskalationen auf der Gegenseite, zu noch schärferen Trotzreaktionen – von kunstreligiösen Aufwallungen bis zu aggressivem Verhalten gegenüber Frauen und Minderheiten – führt. Wie sollte sich eine weitere Polarisierung der Gesellschaft da noch verhindern lassen?

      Eine sachliche Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen freier Kunst ist schon jetzt kaum mehr möglich. Dadurch aber könnte – und das ist die Sorge, die ich trotz meiner eigenen Abneigung gegenüber kunstreligiösen Topoi habe – mehr verlorengehen, als selbst viele heutige Kritiker dieser Idee sich wünschen. So frage ich mich, was wohl passiert, wenn man ganz darauf verzichten würde, Kunst als relativ eigenständigen Bereich zu bewahren, in dem unabhängig von jeweils herrschenden Geschmacksidealen und Moralvorstellungen fiktionale Überhöhungen sowie Verfremdungen in Form oder Inhalt erlaubt sind – in dem grundsätzlich alles möglich ist. Würden ohne künstlerische Experimente mit anderen Weltbildern und ohne freie Ausgestaltung von Phantasien in Kunstwerken nicht Fähigkeiten der Imagination verkümmern, die aber etwa wichtig sind, um die Gegenwart besser zu erkennen und um in der eigenen Lebenswelt bewusster handeln zu können?

      Nicht romantisch-idealistisch, sondern ganz pragmatisch, geradezu utilitaristisch möchte ich daher dafür plädieren, die Kunst als eine Institution zu pflegen, in der Differenzen und Alternativen zum jeweiligen kulturellen Status quo zugelassen sind. Obwohl ich die Autonomie-Idee immer wieder nicht nur in gesellschaftspolitischer Ambition, sondern auch im Hinblick auf die Folgen für die Kunst kritisiert habe,5 gerate ich damit allerdings in den Verdacht, selbst ein »alter weißer Mann« zu sein – und kann mich dieses Verdachts schon rein äußerlich nicht erwehren. Tatsächlich hatte ich erst ein paar Wochen vor Erscheinen meines ZEIT-Artikels erlebt, dass bei einer Diskussion in Wien eine Reihe von Studentinnen protestierend den Raum verließ, weil ich offenbar etwas zu viel über den Verlust der Idee freier Kunst gesprochen und daher genau dem Schema eines noch-privilegierten, naiv-unsensiblen Vertreters westlicher Hochkultur entsprochen hatte. Mir ist also bewusst, wie schnell einseitige, gar radikale Positionen unterstellt werden – und interpretiere das als Beleg dafür, wie nervös und polarisierend die gesamte Debatte geführt wird.

      Wird die Autonomie-Idee von links zunehmend ignoriert oder dezidiert abgelehnt, so wird sie von rechts aber nicht nur adoptiert, sondern auch verändert. In ihrem Mittelpunkt steht nicht länger die Erwartung, dass eine Kunst, die möglichst unkorrumpiert von externen Einflüssen ist, ihrerseits emanzipatorisches Potenzial entwickeln kann. Vielmehr erscheint autonome Kunst, so die These meines Artikels, als ein Hort, wo inmitten einer vermeintlich von Verboten und Rücksichtnahmen durchsetzten Welt noch ein letzter Rest an Freiheit existiert – und wohin sich der allseits bedrohte westliche, weiße, meist männliche Künstler zurückzieht, um sich zu verteidigen oder auch zum Gegenschlag zu rüsten. Autonomie bedeutet dann also Selbstbehauptung, sie steht gar für eine Haltung des Widerstands und der Dissidenz, die sich entsprechend martialisch und rebellisch aufladen lässt.

       2 Neo Rauchs Oppositionskurs

      In meinem Artikel erwähnte ich mehrere Beispiele eines derartigen Verständnisses von Autonomie, etwa den vom rechten Antaios-Verlag publizierten Philosophen Frank Lisson, der Künstler dazu auffordert, sich »aus tiefster Notwendigkeit gegen das Gewissen seiner Zeit« zu stellen; »erst die Repression« würde »die besten Kräfte im Künstler mobilisier[en]«. Je mehr ein Künstler sich in Opposition befindet und gegen vielfältige Formen der Zähmung und Moralisierung wehrt, desto autonomer ist er also – und desto besser und bedeutender wird das, was er schafft. Zu derartiger Selbstverteidigung und Selbstbehauptung bedarf es gemäß Lisson aber heroischer Männlichkeit. Der Rang einer Kultur hänge davon ab, »wie viril die Männer in ihr sind«.1 Frauen hingegen scheinen zu bedeutender Kunst von vornherein nicht disponiert.

      Gewiss muten solche Gedanken eher alt als neu an. Sie erinnern etwa an (kontextlos herausgepickte) Wendungen Nietzsches, der Künstler als »Kraftthiere« pries, denen »eine gewisse Überheizung des geschlechtlichen Systems« zu eigen sei.2 Oder man denkt an die Behauptung der italienischen Futuristen, Schönheit gebe es »nur noch im Kampf«, sowie an ihr Eintreten für Militarismus und Patriotismus, an ihre Misogynie und ihre Opposition gegenüber Moralismus.3 Gerade innerhalb der ziemlich machohaften Avantgarden finden sich immer wieder ähnliche Motive männlicher Selbstbehauptung, und es wäre eine Untersuchung wert, sie in ihrer Entwicklung sowie in ihrem Verhältnis zur Idee autonomer Kunst zu betrachten. Eine Arbeitshypothese könnte dabei sein, dass jene Motive vor allem vom autonomen Künstler, Autonomie-Konzepte hingegen oft von autonomen Kunstwerken und ihren Eigenschaften handeln, ein Unterschied also darin besteht, ob Autonomie Ausdruck einer künstlerischen Haltung ist – etwa eines Strebens nach Außenseitertum und einer Ausnahmestellung – oder aber ein Werkprinzip meint – etwa die Preisgabe von Mimesis-Ansprüchen.

      Auch Neo Rauch, das prominenteste Beispiel meines ZEIT-Artikels, kommt wiederholt auf seine künstlerische Haltung zu sprechen. Sie dürfte noch stark von Erfahrungen in der DDR geprägt sein. Dort sei er schon in der Jugend »in eine innere Emigration getrieben« worden, wie Rauch 2017 in einem Interview mitteilte; während er zeichnete, habe er »still vor sich hingeflucht«.4 Sein Studium bei Arno Rink und Bernhard Heisig in Leipzig endete ungefähr zeitgleich wie die DDR, die ersten Jahre als freier Künstler erlebte Rauch also in einer Umbruchszeit voller Unsicherheiten. Schon in den neunziger Jahren stellten sich aber größere Erfolge ein, im Jahrzehnt darauf kam es zum internationalen Durchbruch, was sowohl rasch steigende Preise für seine Gemälde als auch eine Reihe musealer Ausstellungen zur Folge hatte. Obwohl innerhalb der Kunstkritik nicht unumstritten,5 gilt Rauch seither als wichtigster ostdeutscher Künstler seiner Generation. Neben seinen Bildern liefern aber auch etliche seiner Interviews Diskussionsstoff. In ihnen finden sich nämlich immer wieder Aussagen, die ziemlich anders klingen als das, was sonst von global erfolgreichen Künstlern zu hören ist. Vertreten die meisten von ihnen eine pluralistisch-kosmopolitische Weltsicht, so geht Rauch regelmäßig auf Distanz dazu. Seinen Abstand zum vorherrschenden Ton der aktuellen Kunstwelt bekundet er zum Teil auch mit schroffen Worten und provokanten Vergleichen.

      Die Übermalung eines Gedichts von Eugen Gomringer, das 2011 auf der Fassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule angebracht und 2017, wie im Fall von Balthus im Zuge der #MeToo-Bewegung, von einigen als sexistisch verurteilt wurde, kritisierte Rauch 2018 als »Talibanisierung unserer Lebenswirklichkeit«.6 Diese Formulierung ist ein gutes Beispiel für die Eskalation und Polarisierung der Debatten über Kunst. Denn obwohl mancher Beitrag, in dem die Übermalung des Gedichts zur Grundsatzfrage stilisiert wurde, zu schrillem Aktionismus neigte, erscheint es doch als umso provokanter, feministische Anliegen auf dieselbe Stufe zu stellen


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