Inklusive Bildung. Группа авторов

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gehört dazu. Und ich finde, die Praxis wird auch besser, wenn man empirische Ergebnisse zur Kenntnis nimmt, die nicht so positiv sind. Also wenn ich an die Haeberlin-Studie denke und an den Befund, der bis heute international immer wieder repliziert wird. Für viele Kinder und Jugendliche wird die Leistung in inklusiven Schulsystemen besser, sie haben höhere Abschlüsse, aber das soziale Exklusionsverhalten steigt in inklusiven Settings. Das ist ja eigentlich eine Katastrophe! Und das muss man sagen dürfen und man muss darüber nachdenken für die Praxis, was bedeuten solche Befunde, die unseren idealen Vorstellungen nicht entsprechen. Und das finde ich bisweilen schwer in der Diskussion mit Kollegen und Praktikern: Das darf man nicht sagen, so etwas. Ich finde das gar nicht schlimm, dass wir diesen Befund haben. Man muss aber darüber nachdenken, wie kann ich das verändern? Und Alternativen entwickeln und schauen, was kann man machen mit diesen Befunden. Aber häufig habe ich das bei einer Reihe von Kollegen erlebt, dass man das wieder nicht sagen darf.« Ulrich Heimlich: »Das stimmt. Die ideologischen Scheuklappen sind hinderlich in diesem Zusammenhang, und ich nehme an, das gilt also auch für andere Settings, wenn wir jetzt einmal über die Schule hinausschauen.« Rudolf Tippelt: »Absolut, das kann man übertragen. Wir haben sehr viel über Professionalisierung gesprochen, also über die Fähigkeiten sozusagen auch des einzelnen Unterrichtenden, des Lehrers, auch des Leiters, das ist richtig. Gleichzeitig ist auch die Organisation angesprochen, weil wir auch Organisationskulturen brauchen, die die Inklusion, so wie wir sie am Anfang definiert haben, als ein Ziel formulieren, das geteilt wird, übrigens nicht nur von den Lehrern, auch von Eltern. Das ist übrigens die Stärke mancher alternativer Pädagogiken, dass die Eltern in der Weiterbildung oder beispielsweise in der Montessori-Pädagogik stärker an einer solchen inklusiven Pädagogik beteiligt sind. Das scheint mir wichtig für die Umsetzung. Das ist gleichzeitig ein fiskalischer Punkt. Wir müssen mit kleineren Gruppen arbeiten können, um die spezifischen Lernfähigkeiten, aber auch Lernprobleme ansprechen zu können, um an bestimmten Punkten auch nicht Konflikte in die Gruppe hineinzutragen, sondern sie differenzieren zu können. Qualitativ gute inklusive Bildung kostet Geld – und zwar auf allen Bildungsstufen. Denn wir brauchen ein sehr starkes Praxisberatungssystem, also nach innen für die Lehrer, auch für die, die Probleme damit haben, aber auch für die Eltern. Also diese Erfahrungen, die die Eltern dann zu Hause mit den Kindern machen, die jetzt von der inklusiven Bildung profitieren sollen, sollen zurückgetragen werden, sodass man Zweifel und Probleme bearbeiten kann, das scheint mir sehr wichtig. Und das, was uns Wissenschaftler interessieren muss: Wir dürfen nicht stehen bleiben bei den Konzepten und bei der Realisierung von Konzepten. Wir müssen durch Wirkungsstudien herausarbeiten, wie sich das dann anschließend auswirkt, beispielsweise im Bereich der sozialen Kompetenz oder der sozialen Haltungen. Sind diese feindlicher geworden oder sind diese integrativer geworden und inklusiver? Wir müssen die personale Kompetenz versuchen zu messen, aber auch die Fachkompetenz. Wir müssen den praktischen Systemen schon genauere Rückmeldung geben. Und das ist übrigens nur in Kooperation mit der Praxis möglich, dennoch ist das ganz stark unsere Aufgabe, auch als Wissenschaftler.« Ulrich Heimlich: »Ich glaube auch, dass wir einen anderen Typus von Forschung benötigen. Also ich hab’ das jetzt mit Kollegen an der Universität Oldenburg diskutiert, weil die sich weiterentwickeln wollen als Fakultät, und da ging es um die Entwicklung eines neuen Forschungsprogramms. Wir Wissenschaftler haben Interesse daran, Daten zu bekommen und Aussagen über die Praxis, die wir verwerten können. Und ich habe dann darauf hingewiesen: Das ist ein interaktiver Prozess. Wir dürfen nicht nur in der Praxis auftauchen, um etwas von der Praxis zu bekommen, sondern es wird auch erwartet von uns, dass wir in die Praxis hineinwirken. Wir haben das in den vergangenen Jahren versucht im schulischen Bereich, aber auch im Bereich Kindertageseinrichtungen. Und die Rückmeldung aus der Praxis war für mich interessant, die Kolleginnen und Kollegen haben häufig gesagt: ›Wir brauchen für diese Arbeit gute Rahmenbedingungen.‹ Das darf man nicht vergessen. Also das ist sicherlich nicht ohne Investitionen in Bildung zu machen, ein inklusives Bildungs- und Erziehungssystem aufzubauen. Das ist schon richtig und das muss auch zur Verfügung gestellt werden. Aber innerhalb dieser Rahmenbedingungen, das sagen viele Einrichtungen, viele Kolleginnen und Kollegen, wollen wir uns selbst entwickeln können. Wir benötigen einen Spielraum, um uns selbst zu entwickeln. Und deswegen finde ich zum Beispiel hier in Bayern den Begriff ›Profil Inklusion‹ für die Schulen gut gewählt. Wir haben die Feststellung gemacht, dass die Einrichtungen alle ein Profil entwickeln, auch standortbezogen. Und wir haben über die letzten Jahre hinweg die Erfahrung gemacht: Wenn das als Voraussetzung gegeben ist, dann entwickelt sich auch die Qualität des Bildungsangebotes weiter. Wir haben uns also in unseren Forschungen interessiert für die Qualität des Bildungsangebotes in Kinderkrippen, Kindergärten, Grund-, Mittelschulen. Und die Tendenz dieser Forschung geht eindeutig dahin zu sagen: Die Qualität von inklusiven Bildungsangeboten steigt. Und sie ist besser als in nicht-inklusiven Settings. Insofern ist das schon auch ein Vorteil, der sich sozusagen für alle einstellt. Das Problem ist allerdings schlicht und ergreifend, dass wir dafür Zeit benötigen. Das ist nicht von heute auf morgen zu machen, und die Probleme sind auch nicht einfach so vom Tisch zu wischen. Es bringt uns überhaupt nicht weiter, wenn wir diese Probleme sozusagen ausklammern und nicht sehen. Ich schätze die Entwicklung im Bereich der inklusiven Bildung in Deutschland so ein, dass ich sage: Wir sind endlich in einem Stadium, wo wir nicht mehr nur legitimieren müssen, dass das ein guter Weg ist. Sondern wir können jetzt offen diskutieren, welche Probleme da sind, welche Vorteile und Nachteile es gibt und dann daran arbeiten. Zum Beispiel das Problem: soziale Exklusion in inklusiven Settings, eigentlich ein vollkommener Widerspruch. Was heißt das? Das stellt sich nicht von selbst ein, der soziale Zusammenhang. Den muss man unter Umständen auch pädagogisch begleiten und man muss das pädagogisch in den Blick nehmen. Das ist auch eine pädagogische Aufgabe. Und insofern gibt es da schon wirklich die ›Mühen der Ebene‹ sozusagen, also in der praktischen Umsetzung. Das dauert schlicht und ergreifend auch.« Ewald Kiel: »Ich denke einfach, wir brauchen auch in der Forschung eine engere Anbindung an die Praxis. Ich arbeite jetzt zusammen mit dem Kollegen Markowetz an einem Konzept für die Umsetzung von Inklusion an 120 Münchner Schulen. Wir machen das wie folgt: einmal ganz klassisch wie Wissenschaftler das tun, mit einem Fragebogen an 5.000 Lehrkräfte. Aber wir gehen auch in 15 ausgewählte Schulen und führen dort Gruppendiskussionen mit den Lehrkräften durch. Dann entwickeln wir mit den Lehrkräften zusammen eine Expertise über das, was gemacht werden soll. Zusätzlich arbeiten wir im Schulreferat der Landeshauptstadt München mit verschiedenen Betreuungsgruppen, also mit der Realschule, mit dem Gymnasium und den anderen betroffenen Schulformen und beraten gemeinsam, was man umsetzen kann, und spiegeln das wieder an die Schulen zurück. Ich finde für den Bereich Inklusion – nicht nur, weil ich es selber mache – aber diese enge Anbindung der Forschung an die Schule wichtig. Wir haben ja eben von Rückmeldung gesprochen. Man muss den Schulen auch einen Blick von außen gewähren, gleichzeitig aber auch den Blick der Schule haben dafür. Ich glaube, dass das eine wichtige Ausrichtung von Forschung ist.« Rudolf Tippelt: »Wenn ich da auch noch einhaken darf, also wir reden manchmal in diesem Zusammenhang von einem bestimmten Modell von Forschung – ich würde das angewandte Grundlagenforschung nennen oder auch umgekehrt grundlagenbasierte Anwendungsforschung. Das heißt immer, dass die Praxis eine Bedeutung hat – und zwar nicht nur als der zu erforschende Bereich, sondern auch als der Bereich, der uns Forschungsfragen signalisiert. Wir Wissenschaftler haben schon die Aufgabe, den Begründungszusammenhang zu liefern, dafür sind wir ausgebildet und das können wir bewältigen, indem wir Befragungen und Beobachtungen, Protokollierungen und so weiter durchführen und auswerten. Aber die Offenheit für Praxisfragen muss da sein und das ist überhaupt nicht selbstverständlich, weder im pädagogischen Bereich noch in anderen wissenschaftlichen Bereichen. Ich möchte noch etwas sagen: Wir reden ja über inklusive Bildung, das sprengt jetzt ein bisschen den Rahmen, aber ich habe hier diesen Bericht »Bildung in Deutschland 2014« vor mir. Das ist also der Nationale Bildungsbericht, der alle zwei Jahre erarbeitet wird. Seit 2008 gibt es jeweils ein Schwerpunktthema. Und 2014 hatten wir das Thema »Bildung von Menschen mit Behinderungen«, da war ich noch im Beirat, insgesamt
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