Angst. Petra Ramsauer

Angst - Petra Ramsauer


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Es war der erste Tag des Waffenstillstands in diesem Konflikt; der erste, über den ich als Reporterin berichtet habe. Ihr Tod hat mich nicht nur schockiert, sondern auch geprägt. Die Kollegen starben nicht an der Front, im Kugelhagel, sondern nach dem Krieg, durch die Tat eines Einzelgängers. In einem Moment, als sich Erleichterung breitzumachen begann.

      Die für mich wichtigste Lektion war: Die Gefahr hält sich an kein Drehbuch. Ich habe deshalb von Anfang an in dem Bewusstsein gearbeitet, dass ich jeden Moment achtsam, vorsichtig sein muss. Mit mir, in jedem Moment und auch den Menschen gegenüber, deren Geschichten ich erzähle. Seit ich in dem Bereich arbeite, hat sich der Alltag in diesem Beruf verändert. Sicherheitstrainings vor den Einsätzen in Krisengebieten sind zur Norm geworden. Besonders Reporterinnen arbeiten zwar in unterschiedlichen Medien gegen-, im Feld aber miteinander. Was uns alle derzeit verbindet, Männer und Frauen, ist, dass viele freischaffend tätig sind. Jene, die in angestellten Positionen in Krisengebieten tätig sind, verfügen über ein immer geringeres Budget: Nur durch Kooperation sind viele Reportagen überhaupt noch leistbar; doch trotzdem übersetzt sich zu wenig Geld für sichere Fahrzeuge und verlässliche Übersetzer in ein immer höheres Risiko, und beides führt dazu, dass für die Berichterstattung aus jenen Gebieten, wo Menschen Wahrnehmung durch internationale Medien dringend bräuchten, um zu überleben, diese Reporter fehlen.

      Ein Pamphlet gegen die immer schlechteren Rahmenbedingungen stammt von einer der derzeit erfolgreichsten italienischen Reporterinnen, Francesca Borri: „Es kann vorkommen, dass ich 70 Euro für einen Text aus Syrien bekomme. Da muss ich aber 50 Dollar bezahlen, wenn ich irgendwo auf einer schmutzigen Matratze die Nacht verbringen möchte. Ein Auto kostet mindestens 250 Dollar, wenn es billig ist.“ Diese Spesen muss sie von ihren Honoraren finanzieren. „Medien, die lange Storys darüber bringen, wie unfair die Löhne bei der T-Shirt-Erzeugung sind, kümmern sich nicht darum, wie sie ihre freien Reporter bezahlen.“10 Das Risiko, irgendwann erschöpft aufgeben zu müssen, weil freie Wochenenden oder gar Urlaub bei dem Einkommen nicht drin sind, fühlt sich deshalb besonders für freie Reporter realer an, als von einer Granate getroffen zu werden.

      Das Gefühl, immer mehr in die Enge getrieben zu werden, wird von einem weiteren, zuletzt massiv gestiegenen Risiko immens verstärkt: entführt zu werden. Dies hat viel damit zu tun, dass von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ in Syrien und dem Irak eine der bislang größten Gefahren ausgeht. Ein Dutzend Reporter wurde entführt, darunter sehr gute Freunde. Zwei dieser Journalisten, Jim Foley und Steven Sotloff, wurden von den Terroristen geköpft. Videos der brutalen Morde wurden zu Propagandamaterial verarbeitet, das ich wie Millionen anderer gesehen habe. Einer der Ermordeten, Steven, hatte – soweit ich das vage rekonstruieren konnte – im Sommer 2013 nur kurz nach mir exakt jenes Auto und jenen Fahrer genommen, mit dem ich von Aleppo kommend zur türkischen Grenze gefahren bin. Er nahm es für die Gegenrichtung.

      Bereits 2002, mit der Entführung und grausamen Ermordung des amerikanischen Journalisten Daniel Pearl durch al-Kaida-Terroristen in Pakistan, nach den vielen Fällen gekidnappter Reporter im Irak-Krieg ab 2003 und auch in Afghanistan hat sich das Angst-Niveau von Reportern verändert. Seither ist in manchen Regionen jeder Schritt, jeder belanglose Stopp an einer Tankstelle, in einem Restaurant ein potenzieller „Tipp“ an Terror-Gruppen, dass hier ein Opfer zu finden ist. Oft werden bis zu zweistellige Euro-Millionen-Summen von den Familien und den Herkunftsländern verlangt. Mein Leben als Reporterin war von dieser Gefahr massiv geprägt. In jedem Moment. Doch erst der Tod der beiden Kollegen führte mir schonungslos vor Augen, was ich bei Reisen nach Syrien, in den Irak und auch Afghanistan eigentlich aufs Spiel setzte. Diese Angst steckt tief in mir.

      „Das Ausmaß der Traumata von Journalisten und Journalistinnen in Konfliktgebieten lässt sich mit dem von Soldaten in Kampfeinsätzen vergleichen,“ sagt der kanadische Psychiater Anthony Feinstein. Einen Unterschied gebe es aber sehr wohl: Die meisten Kriegsreporter üben diesen Beruf mindestens 15 Jahre, viele sogar zwanzig Jahre aus. „Kein Einsatz von Soldaten in einem Krieg dauert so lange. Angesichts dessen ist der Wert, den unsere Studien ergaben, dass 70 Prozent nicht traumatisiert sind, eigentlich bemerkenswert“, so Feinstein, der seit Jahren als einer der wenigen Wissenschaftler die Seelen von Kriegsberichterstattern erforscht. Hunderte Journalisten und Journalistinnen hat er untersucht und eine hohe Resilienz entdeckt. „Frauen, die diesen Beruf ergreifen, sind dies besonders“, sagt er. Trotzdem: Die Gefahr, traumatisiert zu werden, ist bei jenen, die diesen Beruf ergreifen, fünfmal so hoch wie bei anderen Berufen. „Journalisten, die von Konflikten berichten, sind zahlreichen Stressfaktoren ausgesetzt, von Einschüchterungen bis zu Scheinhinrichtungen. Und sie werden Zeugen vieler Todesfälle.“ Angesichts dieser Umstände sei ein wesentlich höherer Grad an langfristigen seelischen Verletzungen zu erwarten. Feinstein erklärt sich dies mit genetischen Unterschieden, zitiert dazu Forschungsergebnisse, die zeigen, dass manche Menschen darauf gepolt sind, ein höheres Anspannungsniveau nicht nur auszuhalten, sondern auch zu suchen. – Dazu mehr gleich im nächsten Teil.

      Anders sei jedoch Syrien, wie eine weitere Studie Feinsteins unter 59 internationalen Reportern und Reporterinnen zeigte.11 Er verglich das Ausmaß ihrer Traumatisierung mit einer Vergleichsgruppe, die nach 2003 über den Irak-Krieg berichtet hatte. Die Rate von Depressionen, Selbstmordgedanken und einem tiefsitzenden Gefühl von Wertlosigkeit ist bei Reporterinnen und Reportern, die von den Gräueln in Syrien berichteten, signifikant höher. Es ist eine Beobachtung, die ich bestätigen kann. Nichts hat mich so mitgenommen wie das Gefühl, Jahr für Jahr von einem fürchterlichen Konflikt zu berichten, von dem viel zu wenige in seiner Brutalität Notiz nehmen wollen. Mein Entschluss, nun im Herbst meine Arbeit als Kriegsreporterin zu beenden, hat viel damit zu tun. Aber nicht nur. Ich habe 22 Jahre in Kriegs- und Krisengebieten gut und sicher überlebt. Dieses Glück, das ich hatte, will ich nicht ewig auf die Probe stellen.

      „Geh raus, bevor du die Geschichte hast“, dieser Satz wurde mir von jemandem überliefert, der für die Vereinten Nationen in Krisengebieten als Pressesprecher gearbeitet hat. Ihm wurde das als zentrales Gebot bei einem Gefahren-Training von Sicherheitsexperten der BBC eingebläut. Ich habe nie nachgeprüft, ob das dort wirklich so gelehrt wurde, weil ich mir diesen Satz nicht mehr nehmen lassen wollte. Ich wollte vermeiden, in diesem Buch irgendeinen „Rat“ zu geben, sondern es bei Impulsen belassen. Doch hier mache ich eine Ausnahme: Es gibt in diesem Leben alles und nichts zu versäumen. Es kommt nur darauf an, zu wissen, was wichtig ist und sich diesen beiden zentralen Herausforderungen im Leben zu stellen: Ja und Nein zu sagen und die Angst als Kompass exakt dafür zu nutzen. „Geh raus, bevor du die Geschichte hast“ bedeutete für mich, mir selbst immer einen Spielraum zu lassen. Müdigkeit, Überforderung und das Bedürfnis, mich zurückzuziehen, vor allem Angst zu respektieren, nicht immer die „Allerbeste“ sein zu müssen, sondern ich sein zu können, die einiges nicht mehr schafft und trotzdem Wertvolles leistet.

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